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Alarm in Washington

Parlamentswahlen in Kirgistan stellen US-Airbase in Frage

Von Rainer Rupp *

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte am Sonntag abend (10. Okt.) nicht nur den friedlichen Verlauf der Wahlen in Kirgistan gelobt, sondern auch die demokratischen Fortschritte in diesem bettelarmen zentralasiatischen Land. Letzteres scheint jedoch etwas voreilig. So lag z. B. die Wahlbeteiligung nach Angaben der Wahlkommission nur bei 56,6 Prozent, was nahelegt, daß fast die Hälfte der Bevölkerung entweder desillusioniert ist oder kein Vertrauen in den demokratischen Prozeß hat. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob sich eine der beiden großen nationalen Bevölkerungsgruppen besonders stark den Wahlen verweigert hat.

In Folge der Wirren um den Sturz des autokratischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew und seiner korrupten Regierungsclique Anfang des Jahres war die ethnische Minderheit der Usbeken in ihrem Hauptsiedlungsgebiet in der Region um Osch im Juni 2010 pogromartigen Verfolgungen durch die ethnische Mehrheit der Kirgisen ausgesetzt. Je nach Schätzung wurden damals zwischen 400 und 2000 Menschen getötet. Hunderttausende Usbeken flohen im Anschluß über die nahe Grenze nach Usbekistan. Sollte sich in den nächsten Tagen herausstellen, daß es hauptsächlich Usbeken waren, die nicht gewählt haben, dann würde das Wahlergebnis trotz seines friedlichen Verlaufs keineswegs eine demokratische Spitzenleistung der provisorischen Regierung unter Ministerpräsidentin Rosa Otunbajewa widerspiegeln, sondern von der weiterhin tiefen Spaltung des Landes zeugen. Bisher fehlt jede Angabe über die geographische Verteilung der Wahlbeteiligung.

In der einstmals blühenden Sowjetrepublik Kirgisien war Bakijew im Jahr 2005 in Folge der insbesondere von den USA gesponsorten, sogenannten Tulpen-Revolution an die Macht gekommen. Washington glaubte, dadurch die US-Luftwaffenbasis, welche sie seit 2001 in der Nähe der kirgisischen Stadt Manas unterhält und die für den US-Krieg in Afghanistan von strategischer Bedeutung ist, noch fester in den Griff zu bekommen. Viele Mitglieder von Frau Otunbajewas Übergangsregierung waren über Wa­shingtons langjährige Unterstützung für Bakijew derart verärgert, daß sie nach dem Sturz Bakajiews Anfang des Jahres die Manas-Basis sofort kündigen wollten. Aber Frau Otunbajewa sicherte den USA eine automatische Verlängerung der Miete über deren Ende im Juli 2010 hinaus zu. Das Ergebnis der Wahlen am letzten Wochenende aber hat die US-Planer wieder in Alarmstimmung versetzt.

Insgesamt sind von den 29 Parteien, die sich zur Wahl gestellt hatten, nur fünf über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Stärkste Kraft wurde die nationalistische Ata-Schurt Partei, deren Vorsitzender Kamtschibek Taschijew die amerikanische Basis im Land ablehnt. Nach Auszählung von mehr als 95 Prozent der Wahllokale kam seine Partei auf 8,7 Prozent der Stimmen. An dritter Stelle folgt die Partei Ar-Namis des prorussischen Exregierungschefs Felix Kulow mit 7,5 Prozent. Auch Kulow nimmt eine kritische Haltung gegenüber der US-Airbase ein. Zugleich sind sich Ata-Schurt und Ar-Namis einig in der Ablehnung der geplanten Aufteilung der Macht, welche das Parlament auf Kosten der Regierung stärken würde, was von beiden als Rezept für größere Instabilität im Land gesehen wird. Ata-Schurt und Ar-Namis werden mit großer Wahrscheinlichkeit gemeinsam einen dritten Koalitionspartner aussuchen, wofür sie zwischen der sozialdemokratischen Partei SDKP mit 8,1 Prozent der Stimmen, der Partei Res­publika (7,1 Prozent) und die Mitte-links-Partei Ata-Meken (5,8 Prozent) wählen können.


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