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Countdown für die Freiheit

Guerilla in Kolumbien vor Übergabe eines weiteren Gefangenen / Schlechte Chancen für humanitären Austausch mit Regierung

Von Harald Neuber *

In Kolumbien wartete man am Dienstag (30. März) auf die Freilassung eines weiteren Armeeangehörigen durch die Guerillaorganisation FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). Emilio Moncayo befand sich zwölf Jahre lang als Geisel in der Hand der Guerilla.

Die Freilassung Emilio Moncayos glich zuletzt einem Psychothriller. Eine internationale Delegation unter Leitung der liberalen Senatorin Piedad Córdoba harrte am Dienstag (30. März) in Florencia aus, der Hauptstadt des südkolumbianischen Departements Caquetá, um den kolumbianischen Unteroffizier in Empfang zu nehmen. Vor fast zwölf Jahren war Moncayo während eines Gefechts in die Hände der FARC gefallen. Nun sollte er freikommen.

Am Sonntag (28. März) bereits hatten die Rebellen den Soldaten Josué Calvo übergeben, der elf Monate lang gefangen gehalten wurde. Es ist aber vor allem Moncayos Fall, der die Öffentlichkeit bewegt. Für alle Seiten ist der Ausgang der Aktion deswegen von großer Bedeutung.

Bis zuletzt hielt sich Piedad Córdoba bedeckt. Sie warte auf die Kontaktaufnahme durch die Guerilla, sagte die oppositionelle Senatorin kolumbianischen Medien. Die Rebellen müssten zunächst einem »Sicherheitsprotokoll« zustimmen, in dem der Ablauf der Übergabe festgelegt ist. Córdoba wusste, dass dies der heikelste Punkt der Mission ist. Die Regierung des ultrarechten Präsidenten Alvaro Uribe und die Armee könnten die Übergabe nutzen, um Aufständische zu verfolgen und festzunehmen. Mit Mühe hatten die Unterhändler deswegen eine 36-stündige Aussetzung aller militärischen Aktionen in der Region erreicht. Bei vorangegangenen Befreiungsversuchen hatte die Armee ein Scheitern riskiert: In unmittelbarer Nähe fanden Militärbewegungen statt, Kampfjets überflogen das Gebiet in geringer Höhe. Die Regierung Uribe macht keinen Hehl daraus, dass sie alleine auf eine militärische »Lösung« des Gefangenenproblems setzt.

Dennoch breitete sich am Dienstag (30. März) vorsichtiger Optimismus aus. Sie übe sich in Geduld und Zuversicht, sagte Córdoba, die der Organisation Kolumbianerinnen und Kolumbianer für den Frieden vorsteht. »Wir gehen davon aus, dass Moncayo morgen frei ist«, sagte Bischof Leonardo Gómez im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Zur Delegation gehören außerdem Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und die Besatzungen zweier Hubschrauber der brasilianischen Armee. Sie sollen die Freigelassenen aus der Übergabezone bringen.

Vor allem die internationale Präsenz schaffte die notwendige Sicherheit. So zeigte sich zuletzt auch der renommierte Journalist Carlos Lozano, Direktor der kommunistischen Wochenzeitung »Voz« (Stimme), zuversichtlich. »Der Countdown zur Befreiung läuft«, sagte er im kolumbianischen Radio.

Die FARC verfolgen mit der Übergabe der beiden Militärs ein politisches Projekt: Die Rebellen drängen seit Jahren auf einen Austausch der Gefangenen beider Seiten. Rund 20 weitere Militärs in den Händen der FARC könnten im Rahmen einer Vereinbarung in Freiheit entlassen werden, hieß es aus dem Oberkommando der Rebellenorganisation. Doch die Regierung sperrt sich dagegen. Ein humanitäres Abkommen mit der Guerillaorganisation zu unterzeichnen hieße, die Rebellen nach Kriegsrecht anzuerkennen. Die inhaftierten Gegner auf beiden Seiten müssten dann als Kriegsgefangene behandelt werden. Für die Staatsführung ist der Verhandlungsweg deshalb tabu. Mit Unterstützung der USA versucht Bogotá, den sozialen und bewaffneten Konflikt mit den »Terroristen« allein militärisch zu beenden.

Zwar zeigte sich Präsident Uribe nun offen für einen Gefangenenaustausch, sofern die inhaftierten Guerilleros nicht zum bewaffneten Kampf zurückkehrten. Doch hat er kaum mehr etwas zu sagen. Im Mai wird in Kolumbien ein neuer Staatschef bestimmt. Und der aussichtsreichste Kandidat, der Uribe-Vertraute und ehemalige Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, erteilte einer Verhandlungslösung bereits eine Absage: »In keinem Fall« werde er »Geiseln« gegen »Gefangene« austauschen.

* Aus: Neues Deutschland, 31. März 2010





FARC ließ weiteren Gefangenen frei

Moncayo dankte ausländischen Vermittlern

Von Harald Neuber **


Nach zwölf Jahren in Gefangenschaft ist der kolumbianische Unteroffizier Pablo Emilio Moncayo am Dienstag (30. März) im Süden des Landes von der Guerilla FARC Mitgliedern einer humanitären Mission übergeben worden.

Die Freilassung war bis zum letzten Moment unklar: Schlechtes Wetter in der südkolumbianischen Provinz Caquetá drohte die Übergabeaktion zu verhindern. Es klappte dennoch: Der inzwischen 31-jährige Militär Pablo Emilio Moncayo, der sich seit Ende 1997 in der Hand der Rebellenorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) befunden hatte, wurde von der FARC einer zivilen Delegation übergeben.

Kurz vor 18 Uhr landeten die beiden Hubschrauber der brasilianischen Luftwaffe auf dem Flughafen der Provinzhauptstadt Florencia. Moncayo, der seine Militäruniform trug, wurde von der liberalen Senatorin Piedad Córdoba, einem Bischof der katholischen Kirche und Mitgliedern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sowie seiner Familie in Empfang genommen. Auf dem Rollfeld traf er zum ersten Mal seine fünfjährige jüngste Schwester Laura Valentina. Symbolhaft nahm der Befreite seinem Vater Gustavo Moncayo Ketten ab, die der 57-Jährige seit 2007 getragen hatte, um für die Freilassung seines Sohnes zu demonstrieren. Der Lehrer war damals, von Medien begleitet, aus seinem Heimatdorf rund 1000 Kilometer in die Hauptstadt Bogotá marschiert, um die Regierung des konservativen Präsidenten Álvaro Uribe zum Einsatz für die Befreiung der FARC-Gefangenen zu bewegen.

Bei einer Pressekonferenz auf dem Flughafen dankte Pablo Emilio Moncayo besonders den Präsidenten von Ecuador, Venezuela und Brasilien. Während die kolumbianische Regierung auf die lebensgefährliche militärische Befreiung der Gefangenen der Guerilla setzte, hatten sich Rafael Correa, Hugo Chávez und Luiz Inácio Lula da Silva für die letztlich erfolgreiche Verhandlungslösung eingesetzt. Präsident Uribe erwähnte Moncayo mit keinem Wort.

** Aus: Neues Deutschland, 1. April 2010


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