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Nach der Wahl ist vor den Problemen

Uhuru Kenyatta wird zum Präsidenten Kenias proklamiert und muss sich im Juli in Den Haag verantworten

Von Anja Bengelstorff, Nairobi *

Nach der Proklamation des bisherigen Vize-Ministerpräsidenten Uhuru Kenyatta zum Sieger der Präsidentenwahl in Kenia hat der unterlegene Kandidat Raila Odinga angekündigt, vor Gericht zu ziehen. Zudem ist der 51-jährige Kenyatta vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt.

In Kenyattas Hochburgen brachen seine Anhänger in Jubel aus: »Ocampo (der frühere Chefankläger des Haager Tribunals, der Kenias Fall zur Anklage gebracht hatte, d. Red.), sieh dir das an«, rief einer in eine Fernsehkamera. In vielen Landesteilen blieben am Samstag Geschäfte aus Angst vor möglichen Ausschreitungen geschlossen, die Lage insgesamt aber blieb weitgehend ruhig. Die Abstimmung war größtenteils friedlich verlaufen.

Der Jubel ist verständlich: Nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 8419 Stimmen hat Uhuru Kenyatta, der Sohn des ersten kenianischen Präsidenten Jomo Kenyatta, die in der ersten Runde erforderlichen 50 Prozent plus eine Stimme bei den Präsidentschaftswahlen vom 4. März erreicht. Die Wahlkommission hatte am Samstag bekannt gegeben, dass Kenyatta 6,1 Millionen und damit 50,03 Prozent der mehr als 12 Millionen abgegebenen Stimmen erhielt. Sein stärkster Kontrahent, Premierminister Raila Odinga, kam auf 5,3 Millionen Stimmen oder 43,28 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 86 Prozent die höchste in der Geschichte Kenias.

Sowohl der Wahlkampf als auch der Urnengang wurden entlang ethnischer Grenzen ausgetragen wie nie zuvor: Kenyatta, charmant, fast charismatisch, schürte unter seinen Kikuyu, mit 17 Prozent die bevölkerungsreichste Ethnie in Kenia, Angst vor einem Präsidenten Odinga. Gleichzeitig fanden Odingas Luo, Kikuyu wären lange genug an der Macht gewesen und nun sei ihre Zeit gekommen. Raila Odinga, 68, hat angekündigt, das Wahlergebnis wegen »Unregelmäßigkeiten« gerichtlich anfechten zu wollen und seine Anhänger beschworen, »Gewalt könnte diese Nation jetzt für immer zerstören.« Damit spielte er auf die Ereignisse vor fünf Jahren an: Nach umstrittenen Präsidentschaftswahlen starben etwa 1300 Menschen bei anschließenden Gewaltausbrüchen, eine halbe Million musste fliehen.

Der neue Präsident Kenyatta, 51, und sein Vizepräsident William Ruto, 47, müssen sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für ihre Rolle bei den Unruhen verantworten. Ihre Prozesse beginnen im Juli sowie im Mai. Beide betonten stets, mit dem Tribunal zusammenarbeiten zu wollen, doch könnten Kenia diplomatische und wirtschaftliche Konsequenzen drohen. Die EU hatte durchblicken lassen, den Kontakt mit einem Präsidenten Kenyatta auf ein Minimum zu beschränken. Allerdings zitierte die »New York Times« einen nicht namentlich genannten US-amerikanischen Diplomaten mit den ernüchternden Worten: »Wir brauchen Kenia mehr, als Kenia uns braucht.« Die Ablehnung Kenyattas durch den Westen mag seine Anhänger noch bestärkt haben: Wir müssen unseren Sohn beschützen. Seine Wahl war daher nicht nur einfach eine Wahl: Sie war ein Referendum gegen das Haager Tribunal. Doch vor allem ist sie ein Zeichen der neuen kenianischen, wenn nicht sogar afrikanischen Selbstbehauptung, gespeist aus zehn Jahren beeindruckenden Wirtschaftswachstums und größerer politischer Reife, die sich so leicht nichts mehr vorschreiben lässt.

Nach der traumatischen Erfahrung von vor fünf Jahren war für die Kenianer ein friedlicher Ausgang der Wahl oberste Priorität. Jetzt wollen viele, um des nationalen Friedens Willen, den durchaus nicht fehlerfreien, aber weitgehend erfolgreichen Auszählungsprozess als Rehabilitierung der Ereignisse von 2007 betrachten und so schnell wie möglich zur Tagesordnung übergehen. Odingas Klage vor Gericht könnte daher als Missgunst eines schlechten Verlierers ausgelegt werden. Es ist gut möglich, dass sich zu Beginn des Gerichtsverfahrens in Den Haag im Juli die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ausspricht. Die Polarisierung Kenias hält an.

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. März 2013


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