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Kolumbien: Chronik wichtiger Ereignisse

Juli/August/September 2009


Juli
  • Am 2. Juli wurde die IV. Runde des Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Andengemeinschaft abgeschlossen, jedoch ohne finales Ergebnis. Eine weitere Verhandlungsrunde folgt vom 21. bis 25. September in Brüssel.
  • Vom 3. bis 10. Juli 2009 war eine internationale Beobachterkommission mit Mitgliedern aus Indonesien, Mexiko, den USA, Uruguay und der EU in Kolumbien, um vor Ort die Folgen des Agrotreibstoffbooms zu untersuchen. Sie stellte fest, dass viele Zuckerrohr- und Palmölunternehmer sich auf legale und illegale bewaffnete Kräfte (wie Guerilla und Paramilitärs) stützen, um an Land für neue Plantagen zu kommen. Dabei kommt es zu verschiedenen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen: Morde, gewaltsame Vertreibungen, Niederbrennen von Häusern, Schändung heiliger Orte, aber auch Zerstörung der Umwelt, des Wassers und der Biodiversität. (weitere Informationen im ASK-Newsletter: http://www.askonline.ch/monatsberichte/MB_8_2009.pdf)
  • Am 14. Juli 2009 wurden auf dem Grundstück Las Pavas 123 Familien gewaltsam vertrieben, um Ölpalmplantagen anlegen zu können. Mitglieder der Nationalpolizei und der Sondereinheiten ESMAD drangen gegen 1 Uhr nachmittags in die Gemeinschaft ein, zerstörten sieben Häuser von Bauernfamilien, plünderten deren Besitz und begannen, die Familien, unter ihnen hochschwangere Frauen und Neugeborene, zu entfernen.
  • Wie „El Espectador“ am 16. Juli berichtete, legen Palmölunternehmen in der Ciénaga Grande de Santa Marta, seit 2000 ein UNESCO Biosphärenreservat und seit 1998 auf der Liste international wichtiger Feuchtgebiete (Ramsar), 400 Hektar Mangrovenwälder trocken. Es werden Maschinen der „banco de maquinaria“ verwendet, die Teil eines Projektes des Landwirtschaftsministeriums zur Erhaltung der Naturschutzgebiete sind. Gerichtlich wurde nun eine weitere Zerstörung des Feuchtgebietes untersagt.
  • Wie „Neues Deutschland“ am 29.07.2009 berichtete, ist der neue Verteidigungsminister Kolumbiens Gabriel Silva. Seit 2002 führt er den Verband der Kaffeeproduzenten in Kolumbien, von 1990 bis 1994 war er Botschafter in Washington, über militärische Erfahrung verfügt er nicht.
August
  • Am 7. August wurde Jairo de Jesús Charris Castro, Mitglied der Paramilitärs (AUC) als erster wegen des Todschlags von zwei Gewerkschaftlern von Drummond am 12. März 2001 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Auch das AUC-Mitglied Rodrigo Tovar Pupo ist in den Fall verwickelt, er wurde jedoch an die USA ausgeliefert.
  • Am 12. August äußerte die lateinamerikanische Organisation für Menschenrechte (CIDH) Besorgnis darüber, dass der Staatssicherheitsdienst DAS ihre Aktivitäten überwacht. Konkret bezieht sie sich auf einen Besuch in Valledupar, der von der damaligen Beauftragten für Kolumbien, Susana Villarán, organisiert worden war.
  • Wie „El Tiempo“ am 17. August berichtet, gibt es laut der Defensoría del Pueblo und verschiedenen NGOs eine Wiederbewaffnung der Paramiliärs, in die bis zu 4000 Personen verwickelt sind. Laut der Stiftung „Nuevo Arco Iris“ läge die Gesamtzahl sogar bei 10 000 Mitgliedern, von denen 5000 demobilisierte Paramilitärs und 5000 neue Mitglieder wären. Diese Gruppen bestünden aus 82 verschiedenen kriminellen Organisationen, die in 273 Gemeinden aktiv, jedoch im Gegensatz zu den Paramilitärs noch nicht untereinander vernetzt wären. Dies sei jedoch unter Umständen nur eine Frage der Zeit.
  • In der Friedensgemeinde San José de Apartado kam es im Juli und August zu Übergriffen von Armee, Paramilitärs und Guerilla. Am 19. Juli betraten Angehörige der Armee Häuser des Bezirks La Resbalosa und beschlagnahmten Marktware. Am 20. Juli wurde der Koordinator des Bezirks Mulatos festgenommen, gefoltert und mit dem Tode bedroht, für den Fall, dass er nicht die Friedensgemeinde verlasse. Am 31. Juli wurde Javier Lozando Redondo im Beisein seiner Frau und seiner Tochter auf der Straße im Bezirk Batata (Córdoba) von Paramilitärs umgebracht und seine Frau mit dem Tode bedroht. Zwischen dem 31. Juli und dem 8. August kam es auf dem Gebiet der Friedensgemeinde zu Kämpfen zwischen Armee und Guerilla, die das Gebot der waffenfreien Zone verletzten. Am 8. August wurde Jesus Rivera in seinem Haus im Bezirk La Cristalina tot aufgefunden. Bisher weiß man nicht, wer für seinen Tod verantwortlich ist, es gab jedoch Todesdrohungen vonseiten der Armee und der Guerilla. Am 10. August wurden Mitglieder des Bezirks El Guineo von der Armee kurzzeitig festgenommen, beschuldigt, Guerilleros zu sein und mit dem Tode bedroht. Am 13. August wurde eine Leiche auf dem Gebiet der Friedensgemeinde gefunden, deren Identität bisher noch unklar ist.
  • Ein zu Beginn der 35. Kalenderwoche vorgestellter Bericht der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) besagt, dass sich das Verhältnis von Export- zu Importpeisen aufgrund der Wirtschaftskrise in Venezuela, Ecuador, Kolumbien und Bolivien um etwa 33 % verschlechtert habe, was das schlimmste Ergebnis für die Region seit 72 Jahren sei. Zurückzuführen sei es vor allem auf den starken Nachfragerückgang, den Preisverfall einiger Rohstoffe und Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Handels.
  • Am 26. August wurden im Indianerschutzgebiet Gran Rosario in der Provinz Nariño 12 Menschen vom Stamm der Awá von 10 Unbekannten in Militäruniformen getötet, darunter vier Kinder und ein Baby. Bisher ist unklar, von wem die Tat verübt wurde. Laut Uribe solle es eine Untersuchung unter Beteiligung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen geben. Laut Angaben der Indianerorganisation UNIPA wurden in der Provinz Nariño seit Jahresbeginn bereits 36 Ureinwohner ermordet.
  • Wie am 26. August bekannt wurde, will Venezuela aufgrund der geplanten US-Militärbasen in Kolumbien seine diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien abbrechen.
  • Am 28. August fand ein Sondergipfel der Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) statt, bei dem neben Bogotás Entscheidung, dem US-Militär Zugang zu sieben kolumbianischen Stützpunkten zu gewähren, auch der Kampf gegen die Drogenmafia in der Region thematisiert wurden. An dem Treffen im südargentinischen Bariloche nahmen alle Staatschefs der zwölf UNASUR-Mitgliedsstaaten teil. An dem unterschriftsreifen Militärabkommen hat der Gipfel nichts geändert, doch wurde der Fokus der Debatte von der reinen Präsenz der US-Militärs in Kolumbien auf die US-Strategie für die gesamte Region verlagert, sodass sich nun alle 12 Mitgliedsstaaten involviert fühlen.
  • Am 29. August erkrankte Álvaro Uribe an der Schweinegrippe, er stand für einige Zeit unter Quarantäne, der Krankheitsverlauf war jedoch mild. In Kolumbien starben bisher 34 Menschen an dem Virus A (H1N1), 621 Krankheitsfälle wurden registriert.
September
  • In der Nacht zum 2. September wurde in einer vierzehnstündigen Parlamentssitzung über den Entwurf einer Verfassungsänderung zur erneuten Wiederwahl Uribes abgestimmt. 85 Abgeordnete stimmten dafür – eine Stimme mehr als erforderlich - fünf stimmten dagegen, 76 boykottierten die Abstimmung mit dem Verweis, dass in Kolumbien die Demokratie nur simuliert würde. Laut Aussage des Oppositionsführers und ehemaligen Verfassungsrichters Carlos Gaviria wurden Abgeordnete mit Geschenken bedacht, um für das Referendum zu stimmen. Fünf Abgeordnete der Partei "Cambio Radical" (Radikaler Wechsel) verließen deshalb extra ihre Partei, da diese verlangt hatte, das Stimmrecht zu verweigern. Auch Regierungsmitglieder, gegen die wegen Korruption ermittelt wird, durften mit abstimmen. Innerhalb von 90 Tagen muss nun das Verfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit des Antrags zu entscheiden. Das Referendum zur Verfassungsänderung soll am 13. März 2010 durchgeführt werden, damit Uribe bei den Präsidentschaftswahlen am 17. Mai wiedergewählt werden kann. Damit die Verfassungsänderung gültig wird, müssen bei dem Referendum mindestens 25 % der Wähler abstimmen, von denen die Mehrheit die Verfassungsänderung unterstützen muss.
  • Am 4. September kam es in mehreren Städten Kolumbiens zu Protesten gegen Hugo Chávez. In Bogotá beteiligten sich 3000 Menschen. Sie prangerten die Beschränkung der Pressefreiheit, die verstärkte Zentralisierung und die Unterdrückung oppositioneller Gruppen in Venezuela an. In Caracas protestierten nur einige hundert Menschen.
  • Der seit dem 6. September vermisste TV-Pfarrer Gustavo Valez Vasquez, auch unter dem Namen Padre Calixto bekannt, ist drei Tage nach seinem Verschwinden tot aufgefunden worden. Laut Polizeiangaben wurde der 79 jährige bei einer Bergtour von herabfallenden Felsbrocken erschlagen.
  • Wie die kolumbianischen Behörden am 7.9. mitteilten, wurden Videobotschaften von zehn Geiseln der FARC bei einem von den Streitkräften festgenommenen Kurier gefunden. 6 der Geiseln, die auf den Videos zu sehen sind, sind Polizisten, vier Soldaten. Dies ist bereits die dritte Videobotschaft innerhalb von wenigen Wochen. Offenbar wollen die FARC 23 Geiseln gegen rund 500 inhaftierte Rebellen eintauschen. Die FARC erklärten sich dazu bereit, einige Geiseln unilateral freizulassen. Die Regierung fordert jedoch die bedingungslose Freilassung aller Geiseln auf einmal. Auf einen Gefangenenaustausch will sie sich nicht einlassen.
  • Ecuador und Kolumbien haben eineinhalb Jahre nach dem Abbruch ihrer Beziehungen direkte Gespräche vereinbart. Der ecuadorianische Außenminister Fander Falconi teilte am 14. Sept. in Quito mit, er werde am Dienstag nächster Woche (22. Sept. am Rande der UN-Vollversammlung in New York mit seinem kolumbianischen Kollegen Jaime Bermudez zusammentreffen. Mit dem Abbruch der Beziehungen reagierte Ecuador am 3. März 2008 auf einen Vorstoß der kolumbianischen Streitkräfte auf das eigene Territorium. Die Militäraktion richtete sich gegen einen Stützpunkt der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Dabei wurden 25 Menschen getötet, unter ihnen der führende FARC-Funktionär Raul Reyes.
  • Ein Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der Union Südamerikanischer Staaten (Unasur) am 15.09. über die geplante Einrichtung von US-Militärbasen in Kolumbien blieb ohne Ergebnis, da Kolumbien sich nicht bereit zeigte, zu garantieren, vollständig auf militärische Operationen auf dem Gebiet seiner Nachbarländer zu verzichten.
  • Am 17. September hat die US-Gewerkschaft für Handel, AFL – CIO Yessika Hoyos Morales offiziell als Preisträgerin des George Meany-Lane Kirkland Human Rights Awards 2008 vorgestellt. Sie erhält die Auszeichnung wegen ihrer Arbeit als Gründungsmitglied für die Bewegung „Sons and Daughters for Memory and against Impunity, für Ihren Kampf zur Aufklärung des Mordes ihres Vaters, Jorge Darío Hoyos Franco, der ein Gewerkschaftsführer war und für ihre Arbeit als Menschenrechtsverteidigerin zusammen mit dem Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo.
  • Am 19. September wurde Nancy Conde Rubio an die USA ausgeliefert, wo sie wegen Terrorismus angeklagt werden soll. Sie war bei den FARC für Finanzen und Logistik zuständig. Durch Abhören Ihrer Telefonate war es möglich gewesen, sie zu lokalisieren und somit Iim Juli 2008 Ingrid Betancourt und drei US-Streitkräfte zu befreien.
  • Wie am 19. September bekannt wurde, soll der Staatssicherheitsdienst DAS aufgrund der vergangenen Skandale zum 1. Januar 2010 aufgelöst und durch eine neue Geheimdienstorganisation ersetzt werden. Diese soll eine zivile Einrichtung sein, die direkt dem Präsidenten berichten soll. Die momentan 6500 Beamten des DAS sollen auf andere staatliche Einrichtungen verteilt werden. Die neue Institution soll nicht zwangsläufig aus den Mitarbeitern des DAS bestehen.
  • Nach 1 ½ Jahren Gesprächspause kam es am 22. September im Rahmen der UN-Vollversammlung erstmals wieder zu direkten Gesprächen zwischen Kolumbien und Ecuador durch die Außenminister beider Länder, Fander Falconi (Ecuador) und Jaime Bermudez (Kolumbien).
  • Ein am 30. September bekannt gewordener Bericht der Einheit für Gerechtigkeit und Frieden, einer Abteilung der kolumbianischen Staatsanwaltschaft berichtet, dass 3.700 demobilisierte Mitglieder der Paramilitärs in Kolumbien insgesamt etwa 25.000 Morde über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren begangen hätten. Die geständigen Täter hätten sich zwischen 2003 und 2006 unter den Schutz des Sondergesetzes Justicia y Paz (Gerechtigkeit und Freiheit) gestellt, das ihnen milde Haftstrafen von höchstens acht Jahren garantierte, wenn sie ihre Taten gestehen. Sie hätten auch das Verschwindenlassen von 2.251 weiteren Opfern und die Entführung von 831 Menschen zugegeben. Insgesamt habe die Justiz durch diese Angaben der Paramilitärs 2.100 Gräber mit den sterblichen Überresten von 2.562 Menschen finden können.


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