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Kolumbien: Chronik wichtiger Ereignisse

April/Mai/Juni 2009


April
  • Wie die kolumbianischen Behörden am 2. April mitteilten, wurden große Teile Bogotás durch schwere Regenfälle überflutet. Der Bürgermeister verhängte den Ausnahmezustand. Zahlreiche Menschen mussten mit Booten in Sicherheit gebracht werden.
  • In der Wochenzeitung (http://www.woz.ch/artikel/rss/17742.html) erschien am 09.04. ein Artikel über den Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe , der seit zwanzig Jahren Verbindungen zwischen Paramilitärs, internationalen Konzernen und hoher Politik aufdeckt. Er hat Jorge Noguera, den ehemalige Chef des staatlichen Geheimdienstes DAS ins Gefängnis gebracht, indem er nachgewiesen hat, dass dieser mit Paramilitärs und der Drogenmafia zusammengearbeitet und sie vorab über Polizeiaktionen informiert hat, sowie dass der Geheimdienst Listen mit Namen von GewerkschafterInnen an Paramilitärs weitergereicht hat. Der Geheimdienstchef und der Präsident waren lange enge Freunde. Als Nogueras Machenschaften ruchbar wurden, schickte ihn Álvaro Uribe in den diplomatischen Dienst nach Mailand, zum Prozess musste er ihn jedoch zurückbeordern. Auch Alirio Uribe stand auf der Abschussliste einer vom Geheimdienst gefütterten Todesschwadron. 2001 wurde ein Mordkomplott gegen ihn aufgedeckt. Wie er sagt, sind die Paramilitärs oft nur Werkzeuge der großen Unternehmen, die durch die Vertreibungen von Bauern Gebiete bekommen, um nach Öl zu bohren, Gold oder Kohle zu fördern oder Plantagen mit Ölpalmen oder Zuckerrohr zu errichten. Bei Chiquita konnte er nachweisen, dass diese Paramilitärs finanziert hat, um Gewerkschafter zu ermorden.
  • Wie am 11. April der Nationale Verband der Stadträte (Fenacón) berichtete, werden in Kolumbien hunderte Lokalpolitiker von der FARC, von Drogenbanden und von Paramilitärs mit dem Tod bedroht. Insgesamt müssten aufgrund direkter und indirekter Morddrohungen etwa 2000 Abgeordnete um ihr Leben fürchten. Seit Beginn des Jahres wurden bereits vier ermordet.
  • Wie die spa am 15. April berichtet, hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) 2008 mehr als 1600 Verletzungen des humanitären Völkerrechts dokumentiert. Neben mehr als 300 summarischen Hinrichtungen und 205 direkten Angriffen gegen Zivilisten, gab es 289 Fälle des Verschwindenlassens von Personen und 833 Fälle gewaltsamer Vertreibungen. Insgesamt versorgte das IKRK 2008 in Kolumbien mehr als 73 000 Vertriebene mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern, 10 Prozent mehr als im Jahr 2007. Teilweise liegt das an einer stärkeren Präsenz des roten Kreuzes, jedoch stieg in einigen Gebieten Kolumbiens auch die Zahl der Vertriebenen. Die Hälfte der betreuten Personen sind Kinder und Jugendliche. Besonders stark betroffen sind die indigene und die afrokolumbianische Bevölkerung. 20 % der Fälle sind Mütter die alleinigen Versorger. Das IKRK verfügt in Kolumbien über 377 Mitarbeitende und über 14 Büros.
  • Am 16. April haben Sicherheitskräfte den meistgesuchten Drogenbaron des Landes, Daniel Rendón Herrera alias «Don Mario», festgenommen. «Don Mario» habe bei der Festnahme keinen Widerstand geleistet und wolle mit den Behörden zusammenarbeiten, berichten örtliche Medien.
  • Beim Einsturz einer illegalen Goldmine sind am 22. April in Tado im Chocó acht Bergarbeiter ums Leben gekommen. Nach Polizeiangaben stürzte die Mine in sich zusammen, weil sie auf nicht sicherem Boden errichtet war. Zehn weitere Bergleute wurden zum Teil schwer verletzt.
  • Am 28. April rief Kolumbien aufgrund der "Schweinegrippe" vorsorglich einen Gesundheitsnotstand aus.
  • Ebenfalls am 28. April unterzeichneten Bürgermeister Daley und Bürgermeister Samuel Moreno Rojas aus Bogotá, Kolumbien, die erste Städtepartnerschaft zwischen Chicago und einer südamerikanischen Stadt.
  • Am 30. April 2009 empfing Papst Benedikt XVI. Álvaro Uribe Vélez. Themen waren unter anderem der Drogenhandel, die Sozialpolitik und die Zusammenarbeit von Kirche und Staat in Kolumbien zur Stärkung der nationalen Befriedung. Die kolumbianische katholische Friedensbewegung hatte sich zuvor in einem Brief an den Papst gewendet, da sie gegen eine Verfassungsänderung ist, die Uribe eine dritte Amtszeit ermöglicht. Auch wurde Uribe von Spitzenvertretern der kolumbianischen Kirche direkt darauf angesprochen.
Freitag, 1. Mai, bis Sonntag, 17. Mai 2009
  • Kolumbien hat nach eigenen Angaben den früheren Ministerpräsidenten des Kosovos, Agim Ceku, am Mittwoch, den 6. Mai, des Landes verwiesen. Die kolumbianischen Behörden reagierten damit auf einen internationalen Haftbefehl, wie ein Sprecher des Staatssicherheitsdienstes DAS am Donnerstag in Bogota mitteilte. Serbien wirft Ceku Kriegsverbrechen während des Kosovo-Kriegs 1999 vor. Der heute 49-Jährige war damals oberster Befehlshaber der Kosovo-Befreiungsarmee.
  • Wie die katholische Kirche in Kolumbien am 07.05.2009 betonte, biete sie sich weiter als Vermittler im Konflikt zwischen der Regierung und den FARC an. Diese hatten jedoch zuvor die Kirche als Verhandlungspartnerin abgelehnt, da sie zu sehr die Positionen der Regierung einnehme. Uribe akzeptiert neben der Kirche nur noch das Internationale Rote Kreuz als neutralen Ansprechpartner bei künftigen Geiselfreilassungen.
  • Am 8. Mai wurde Jorge Noguera, ein lange von Uribe unterstützter ehemaliger Direktor des Staatssicherheitsdienstes DAS, des Mordes angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, mit den Paramilitärs zusammengearbeitet und diese bei der Ermordung eines Universitäts-Professors, eines Journalisten, eines Gewerkschaftsführers und eines Politikers unterstützt zu haben.
  • Am 10.05.209 wurden bei einem Angriff der FARC in der Provinz Nariño nahe der Grenze zu Ecuador sieben Soldaten getötet und vier weitere verletzt. Vor der Polizeiwache in Samaniego war zuvor ein Sprengsatz detoniert, wobei zwei Polizisten leicht verletzt worden waren. Bereits am 8. Mai waren zwei Soldaten bei einem mutmaßlichen FARC-Angriff im Süden des Landes ums Leben gekommen. Montag, 11. Mai bis Mittwoch, 20. Mai
  • Wie am 15.05. die kolumbianische Tageszeitung “El Tiempo” berichtete, sollen die falsos positivos (unschuldige Bürger, die von dem Militär umgebracht und in FARC-Uniformen gesteckt wurden, um einen Erfolg gegenüber der Guerilla vorzutäuschen) zum Teil mithilfe von Vermittlern und dem Versprechen auf Arbeit angelockt worden sein, welche dafür jeweils eine Prämie von umgerechnet 66 Euro erhielten. Die Justiz deckte inzwischen ein weitverzweigtes Netz von "Vermittlern" auf, die dem Militär Opfer zuführten. Laut Staatsanwaltschaft wurden in den letzten 10 Jahren bereits 1666 Zivilisten als falsos positivos umgebracht. 434 Soldaten wurden deshalb verhaftet. Uribe behauptet jedoch, die Vorwürfe seien aus der Luft gegriffen, internationale NGOs würden nur Kolumbien verunglimpfen wollen.
  • Am 17. Mai haben die FARC im Gebiet El Tarra in Norte de Santander einen Krankenwagen angehalten und den sich darin befindenden Patienten Adolfo Pérez Avendaño ermordet. Zuvor hatten sie bereits einen weiteren Bewohner der Region ermordet, wobei Pérez verletzt worden war.
Montag, 18. Mai, bis Sonntag, 31. Mai
  • Am 18.05.2009 erklärte der kolumbianische Verteidigungsminister Juan-Manuel Santos seinen Rücktritt und kündigte an, dass er eine Kandidatur für das Präsidentenamt erwäge, dies jedoch nur, falls Uribe nicht kandidiere.
  • Am 22.05.2009 sprachen sich 62 von insgesamt 102 Senatoren für eine dritte Amtszeit Uribes aus und stimmten für eine entsprechende Verfassungsänderung. Vor der Abstimmung redete Innenminister Fabio Valencia Cossio auf einzelne Senatoren ein und stellte ihnen offenbar zusätzliche Mittel für ihre Regionen in Aussicht. Nun müssen sich noch der Senat und das Repräsentantenhaus auf einen gemeinsamen Text einigen, das Verfassungsgericht muss zustimmen und im November könnte das entsprechende Referendum durchgeführt werden. Damit es rechtskräftig wird, müssten 7,4 Millionen Kolumbianer teilnehmen, es müsste sich jedoch nur eine einfache Mehrheit für Uribe aussprechen, um ihm eine erneute Wiederwahl zu ermöglichen. Deshalb ruft die Opposition schon jetzt zum Boykott auf. Bei der Verfassungsänderung von 2006, die Uribe die erste Wiederwahl ermöglichte, wurde eine Wiederholung ausgeschlossen, um zu verhindern, dass der Präsident alle Posten (wie beispielsweise das Verfassungsgericht) mit seinen Anhängern besetzen und damit die Demokratie aushöhlen kann.
  • Am 25. 5. 2009 hat sich der Nationalrat in der Schweiz mit 113 gegen 63 Stimmen für das EFTA-Freihandelsabkommen mit Kolumbien ausgesprochen. Die Grünen und die SP hatten zuvor versucht, menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards verstärkt in das Abkommen einzubringen. Es sei nicht möglich, Umwelt- und Menschenrechtspolitik in einem Handelsvertrag umzusetzen. Das Freihandelsabkommen habe zum Zweck, Kolumbien vollumfänglich in die Weltwirtschaft zu integrieren, was erfahrungsgemäß auch die soziale Lage der Bevölkerung verbessere, sagte die Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard. • Seit dem 26. Mai führen die FARC in der Provinz Arauca im Nordosten des Landes an der Grenze zu Venezuela einen sogenannten bewaffneten Streik durch. Sie bedrohen die Bevölkerung und staatliche Funktionäre, verbrennen Busse und behindern die Versorgung der Öffentlichkeit. Am 31. Mai finden in Arauca Neu-Wahlen für einen Gouvernateur statt.
  • Am Freitag, den 29.05. starben vier Sicherheitskräfte in Garzón bei einem FARC-Überfall auf ein Gerichtsgebäude. Die als Soldaten verkleideten Rebellen sollen das Gebäude gestürmt und zwei Wachleute und einen Polizisten erschossen haben. Im Anschluss entführten sie den Gemeinderat José Armando Acuna. Nach ihrer Flucht explodierte eine Bombe in einem zurückgelassenen Fahrzeug, wobei ein Soldat starb und zwei verletzt wurden.
  • Insgesamt wurden bei Kämpfen zwischen den FARC-Rebellen und der Armee in der südlichen Provinz Meta vom 29.05. bis 31.05.2009 elf Soldaten und fünf Mitglieder der FARC getötet. Weitere sechs Soldaten wurden verletzt. • Wie die Wochenzeitschrift Semana am 30.05.berichtete, besteht die Möglichkeit, dass eine erneute Verfassungsänderung und damit die Wiederwahl Uribes aufgrund einer Klage von Germán Nava des Polo Democrático Alternativo verhindert wird. Nava hatte die Klage schon Anfang des Jahres eingereicht, jedoch versandte das Justizgericht erst am 28.05. eine Nachricht über vorläufige Ermittlungen bezüglich des Referendums an die 86 Abgeordneten der Kammer, die für das Referendum gestimmt hatten, obwohl eine Abstimmung gesetzlich verboten ist, solange nicht geklärt ist, woher die Gelder für Unterschriften, die den Weg zu einem Referendum ebnen, stammen. Laut Semana ist es wahrscheinlich, dass einige Abgeordnete aufgrund der Klage ihre Unterstützung für Uribe fallen lassen werden, sodass das Referendum nicht mehr durchgeführt werden kann.
  • Die Informationsstelle Lateinamerika e.V. veröffentlichte in ihrer Mai-Ausgabe eine Entgegnung der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien auf zehn Thesen der Konrad-Adenauer-Stiftung über den Wandel des Konflikts in Kolumbien unter dem Titel “Kolumbien – ein demokratischer Rechtsstaat?” die unter http://www.ila-web.de/lateinamerika/home.htm einzusehen ist und die derzeitige politische Situation in Kolumbien sehr deutlich darstellt.
  • Der neue ai-Jahresbericht zu Kolumbien kann auf Englisch eingesehen werden unter: http://thereport.amnesty.org/en/regions/americas/colombia
Juni
  • Wie die Zeitung "El Tiempo" am 06.06.09 berichtete, hat ein als entführt geltender Soldat offenbar jahrelang unbehelligt in Bogotá gelebt. Die Polizei, die den früheren Soldaten nach einer Schlägerei kontrollierte, stellte dabei fest, dass er sich laut Angaben seiner Familie eigentlich seit Herbst 2005 in der Gewalt der FARC befinden müsste. Nun wollen die kolumbianischen Behörden überprüfen, ob sich die Familie durch die angebliche Entführung finanzielle Vorteile erschlichen hat.
  • Im vergangenen Jahr ist der Koka-Anbau in Kolumbien um 18 % auf 81.000 Hektar und damit den niedrigsten Stand seit 2004 zurückgegangen. Dies liege vor allem an der massiven Vernichtung von Koka-Pflanzen, wie das das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) am 19. Juni bei der Vorstellung seines jährlichen Berichts zum Kokain-Handel in den Andenstaaten in Bogota mitteilte. Allerdings solle auch ein Teil der Produktion nach Peru und Bolivien verlagert worden sein. Die Kokain-Produktion in Kolumbien, einem der drei größten Produzenten der Koka-Pflanze, ging 2008 um 28 Prozent zurück.
  • Auf einer Medienkonferenz in Bogotá forderte der UNO-Sonderberichterstatter für außergerichtliche Hinrichtungen, Philip Alston, am 18.06. die Armee auf, "das Ausmaß" des Problems der gezielten Hinrichtungen anzuerkennen. Die Zahl der Fälle, ihre weite örtliche Verbreitung und die Vielzahl der verwickelten Militäreinheiten würden darauf hindeuten, dass Zivilisten von einer bedeutenden Anzahl von Soldaten "mehr oder weniger systematisch" getötet worden seien. Laut einem Bericht der Kommission kolumbianischer Juristen wurden zwischen 2002 und 2008 mehr als 1200 Menschen gezielt durch Angehörige der Armee getötet, wobei es meist nicht zur Strafverfolgung kam. Auch werde das Töten von Zivilisten durch Soldaten durch ein Belohnungssystem begünstigt. Außerdem kritisierte Alston, dass der kolumbianische Senat am 18. Juni einen Gesetzesentwurf zur Entschädigung von Opfern politischer Gewalt in Kolumbien scheitern ließ. Die Entscheidung der Kammer verletze die internationalen Menschenrechtsnormen.
  • Wie die Tageszeitung „Neues Deutschland“ am 20.06. berichtete, sind Senatorin Piedad Córdoba und die PDA-Politiker Gloria Inés Ramírez, Jorge Robledo und Wilson Borja, hochrangige Vertreter der Opposition in Kolumbien, von Strafverfahren bedroht, ihnen werde unterstellt, Verbindungen zur Guerillaorganisation FARC zu haben. Zwar gebe es keine belastbaren Beweise, trotzdem schloss Staatsanwalt Alejandro Ordóñez die Eröffnung von Strafverfahren gegen die Regierungskritiker, ebenso wenig aus wie Ermittlungen gegen weitere Oppositionelle, aus.
  • In der Provinz Cauca sind am 22. Juni bei Kämpfen zwischen den FARC und der Polizei mindestens 32 Menschen getötet worden, 25 FARC-Mitglieder und 7 Polizisten. Die Aufständischen hätten aus dem Hinterhalt eine Patrouille angegriffen, so der Polizeichef der Region. Seit Januar haben FARC-Kämpfer fast 190 Soldaten und Polizisten getötet.
  • Das UNESCO-Welterbekomitee hat am 29.06. auf der Tagung in Sevilla den Nationalpark „Los Katios“ in Kolumbien neben zwei weiteren Stätten auf die "Liste des gefährdeten Welterbes" gesetzt.
  • Wie der Internationale Gewerkschaftsbund auf seiner Website zur jährlichen Übersicht über die Verletzungen von Gewerkschaftsrechten (http://survey09.ituc-csi.org/survey.php?IDContinent=2&IDCountry=COL&Lang=DE) mitteilt, stiegen in Kolumbien im Jahr 2008 die Gewaltanwendungen gegenüber Gewerkschaftlern um 25%. Es wurden 49 Gewerkschaftsmitglieder ermordete, davon 16 Führungskräfte bzw. 45 Männer und vier Frauen. Nach wie vor werden Anschläge verübt, Personen entführt und Todesdrohungen ausgesprochen.


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