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Rohstofffieber in Kolumbien

Marylén Serna über das Tribunal in Bogotá gegen Bergbauunternehmen und die Regierung in Bogotá *


Marylén Serna ist eine Bäuerin an der Führungsspitze der Bauernbewegung »Movimiento Campesino de Cajibio« aus der Region Cauca im Süden Kolumbiens. Sie ist Sprecherin des »Congreso de los Pueblos«, eines Zusammenschlusses von Basisorganisationen, der seit vier Jahren auf einen Friedensvorschlag hinarbeitet. Aus Anlass eines sogenannten Ethischen Gerichtsprozesses in Bogotá, eines Tribunals über die Vergehen multinationaler Konzerne in Kolumbien, sprach für »nd« Nicole Jullian mit ihr.

Das internationale Solidaritätsnetzwerk zu Kolumbien »Red der Hermandad y Solidaridad con Colombia« (REDHER) und weitere kolumbianische Basisorganisationen veranstalten vom 16. bis 18. August einen »Ethischen Gerichtsprozess« symbolischen Charakters gegen die in Kolumbien tätigen multinationalen Konzerne. Wer wird auf der Anklagebank sitzen?

Unsere Kritik richtet sich sowohl an die nationalen als auch die transnationalen Konzerne des Bergbausektors in Kolumbien. Das liegt an den erheblichen negativen Auswirkungen der Aktivitäten des Bergbausektors auf die in den Abbaugebieten lebende Bevölkerung, auf die Arbeiterklasse, Gewerkschaftsorganisationen und nicht zuletzt auf die Umwelt. Die transnationalen Konzerne missachten die internationalen Standards. Sie sind Urheber von Landenteignung, Binnenvertreibung und extremer Umweltzerstörung mit erheblichen gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung.

Welche Rolle spielt dabei die Regierung?

Öl-, Bergbau- und Wasserkraftsektor sind seit 2003, als eine neue Erdöl- und Gasagentur in Kolumbien geschaffen wurde, zentraler Bestandteil der Wirtschaftsplanung des Landes. Bei diesem symbolischen Prozess geht es uns einerseits darum, die Maßnahmen der Regierung kritisch zu hinterfragen, die immer mehr Gebiete für die Exploration freigegeben hat, und anderseits die gravierende Missachtung des Arbeits- und Gewerkschaftsrechts sowie die massive Umweltzerstörung durch die transnationalen Bergbauunternehmen anzuklagen.

Wie haben Sie die Anklage vorbereitet?

In der Vorbereitung haben wir bereits viele Informationen aus den betroffenen Gebieten gesammelt. So wurde beschlossen, dass sich der symbolische Gerichtsprozess zunächst gegen die Bergbaukonzerne Pacific Rubiales aus Kanada, AngloGold Ashanti aus Südafrika und Endesa aus Spanien richten muss. Das erste Bergbauunternehmen fördert Öl, das zweite Gold. Das dritte treibt den Bau eines Staudammprojekts voran. Alle drei profitieren vom kolumbianischen Explorationsfieber und den steuerlichen Vergünstigungen. Die kolumbianische Regierung ist davon besessen, ausländisches Kapital für den Abbau von Bodenschätzen ins Land zu locken.

In das Gebäude des Solidaritätsnetzwerks REDHER in Bogotá wurde am 20. Juli dieses Jahres eingebrochen. Kurz davor fand in Puerto Gaitán der Zwischenprozess gegen das transnationale Öl-Unternehmen Pacific Rubiales statt. Sehen Sie da einen Zusammenhang mit dem Ethischen Gerichtsprozess?

Absolut. Diese drei transnationalen Konzerne, die wir im Visier haben, werden von uns immer weiter in die Enge getrieben. So ist dieser Vorfall für uns ein klares Zeichen dafür, dass wir mit unseren Anschuldigungen recht haben. Der Diebstahl von mehreren Computern, Aufnahmegeräten und Dokumentationen über die letzten Anhörungen sollte definitiv die Vorbereitung des kommenden ethischen Gerichtsverfahrens behindern.

Um welche Information handelt es sich dabei konkret?

Die Diebe haben die Arbeit der letzten sieben Jahre von REDHER gestohlen. Darunter konnten sie auch wertvolle Informationen vom Congreso de los Pueblos (Kongress der Völker) und anderen Basisorganisationen mitnehmen. In Hinblick auf die Vorbereitung des kommenden Ethischen Gerichtsverfahrens sind die öffentlichen Anhörungen das heikelste Material. Im Laufe der letzten Jahre haben die Basisorganisationen Kolumbiens rund um REDHER und Congreso de los Pueblos sehr sorgfältig über die negativen Auswirkungen der transnationalen Bergbaukonzerne auf Bevölkerung und Umwelt recherchiert. Diese Recherchen stellen somit für die betroffenen Konzerne eine akute Bedrohung dar.

Hat sich die Regierung von Juan Manuel Santos zu dem Vorfall geäußert?

Die Regierung hat kein Wort über den Diebstahl verloren. Dieser Vorfall wird wie Tausende andere straflos bleiben. Paradoxerweise gewinnt durch diese Situation gleichzeitig die Vorbereitung für den Ethischen Gerichtsprozess an Bedeutung. Die Tatsache, dass internationale Organisationen im Ausland Presseerklärungen zu diesem Vorfall abgeben, ist ein Zeichen internationaler Solidarität. Und für die organisatorische Gruppe hier in Bogotá ist dies eine enorme Unterstützung. Wir erwarten nun auch eine stärkere Partizipation der Bürger. Im Endeffekt kann erneut bestätigt werden, dass die Arbeit, die die kolumbianischen Basisorganisationen leisten, unverzichtbar ist.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 17. August 2013


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