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Kolumbien: Chronik wichtiger Ereignisse

Mai/Juni 2008


Donnerstag, 1. Mai, bis Sonntag, 18. Mai
  • Kolumbien ist laut der Caritas das Land mit der zweithöchsten Zahl von Binnenflüchtlingen. Vier Millionen Menschen sind bisher vertrieben worden, oft wegen Auseinandersetzungen zwischen linker Guerilla und rechten Paramilitärs. Zivilisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen geraten immer wieder ins Visier der bewaffneten Gruppen, da ihnen vorgeworfen wird, Partei für die jeweils andere Seite zu ergreifen. Menschenrechtler und die katholische Kirche beklagen seit einiger Zeit eine immer stärkere Verflechtung von Staat und Paramilitärs.
  • In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai hat die kolumbianische Regierung 14 gefangene Paramilitärchefs an die USA ausgeliefert. Als Die Justiz am nächsten Morgen deren Fehlen bemerkte, waren bereits alle ausgeflogen. Problematisch dürfte dies für die Aufarbeitung der Verbrechen der Paramilitärs werden, da in den USA die Klage nur auf Drogenschmuggel lauten wird. Laut Anwälten der Paramilitärs sah sich die Regierung zu diesem Schritt genötigt, um geplante Enthüllungen der Gefangenen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen ihnen und Regierung und Militärs zu verhindern. Die Opfer der Massaker wenden sich nun an den Internationalen Strafgerichtshof, um zu erreichen, dass den Paramilitärchefs auf jeden Fall der Prozess aufgrund der Morde, Vertreibungen und Misshandlungen gemacht wird.
  • Wie am Freitag, den 16. Mai bekannt wurde, scheint die kolumbianische Regierung laut Interpol den Rechner von Raúl Reyes, den diese bei dem Militärangriff auf die Guerilla in Ecuador sichergestellt hatte, nicht manipuliert zu haben, was bedeuten würde, dass Venezuela bei der Finanzierung und Bewaffnung der linksgerichteten FARC-Rebellen geholfen hat.
  • Die kolumbianische Polizei hat am 17. Mai 3,4 Tonnen Kokain, 293 Gewehre, ca. 65 000 Schuss Munition, 11 Granatwerfer, Maschinengewehre, Raketen und Pistolen der paramilitärischen Bande «Schwarze Adler beschlagnahmt. Die Waffen sollen laut Polizeiangaben von Daniel Rendón Herrera, alias «Don Mario», dem meistgesuchten Drogenboss des Landes, stammen.
  • Während ihrer siebentägigen Lateinamerikareise hat Angela Merkel vom 17. bis 18. Mai auch Kolumbien einen Besuch abgestattet und dort Uribe deutsche Hilfe bei der Aufarbeitung der massiven Menschenrechtsverbrechen der Vergangenheit und zur Wiederherstellung des Vertrauens in den Staat zugesichert. Sie übergab drei mit deutschen Entwicklungsgeldern angeschaffte „Verhörmobile“, mit denen Verbrechen der Paramilitärs in den vergangenen vier Jahrzehnten aufgearbeitet werden sollen. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützt die Aufarbeitung durch Ausbildung kolumbianischer Staatsanwälte, von denen es bisher 23 gibt, die sich mit den Verbrechen beschäftigen.
Montag, den 19. Mai, bis Samstag, den 31. Mai
  • Auch wenn sich die Lage der rund 250.000 Kindersoldaten weltweit generell verbessert hat, wie terre des hommes in ihrem am 22. Mai vorgestellten aktuellen Bericht wiedergeben, gilt dies nicht für Kolumbien. Dort werden weiterhin Kindersoldaten rekrutiert und die Demobilisierung wird ihnen dadurch erschwert, dass die Gesetze für finanzielle Unterstützung nur für Volljährige greifen, sodass die Kinder oft aus finanziellen Gründen in der FARC und den paramilitärischen Gruppen verharren. Auch fehlende psychologische Betreuung und der Mangel an Wiedereingliederungsprogrammen stellt ein massives Problem dar. Die meisten Kindersoldaten verfügen über keinen Schulabschuss und haben in ihrer Gruppe einen bestimmten sozialen Status, der ihnen Halt gibt und bei Demobilisierung sofort wegbrechen würde, was den Wiedereintritt in die verlassenen oder ähnliche Gruppen begünstigt.
  • Die Linke setzt sich, dafür ein, dass die kolumbianische Guerilla-Organisation FARC von der Terrorliste der Europäischen Union gestrichen wird. Bedingung an die FARC sei, so der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Wolfgang Gehrcke, am 24. Mai, für Friedensgespräche sofort alle Geiseln freizulassen. Gehrcke begründet die Forderung damit, dass mit Gewalt der Bürgerkrieg in Kolumbien nicht beendet werden könne und setzt sich deshalb für Friedensgespräche ein.
  • Durch ein Erdbeben mit der Stärke 5,6 sind am Samstag, den 24. Mai, sieben Menschen ums Leben gekommen. Das Epizentrum lag 54 Kilometer südöstlich von Bogotá, lag in der Nähe der Ortschaft El Calvario. Zahlreiche Stromleitungen wurden gekappt, in mehreren Orten wurden Wohnhäuser beschädigt. In Bogotá stürzten tausende Menschen in Panik auf die Straßen, es kam dort jedoch weder zu Sach- noch Personenschäden. Das Beben vom Samstag war das schwerste
  • Wie am 25. Mai bekannt wurde, ist Manuel Marulanda, auch „tirofijo“ genannt, der Rebellenführer der FARC seit deren Gründung 1964, Ende März einem Herzinfarkt erlegen. Die von der Regierung verkündete Information wurde auch durch die FARC bestätigt. Alfonso Cano, der bisherige ideologische Führer, soll die Nachfolge antreten. Alvaro Uribe bot unterdessen erstmals Rebellen, die ihre Geiseln freilassen, eine Aussetzung der Strafverfolgung und die Ausreise ins Ausland an. Laut Uribe haben sich ranghohe FARC-Vertreter als Reaktion auf den Tod ihres Anführers dazu bereiterklärt, Ingrid Betancourt und andere Geiseln freizulassen.
  • Nach dem Führungswechsel bei der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC hofft die Familie der entführten Grünen-Politikerin Ingrid Betancourt auf eine baldige Freilassung. Die Mutter und die Schwester Betancourts appellierten am 26. Mai an den neuen FARC-Chef Alfonso Cano, die 46-jährige Franko-Kolumbianerin und andere Zivilisten unter den Geiseln freizulassen. Die Freilassungen könnten "entscheidende Aktionen Frankreichs und der internationalen Gemeinschaft auslösen, um (...) Kolumbien auf den Weg des Friedens zu bringen", hieß es in der durch das Betancourt-Unterstützerkomitee (Ficib) in Paris veröffentlichten Erklärung.
    Betancourts Familie hofft offenbar, dass die FARC nach dem Tod ihres Mitgründers Manuel Marulanda einen gemäßigteren Weg einschlägt. Sein Nachfolger Cano gelte als "kultiviert und fortschrittlich", erklärten ihre Mutter Yolanda Pulecio Betancourt und ihre Schwester Astrid Betancourt. Das Pariser Unterstützungskomitee warnte seinerseits vor zu großer Hoffnung auf Bewegung in dem Entführungsfall. "Im Moment lässt keine Ankündigung der FARC eine grundlegende Änderung erkennen", hieß es.
Juni
  • Am 9. Juni verlangte Hugo Chávez in seiner sonntäglichen Fernsehsendung von den FARC, alle Geiseln freizulassen. Zudem bemerkte er, dass eine bewaffnete Guerillabewegung in Lateinamerika ist nicht mehr zeitgemäß sei und die FARC den USA eine Ausrede liefern würden, sich in die inneren Angelegenheiten Lateinamerikas einzumischen.
  • In ihrem jährlichen Bericht über den Drogenanbau, den die Vereinten Nationen am Mittwoch, den 18. Juni veröffentlichten, zeigten sie sich schockiert über die Zunahme von 27 Prozent bei Drogenanbau gegenüber dem vergangenen Jahr.
  • Am Donnerstag, den 26. Juni, schlug Álvaro Uribe ein Referendum für eine Neuwahl vor, in der das Ergebnis der Wahlen von 2006 bestätigt werden solle. Uribe sieht sich zu diesem Schritt genötigt, nachdem der Oberste Gerichtshof in Bogotá anordnete, die Abstimmung des Parlaments von 2006 über eine Verfassungsänderung, die die Wiederwal Uribes ermöglichte, überprüfen zu wollen. Es besteht der Verdacht, dass Bestechungsgelder, insbesondere an den Abgeordneten Yidis Medina geflossen sind, um die Entscheidung positiv zu beeinflussen. Neuwahlen würden den Konflikt jedoch nicht lösen, da das Gericht nicht die Entscheidung des Volkes anprangert, sondern die dieser vorausgehende Abstimmung über eine Verfassungsänderung.
  • Normalerweise läuft Uribes Amtszeit 2010 ab. Seine Anhänger sammeln bereits Unterschriften für eine weitere Verfassungsänderung, um ihm eine dritte Amszeit zu ermöglichen.
  • Am 26. Juni sind ein kanadischer Ingenieur und ein Kolumbianer 240 Kilometer südwestlich von Bogotá verschleppt worden. Bisher ist nicht klar, wer hinter der Entführung steht.
  • Am 29. Juni ist Martha Cecilia Obando, die Anführerin der intern Vertriebenen von Buenaventura, ermordet worden. Dies ist schon der zweite Mord innerhalb weniger Wochen, Anfang des Monats wurde in Valle del Cauca bereits ein Anführer von intern Vertriebenen umgebracht.


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