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Kolumbien: Chronik wichtiger Ereignisse

September/Oktober 2008


September
  • Die WORLD AWARDS Organisation unter dem Vorsitz von Friedens-Nobelpreisträger Michail Gorbatschow hat am 5.9. verkündet, dass Ingrid Betancourt die erste Preisträgerin des WOMEN’S WORLD AWARDS 2008 würde. Den Preis erhalte sie für ihren Einsatz für Demokratie, Freiheit und Toleranz.
  • Georg W. Bush und Alvaro Uribe haben sich bei dessen Besuch in Washington erneut für ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Ländern eingesetzt. Bush kritisierte die Blockadehaltung der demokratischen Kongressmehrheit. Uribe hofft, mithilfe ausländischer Investoren die Guerillabewegung besiegen zu können.
  • Wie am Donnerstag, den 25. September bekannt wurde, sorgt ein geplantes Denkmal für den verstorbenen Führer der kolumbianischen FARC-Rebellen Manuel Marulanda in Caracas für neue Spannungen zwischen Kolumbien und Venezuela. Das Denkmal soll in einem armen Stadtviertel in Caracas errichtet werden. Initiator des Vorhabens ist eine linksgerichtete venezolanische Gruppe, die die Ziele der FARC unterstützt.
  • Im Department Norte de Santander sind 23 Leichen gefunden worden, die unter seltsamen Umständen aus Bogotá verschwunden waren, wie die Behörden am 26.09. mitteilten. Es handelt sich dabei um Männer, die angeblich im Kampf gegen das Militär zwischen Januar und August 2008 gestorben sind. Alle waren zuvor in Bogotá als vermisst gemeldet worden. Mindestens 100 weitere junge Männer werden noch vermisst. Es wurde der Vorwurf laut, dass korrupte Militärs zusammen mit kriminellen Gruppen die Männer mit der Aussicht auf ein lukratives Einkommen geködert und dann ermordet hätten, um somit Erfolge des Militärs gegen die FARC vortäuschen zu können.
Mittwoch, 1. Oktober, bis Sonntag, 12. Oktober 2008
  • Am 1. Oktober ist die deutsche Menschenrechts-Aktivistin Christina Friederike Müller wegen ihrer Anwesenheit bei einer Demonstration streikender Zuckerrohrschneider aus Kolumbien ausgewiesen worden. Wie Uribe später in diffamierender Absicht verlauten ließ, hätte sie besser ins Gefängnis geschickt werden sollen, weil sie schuldig sei, die Demonstranten zur Gewalt angeregt zu haben. In Wirklichkeit hatte Friederike Müller zu keinem Zeitpunkt Demonstranten zur Gewalt angeregt. Sie hatte auch nicht aktiv an der Demonstration teilgenommen, sondern war als Beobachterin und in ihrer Eigenschaft als Begleiterin einer kolumbianischen Menschenrechtsorganisation vor Ort. (Siehe hierzu den Beitrag: "Unerwünschte, weil unbequeme Zeugen".)
  • Am Donnerstag, den 2. Oktober, protestierten in Kolumbien mehr als 40 000 Menschen gegen den Tod eines elf Monate alten Babys, das im Auftrag seines Vaters, der keinen Unterhalt mehr an die Mutter des Kindes zahlen wollte, ermordet worden war. Durch massive Medienerstattung und Meinungsmache der Politiker ist die Bevölkerung auf das Schicksal des Kindes aufmerksam gemacht und so weit aufgestachelt worden, dass bereits der Wunsch nach Lynchjustiz und Wiedereinführung der Todesstrafe laut wurde. So tragisch der Fall ist, steht er jedoch in keinem Verhältnis zu dem generellen Desinteresse der Bevölkerung an Verbrechen an Kindern, die tagtäglich in Kolumbien verübt werden, wie Kinderarbeit in Minen und im Sextourismus, Zwangsrekrutierung durch paramilitärische Gruppen oder Tod aufgrund verweigerter medizinischer Versorgung.
  • Wie die junge Welt am 11. Oktober berichtete, sind im ersten Halbjahr 2008 durch Paramilitärs 270 675 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben worden.
Montag, 13. Oktober, bis Freitag, 31. Oktober 2008
  • Mehr als 7000 Indigene blockieren seit dem 13. Oktober die Panamericana in der südwestkolumbianischen Provinz Cauca, um so darauf aufmerksam zu machen, dass die Regierung ihnen bisher noch nicht die versprochenen Ländereien übergeben hat und Hinrichtungen an 57 Indigenen (allein 22 dieses Jahr) durch Paramilitärs, Guerilla und Militär bisher nicht aufgeklärt worden sind. Bei Zusammenstößen mit der Polizei kamen drei Indigene ums Leben. Laut erster Aussage von Uribe sollen diese von anderen Indigenen getötet worden sein, von der Polizei sei keine Gewalt ausgegangen. Ein auf CNN veröffentlichtes Video bewies jedoch, dass von Seiten der Polizei geschossen wurde. Die Demonstranten ziehen Richtung Cali, wo sie am 26.10. ihre Forderungen an Uribe herantragen wollen, der diesem Treffen am 23.10. nachgegeben hat.
  • Ca. 400 000 Arbeiter des öffentlichen Dienstes demonstrierten am 23.10. im Zentrum der Hauptstadt Bogotá und im ganzen Land gegen die »Kriminalisierung der sozialen Bewegungen« durch die Regierung. Die Demonstrationen wurden von 6 zeitgleichen Bombenexplosionen überschattet, bei denen 16 Menschen leicht verletzt wurden. Die Polizei beschuldigte die FARC, für die Anschläge verantwortlich zu sein, Bogotás Bürgermeister Samuel Moreno glaubt jedoch nicht daran. Erstens sei der Sprengstoff untypisch für die Guerilla, zweitens sei die Menge sehr gering gewählt worden (200g), um die Schäden klein zu halten. Auch die Orte (keine öffentlichen Einrichtungen) passten nicht zum Schema der FARC. Bei früheren ähnlichen Attacken wurden Mitglieder staatlicher Institutionen als Verantwortliche überführt, weshalb Moreno gründliche Ermittlungen verlangt.
  • Das für den 26.10. in Cali angesetzte Treffen zwischen mehr als 20 000 Indigenen und Uribe hat nicht stattgefunden. Der von den Indigenen vorgeschlagene Treffpunkt war von Uribe ausgeschlagen worden; er erwartete 300 indigene Gesandte in den Einrichtungen des Regionalsenders Telepacífico, obwohl er wusste, dass diese mit ihm auf dem Universitätsgelände sprechen wollten, damit alle dem Austausch beiwohnen könnten. Zwar kam Uribe um 16 Uhr (statt wie vereinbart um 10 Uhr) dann doch noch zur Universität, jedoch waren die Gesandten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr da und auch nicht bereit, für Gespräche zurückzukehren.
  • Der frühere Abgeordnete Oscar Tulio Lizcano konnte sich zusammen mit einem seiner Aufpasser „Isaza“ nach mehr als 8 Jahren aus der Gewalt der FARC befreien, am Sonntag, den 26.10., erreichten sie nach dreitägiger Flucht eine Militäreinheit. Uribe lobte für den Exguerillero eine Belohnung von voraussichtlich 1 Milliarde Pesos aus und versprach ihm, ihn straffrei nach Frankreich ausreisen zu lassen, um so andere Guerilla-Kämpfer zu ermutigen, es ihm gleichzutun.
  • Wie die kolumbianische Polizei am Samstag, den 26.10., mitteilte, hat sie in der kolumbianischen Hafenstadt Barranquilla 10,5 Tonnen Kokain mit einem Straßenverkaufswert von etwa 800 Millionen Euro beschlagnahmt.
  • Am 29.10. sind 24 Militärangehörige (darunter 3 Generäle) vom Dienst beurlaubt worden, da ihnen vorgeworfen wird, mitverantwortlich zu sein für den Skandal um die aus Bogotá und anderen Regionen verschwundenen Jugendlichen, die später vom Militär als gefallene Guerilla-Kämpfer präsentiert wurden. Bisher wurde kein offizielles Verfahren gegen die Militärangehörigen eingeleitet, weshalb Navi Pillay, hohe Kommissionärin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, die sich seit einer Woche in Kolumbien aufhält, am 1. November verkündet, dass die Fälle der verschwundenen Jugendlichen auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof verhandelt werden könnten. Zudem zeigte sie sich sehr besorgt darüber, dass diese Praxis vom Verschwindenlassen Jugendlicher, die dann als tote Guerilla-Kämpfer präsentiert würden, bereits systematisch sei.
  • Der Oberst Edilberto Sánchez, der bei der Zurückeroberung des Justizpalastes von der Guerilla-Einheit M-19 im Jahr 1985 das Oberkommando führte und der für das Verschwindenlassen von Carlos Rodríguez Vera und María del Pilar Guarín (Verwalter und Angestellte der Cafeteria) verantwortlich gemacht wird, musste am 30.10.08 freigelassen werden, da aufgrund des 44-tägigen Streiks der Justiz die sechsmonatige Wartefrist auf seinen Prozess abgelaufen war.


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