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Morden für die Quote

Kolumbiens Armee stärker denn je in extralegale Hinrichtungen verwickelt

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Das Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und den USA steht zur Verabschiedung im USKongress an. Der ungelöste Entführungsfall Betancourt und ein Bericht über schwere Menschenrechtsverletzungen der kolumbianischen Armee überlagern die Entscheidung.

Gute Nachrichten für die kolumbianischen Regierung sind derzeit rar. Das Gelingen der französischen Hilfsmission für Ingrid Betancourt, die sich als Geisel in den Händen der Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) befindet, steht in den Sternen und ein jüngst erschienener Bericht der Zeitung »Washington Post« wirft einen neuen Schatten auf die kolumbianische Armee. Demnach scheint seit der von der Regierung als Erfolg gefeierten Demobilisierung vieler Paramilitärs nun die Armee die Drecksarbeit der Todesschwadronen zu übernehmen: Hunderte Bauern wurden in den letzten Jahren hingerichtet und als gefallene Rebellen präsentiert.

Der Zeitpunkt des Berichtes kommt für die Regierung in Bogotá ungelegen. In dieser Woche will die Bush-Regierung das bereits 2006 ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Kolumbien dem Kongress zur Verabschiedung vorlegen. Doch die mehrheitlich demokratischen Abgeordneten verlangen klare Fortschritte in Sachen Menschenrechte in Kolumbien, um dem Vertrag grünes Licht zu geben. Die Veröffentlichung der »Washington Post« kurz vor der Abstimmung könnte diesen nun zu Fall bringen. »In sechs Jahren haben wir Kolumbien fünf Milliarden US-Dollar Hilfe gewährt, die Hälfte davon ging an das Militär. Jetzt müssen wir feststellen, dass die Armee mehr Zivilisten tötet, nicht weniger«, konstatierte der demokratische Senator Patrick Leahy.

Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen und staatlichen Kontrollbehörden ist die Zahl der extralegalen Hinrichtungen durch die kolumbianische Armee bei weitem kein Randphänomen mehr. »Wir waren daran gewöhnt, immer wieder solche Einzelfälle zu registrieren«, erklärte die Vertreterin einer kolumbianischen Anwaltsvereinigung. »Doch was wir jetzt sehen, ist systematisch.«

Die Zahlen bestätigen das – zwischen Mitte 2002 und 2007 sollen demnach 955 Hinrichtungen durch die Armee stattgefunden haben, was ein Anstieg von mehr als 60 Prozent im Vergleich zu den vorherigen fünf Jahren bedeutet. Armeeeinheiten richten demnach bewusst Zivilisten hin, stecken die Leichen in Uniformen und »säen« Waffen, um diese später der Presse und dem Generalstab als Trophäen im Kampf gegen die Guerilla zu präsentieren.

Offenbar stehen die Soldaten und Kommandanten unter erheblichem Druck, Erfolge in Form von Toten zu präsentieren und damit die Politik der »demokratischen Sicherheit« der Uribe-Regierung zu stärken. Der kolumbianische Innenminister Carlos Holguín nennt die Vorwürfe nichts als Unsinn. »Davon hat man schon immer gesprochen. Wenn ein getöteter Rebell auftaucht, kommen jedes Mal die Anschuldigungen, dass dieser ein Bauer oder einfacher Arbeiter gewesen sei. Das ist immer die gleiche Leier«, behauptet Holguín.

Im kolumbianischen Verteidigungsministerium sind diese Fälle allerdings kein Randthema. Geläutert zeigte sich etwa Verteidigungsminister Juan Manuel Santos. »Ich habe schon immer gesagt, dass es besser ist, einen Rebellen festzunehmen oder ihn zum Überlaufen zu bewegen, als ihn zu töten«, so Santos, der einige Fälle von Hinrichtungen zugab.

Einen ersten Schritt in Richtung Aufklärung unternahm die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft Ende März. Sie stellte Haftbefehle gegen 15 Militärs aus, die für ein Massaker in der Friedensgemeinde San José de Apartadó verantwortlich sein sollen. Im Februar 2005 brachten diese acht Erwachsene und drei Kinder aus der Gemeinde um, die sich in den neunziger Jahren für neutral erklärt hatte und weder Armee noch illegale Gruppen auf ihrem Gebiet toleriert. Allerdings bleibt die Anklage nahezu als Einzelfall stehen, da die überwältigende Anzahl von Massakern, die vielfach in Zusammenarbeit zwischen Armee und rechten Todesschwadronen durchgeführt wurden, bis heute ungesühnt geblieben sind. Darin verstrickt sind zahlreiche Politiker und Abgeordnete, die enge Verbindungen mit paramilitärischen Gruppen unterhielten und die Fälle systematisch verdeckten. Mittlerweile befinden sich 26 kolumbianische Abgeordnete in Untersuchungshaft und weitere 30 werden überprüft – was den Ruf nach Neuwahlen zum Kongress immer stärker werden lässt.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2008


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