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Kolumbien: Chronik wichtiger Ereignisse

März/April 2008


Samstag, 1. März bis Sonntag, 16. März
  • Am Samstag gab die kolumbianische Regierung bekannt, dass die Armee ein Lager der FARC in Ecuador angegriffen und den Rebellen-Vizechef Raúl Reyes und 16 weitere FARC-Mitglieder getötet habe. Zuerst hieß es, der Übergriff wäre auf kolumbianischem Boden geschehen, dann wurde dies revidiert, jedoch behauptet, die Armee hätte sich nur verteidigt. Erst nachdem Bilder der Getöteten in Schlafanzugen veröffentlicht wurden und herauskam, dass diese im Schlaf überrascht wurden, musste die Regierung eingestehen, dass die Initiative vonseiten der Armee ausgegangen war.
  • Es wurde angeblich auch ein Rechner von Raúl Reyes gefunden, auf dem Daten waren, die Verbindungen der FARC zu Ecuador, Venezuela und der ETA nachweisen sollen, außerdem war von einer finanziellen Unterstützung in Höhe von 300 Millionen Dollar durch Hugo Chávez die Rede, weshalb Uribe auch mit einer Klage vorm Internationalen Strafgerichtshof drohte. Außerdem solle es Informationen bezüglich des Baus einer schmutzigen Bombe gegeben haben. Bisher wurden jedoch noch keine Beweise für die Aussagen erbracht. Das Foto, auf dem angeblich ein Parlamentsmitglied Ecuadors mit der FARC abgebildet war, stellte in Wahrheit einen argentinischen Journalisten dar, die Klage vor dem Internationalen Gerichtshof wird nun doch nicht erhoben.
  • Chávez kündigte aufgrund der Territoriumsverletzung Kolumbien in Venezuela die Entsendung von Truppen und 10 Panzern an die Grenze zu Kolumbien an und ließ diese zwischen beiden Ländern schließen. Auch Ecuador schickte Soldaten an die Grenze zum nördlichen Nachbarland. Chávez, Ortega und Correa ordneten zudem den Abzug des Personals aus den Botschaften Venezuelas, Nicaraguas und Ecuadors in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá an. Correa drohte mit "schlimmsten Konsequenzen", weil die kolumbianische Führung Ecuador belogen habe.  Der kolumbianische Außenminister Fernando Araujo entschuldigte sich für den Militäreinsatz auf ecuadorianischem Gebiet, verteidigte diesen aber mit einem vorangegangenen Angriff der FARC-Rebellen.
  • Am 4.3. kündigten Brasilien und Chile an, sie würden auf der Sondersitzung des Ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Einsetzung einer Untersuchungskommission vorschlagen, die die Vorgänge klären soll.
  • Die FARC erklärte unterdessen in Bogotá, Reyes sei im Grenzgebiet mit der Vorbereitung eines Treffens mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy befasst gewesen, als er getötet wurde, wodurch sich die Freilassung weiterer Geiseln verzögern könne. Vergeltungsaktionen wurden jedoch nicht verkündet.
  • Während Bush Uribe telefonisch für dessen "starke Führung" im Kampf gegen die linksgerichteten Rebellen dankte und ihm seine Unterstützung versicherte, riefen die EU und die UN die beteiligten Staaten auf, "jede Eskalation zu vermeiden".
  • Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bezeichnete den Militäreinsatz am Mittwoch, den 5.3., als Verletzung der Souveränität Ecuadors. Eine formelle Verurteilung der Aktion sprachen die Mitgliedsstaaten jedoch nicht aus.
  • Auf dem Gipfeltreffen der Rio-Gruppe in der Dominikanischen Republik versöhnten sich Kolumbien, Ecuador und Venezuela überraschend. Während sie sich zu Anfang noch wüst beschimpft hatten, gab es zu Ende Witze und Schulterklopfen.
  • Am 7.3. fanden landesweit Massendemonstrationen statt, bei denen rund 300.000 Menschen gegen die Gewalt paramilitärischer Gruppen und des Staates protestierten. Die größte Kundgebung mit etwa 200.000 Teilnehmern fand in der Hauptstadt Bogotá statt. Die Kolumbianer wollten ihre Solidarität zeigen "mit den vier Millionen Vertriebenen, den 15.000 Verschollenen und den 3000 Menschen, die von den Paramilitärs in Massengräbern verscharrt wurden", sagte ein Sprecher. In rund 20 Städten Kolumbiens gingen Menschen auf die Straße und zeigten Fotos von Opfern der Gewalt. Auf Spruchbändern forderten sie ein Ende "aller Massaker". Aufgerufen zu den Demonstrationen hatte die Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen; sie wurden von mehreren Parteien unterstützt. Ein Sprecher der Bewegung prangerte neben den Gräueltaten der paramilitärischen Gruppen auch "Staatsverbrechen" an und kritisierte die kolumbianische Armee, die oft ebenfalls Gewalttaten begehe und teilweise mit den Paramilitärs zusammenarbeite.
  • Das getötete Führungsmitglied der FARC, Iván Ríos, wurde von einem seiner Leibwächter, Pablo Montoya, umgebracht, die Kopfgeld zu kassieren. Anschließend hat sich dieser den Behörden gestellt und als Beweis für den Tod des Rebellenchefs dessen abgeschnittene Hand vorgelegt, sowie einen USB-Stick mit Daten. Dafür erhielt er eine Prämie von 2,7 Millionen Dollar, wie der Verteidigungsminister Juan Manuel Santos mitteilte.
  • Venezuela erhielt unterdessen Lebenszeichen von zehn FARC-Geiseln. Der venezolanische Innenminister Ramón Rodríguez Chacín sagte in Caracas, seine Regierung habe Videoaufnahmen von zehn FARC-Geiseln vom Dezember und Anfang diesen Jahres erhalten. Bei den Festgehaltenen handele es sich um Soldaten und Polizisten. Die Bänder gelten als Hinweis für eine mögliche Freilassung.
  • Am 9.3. wurde die ecuadorianische Botschaft in Kolumbien wieder eröffnet, die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu Bogotá solle jedoch schrittweise verlaufen, so der Staatssekretär für bilaterale Beziehungen im ecuadorianischen Außenministerium, Diego Stacey.
  • Am Sonntag, den 16. März, nahmen mehrere zehntausend Menschen an einem kostenlosen Friedenskonzert des Latino-Stars Juanes an der Grenze von Kolumbien und Venezuela teil, das die (inzwischen beigelegte) diplomatische Krise zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela zum Anlass hatte.
Montag, 17. März bis Montag, 31. März
  • Die Polizei in Kolumbien hat im Südosten des Landes mehr als eine Tonne Kokain beschlagnahmt. Die Operation habe in einem entlegenen Waldgebiet im Department Cauca stattgefunden, das von den linksgerichteten FARC-Rebellen kontrolliert werde, berichtete ein Polizeisprecher. Die Sicherheitskräfte seien bei der Operation von Rebellen angegriffen worden. Diese hätten versucht, die Drogen im Schwarzmarktwert von knapp 17 Millionen Euro zu verteidigen. (dpa, 22. März)
  • Wie am Montag, den 24. März herauskam, ist bei der umstrittenen kolumbianischen Offensive gegen FARC-Rebellen in Ecuador Anfang März auch ein Ecuadorianer getötet worden. Den Angaben zufolge wurde der Mann zunächst als ein Verbündeter der FARC betrachtet. Deshalb wurde auch sein Leichnam nach Bogotá übergeführt. Später stellte sich dann heraus, dass es sich bei dem Toten allem Anschein nach um einen ecuadorianischen Schmied handelte.
  • Am Freitag, den 28. März wurde bekannt, dass die kolumbianische Regierung offenbar zu einem Gefangenenaustausch bereit ist. Präsident Alvaro Uribe unterzeichnete in der Nacht zum Freitag ein entsprechendes Dekret. Friedenskommissar Luis Carlos Restrepo kündigte in Bogotá die mögliche Aussetzung von Haftstrafen für inhaftierte FARC-Rebellen an, sollte die verschleppte Politikerin Ingrid Betancourt "umgehend" freigelassen werden. Betancourt leide an Hepatitis B sowie an einer durch Insektenstiche hervorgerufenen Hautinfektion.
    Wie der nationale Polizeichef Oscar Naranjo bekanntgab, wurden angeblich 30 Kilo abgereichertes Uran in einem Elendsviertel von Bogotá sichergestellt. Die Informationen dazu hätten die Behörden von Computerdateien des FARC-Vizechefs Raúl Reyes, den die kolumbianische Armee vor knapp einem Monat bei einem Angriff auf ecuadorianischem Territorium getötet hatte, bekommen. Bogotá warf den Rebellen vor, sich im internationalen Terrorismus betätigen zu wollen. Bisher konnten Verbindungen zur FARC jedoch nicht nachgewiesen werden. Das schwach radioaktive Material ist jedoch nicht zum Bau einer "schmutzigen Bombe" geeignet.
Dienstag, 1. April, bis Donnerstag, 10. April
  • Zur Rettung der vor sechs Jahren verschleppten FARC-Geisel Ingrid Betancourt haben Frankreich und Kolumbien eine humanitäre Aktion vorbereitet. Ein französisches Mediziner-Team brach nach Kolumbien auf, um die durch Krankheit geschwächte Franko-Kolumbianerin Betancourt zu behandeln. Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe erklärte sich dafür zum Stopp sämtlicher militärischer Einsätze im Südosten seines Landes bereit. Am 9. April musste die Mission jedoch erfolglos abgebrochen werden, da sich die FARC nicht bereit erklärten, Betancourt behandeln zu lassen.
  • Am 7. April trat der Chefstratege des Vorwahlkampfes von Hillary Clinton, Mark Penn, zurück, da dessen Public-Relations-Firma von der kolumbianischen Regierung den Auftrag übernommen hatte, sich bei Kongressabgeordneten für das Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und den USA einzusetzen. Clinton lehnt jedoch neue Freihandelsabkommen mit Schwellen- und Entwicklungsländern ab, da diese zu Konkurrenz auf dem US-Markt und damit zur Entlassung von Arbeitern führen könnten.
  • Der kolumbianische Vize-Präsident Francisco Santos äußerte am 10. April gegenüber dem dem Handelsblatt Kritik an Frankreichs Vorgehensweise zur Freilassung Betancourts. Die französische Öffentlichkeit habe das Thema mittlerweile so hoch gehängt, dass die FARC diese Geisel nun wahrscheinlich als allerletzte freilassen wird. Forderungen nach weiteren Zugeständnissen an die linksgerichteten FARC-Rebellen wies der Vize-Präsident zurück.
Freitag, 11. April, bis Sonntag, 20. April
  • Am 13. April forderte der venezolanische Präsident Hugo Chávez die FARC zur Freilassung aller zivilen Geiseln auf. Er könne verstehen, dass die Rebellen Soldaten oder Polizisten gefangen nehmen, sagte Chávez in Caracas. Dies gelte jedoch nicht für die verschleppte ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und die anderen zivilen Geiseln. Am 14. April ist der größte Vulkan Kolumbiens ausgebrochen: Der Nevado del Huila stieß am Montagabend heiße Asche in die Luft. Die Behörden riefen den Alarmzustand aus und ordneten die Evakuierung mehrerer Ortschaften an den Hängen des 5.330 Meter hohen Berges an. Rund 3.500 Menschen brachten sich in Sicherheit. Das genaue Ausmaß des Ausbruchs war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, aber selbst kleinere Eruptionen können dazu führen, dass auf dem Berg Eis und Schnee schmelzen und zu Schlammlawinen und Überschwemmungen führen. Mittlerweile hat sich die Situation jedoch entspannt, die Menschen konnten in ihre Häuser zurückkehren.
  • Nolberto Uni Vega, der Entführer der ehemaligen kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, hat sich in einem Brief an den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy für die Tat entschuldigt. Uni ist wegen der Entführung Betancourts zu 34 Jahren Haft verurteilt worden.
Montag, 21. April, bis Mittwoch, 30. April
  • Ein Cousin und enger Vertrauter von Álvaro Uribe, der ehemalige Senator Mario Uribe, wurde am Dienstagabend aus der Botschaft von Costa Rica abgeführt, wo er vergeblich versucht hatte, politisches Asyl zu erlangen. Der Generalstaatsanwalt von Kolumbien hat einen Haftbefehl gegen Mario Uribe ausgestellt und wirft diesem vor, die rechtsgerichteten paramilitärischen Milizen zu unterstützen. Uribe hatte sich deswegen im Dezember letzten Jahres persönlich an den Staatsanwalt gewandt, um ihn zum Einstellen des Verfahrens zu bewegen, konnte damit jedoch außer negativer Publicity, da dieser Skandal an die Öffentlichkeit getragen wurde, nichts erreichen. Bislang wird gegen 68 Politiker wegen Kontakten zu den ultrarechten Paramilitärs der Vereinten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) ermittelt, 31 frühere oder jetzige Kongressmitglieder sind bereits in Haft. Die Zahlen ändern sich mittlerweile fast täglich, sodass das kolumbianische Wochenblatt Semana spekuliert, innerhalb weniger Wochen können sie bereits auf über 80 steigen. Mit Ausnahme des Alternativen Demokratischen Pols PDA und Mira haben alle heute in der Legislative vertretenen Parteien Mitglieder, die wegen ihrer Allianz mit den Paramilitärs angeklagt sind. Insgesamt gibt es 260 Sitze im Kongress, was bedeutet, dass bereits gegen über ein Viertel der Politiker ermittelt wird.
  • Am 28. April besuchte der französische Außenminister Bernard Kouchner Kolumbien, um über die Freilassung der entführten Politikerin Ingrid Betancourt zu verhandeln. "Wir werden ein humanitäres Abkommen zur Sprache bringen und die Situation neu bewerten", sagte der französische Botschafter in Bogotá, Jean-Michel Marlaud. Uribe erklärte, für die Verhandlungen mit den FARC nur die Beteiligung der katholischen Kirche und Gesandten aus Europa zu akzeptieren, womit er den Bemühungen von Hugo Chávez eine Absage erteilte, Frankreich jedoch zeigte, dass er weiterhin für Vermittlungsversuche des Landes offen sei. Kouchner bereiste im Anschluss auch Ecuador und Venezuela.
  • Die kolumbianische Polizei hat den Bruder eines der meistgesuchten Drogenbosse des Landes getötet. Zunächst hatten die Behörden geglaubt, bei dem Toten handele es sich um den Drogenbaron Miguel Angel Mejia, genannt «der Zwilling». Ein Vergleich der Fingerabdrücke zeigte später aber, dass es sich um dessen Bruder Victor Manuel Mejia handelte. Mejia und sein Bruder Victor sollen zunächst Kokain geschmuggelt haben, bevor sie sich den rechtsgerichteten Paramilitärs anschlossen. Ein US-Gericht warf den beiden im Jahr 2004 vor, innerhalb von zwei Jahren fast 70 Tonnen Kokain eingeschmuggelt zu haben.


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