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Landraub auf Kenianisch

Neue Verfassung im ostafrikanischen Staat stärkt Eigentumsrechte bisher nur auf dem Papier

Von Jan Keno Deichmann, Nairobi *

Illegale Landgeschäfte sind schon seit den Zeiten des ersten Präsidenten Jomo Kenyatta, der seiner Familie riesige Ländereien zuspielte, ein großes Problem in Kenia. Die neue Verfassung, die im August dieses Jahres per Referendum in Kraft gesetzt wurde, verspricht mit Hilfe eines Landkomitees, geraubtes Land zurückzugeben. Doch das braucht Zeit.

Jeden Tag berichten Fernsehen und Zeitungen in Kenia über Korruptionsskandale. Einer dieser Fälle ereignete sich in Mishomoroni, einem Slum an der Küste in Mombasa. Anders als die Elendsviertel in Nairobi oder Kisumu besteht dieser Slum nicht vorwiegend aus Wellblech und Abfall. Er liegt am Rande einer wunderschönen Küstenlandschaft, die bei Flut überschwemmt wird. Die Hütten sind vorwiegend in traditioneller Weise aus Lehm gebaut. Der Boden ist sandig. Hier und da ragen riesige Kokospalmen zwischen den Häusern hervor.

In Mishomoroni ist nichts mehr, wie es war. Am Morgen des 17. Oktober wurden dort über 300 Lehmhütten von einem großen Polizeiaufgebot dem Erdboden gleichgemacht. Die Bewohner, die man nicht von einer bevorstehenden Räumung in Kenntnis gesetzt hatte, wurden völlig überrascht. Isaac Otieno, einer der Dorfältesten, beschwerte sich beim Gebietsbevollmächtigten. Der behauptet, die Operation sei legitim gewesen, da die Bewohner einen Gerichtsbeschluss nicht befolgt hätten, der die Räumung des Gebietes angeordnet hatte. Otieno widerspricht: »Er konnte uns den Gerichtsbeschluss nicht zeigen und wir wurden nicht vorher informiert.«

Aus Akten geht hervor, dass das Land, das in öffentlicher Hand war und bereits seit über 20 Jahren bewohnt wird, an eine private Firma namens Trade Plus International verkauft wurde. Doch die Firma ist nicht in Kenia registriert, was nach kenianischem Gesetz bedeuten würde, dass der Verkauf illegal war. Und tatsächlich hat es den Anschein, als sei eine ganze Reihe von Institutionen »eingekauft« worden. Denn neben Polizei und verschiedenen lokalen Behörden behauptet sogar das Rote Kreuz, alles sei auf einen Gerichtsbeschluss hin geschehen. Den aber kann keiner von ihnen vorweisen.

Vertrieben auf ein Sofa mit Wellblechdach

Weil die meisten Vertriebenen unter freiem Himmel schlafen müssen und unter schlechten hygienischen Umständen leben, leiden viele an Grippeinfekten und Malaria. Die einzigen Medikamente, die ist an Kiosken in der Umgebung gibt, sind Schmerztabletten.

Tina Joseph lebt jetzt im Provisorium: eine Sammlung aus Sofas, Schränken und Tischen, die vor der Zerstörung gerettet werden konnten. Vor einigen Jahren war sie Prostituierte. Sie hat Aids im fortgeschrittenen Stadium. Ihr Lebensmittelpunkt ist nun eines der Sofas, über das sie eine Wellblechplatte gelegt hat. Neben ihr, auf dem Stück Wellblech, liegen ihre Zahnbürste, ein Becher und eine winzige Packung Vaseline, mit der sie ihre dünnen Hände und Arme einreibt, um sie vor der salzigen Küstenluft zu schützen.

Mit Bulldozern gegen unliebsame Konkurrenz

Obwohl der Fall der illegalen Räumung schon bei Gericht anhängig ist, kam die Polizei erneut und brannte die provisorischen Unterkünfte der Slumbewohner nieder. Vor Gericht werden die Bewohner vom Anwalt Anania Mwaboza vertreten, der einst im Parlament saß. Er ist sicher, dass sein Rivale, der Politiker Ali Hassan Joho, den Verkauf organisiert hat. »Erstens kämpfen wir dafür, dass den Bewohnern das Land überlassen wird, und zweitens werden wir beweisen, dass die Zerstörung illegal war«, sagt er hinter seinem großen Holzschreibtisch hervor. Nur dann könnten die Bewohner auf eine Entschädigung hoffen. Bis dahin müssen sie zusammenlegen, damit sie den Anwalt bezahlen können. Ein paar Tage später steht ein Artikel über Mwaboza in der Zeitung, der ihn selbst mit einem anderen Fall von »Land Grabbing« (Landraub) in Verbindung bringt.

Der Landraub in Mishomoroni ist ein Fall von vielen. Der Marktplatz in Kabete, einem kleineren Slum in Nairobi, ist ein anderer großer Streitfall. Der Platz liegt direkt an einer Hauptstraße, die aus Nairobi hinaus führt. Auf der anderen Seite wird er von einer Reihe einstöckiger Steingebäude gesäumt. Darin befinden sich Läden, die zum Teil die gleichen Produkte anbieten, die auch auf dem Marktplatz offeriert werden. Jeden Tag werden dort in kleinen Wellblechläden und an dauerhaften Ständen aus rohen Holzpfählen und Plastikplanen alltäglich benötigte Waren feilgeboten: Tomaten, grünes Gemüse, Berge von Kohl oder Ananas, Mangos, Orangen und Bananen, Säcke voll Reis, Bohnen, Mais oder Tee, aber auch Aluminiumtöpfe und Benzinkocher.

Der Markt ist unliebsame Konkurrenz. Zumal er erst vor kurzem erheblich gewachsen ist, weil Händler vom überfüllten Marktplatz eines anderen Viertels hierhin umgesiedelt wurden. Seitdem gibt es sogar eine öffentliche Toilette und einen Sammelplatz für Müll. Eine Rarität.

Konkurrenz schafft man sich am besten vom Leib, indem man sie zerstört. Und so rückten im Sommer zweimal im Abstand von wenigen Tagen städtische Bulldozer an. Keine Warnung, keine Gespräche. Stattdessen zerstörte Stände. Die Händler kochten vor Wut und protestierten mehrere Tage öffentlich: Brennende Reifen säumten die Hauptstraße, der Berufsverkehr wurde durch eine von Frauen gebildete Menschenkette blockiert. Sogar als die Polizisten Tränengasgranaten in die Menge warfen, bewegten sich die Frauen nicht. Als die Polizei begann, die Frauen zu verprügeln, schaltete sich der 74-jährige Gemüsehändler Johnson Maina ein. Eine seiner Töchter beobachtete das Geschehen aus einiger Entfernung. Sie sah, wie ein Polizist mit dem unbewaffneten alten Mann sprach, dann einen Schritt zurücktat und ihn mit seiner Pistole in die Brust schoss. Einige Minuten später war Johnson Maina tot.

Der Stadtrat lässt sich kaufen

Eine Mitarbeiterin von Amnesty International, die nicht namentlich genannt werden möchte, hat den Fall verfolgt. Sie weiß aus einer ihrer Quellen im Stadtrat, dass der Wamboi-Clan, dem die meisten Grundstücke um den Platz herum gehören und dem der Markt offenkundig ein Dorn im Auge ist, hohe Beamte bestochen hat. »Der Stadtrat wurde benutzt, um die Zerstörungen anzurichten. Der Wamboi-Clan brachte Geld zum Provinzverwalter, von wo aus es nach unten verteilt wurde, was den Bulldozereinsatz ermöglichte.«

Der Polizist, der Johnson Maina erschoss, wurde bisher nicht belangt. »Zur Zeit werden immer noch Beweise gesammelt. Falls genügend gefunden werden, wird der Polizist vor Gericht gestellt«, sagt Polizeisprecher Kiraithe.

Die Familie Maina jedoch trauert in ihrer kleinen Hütte. Dicht gedrängt sitzen sie um einen Tisch, auf dem Tee steht. »Kein Politiker oder so jemand hilft uns. Wenn du erwartest, dass einer von denen aufschreit ...« Der Sohn hält es nicht für nötig, den Satz zu beenden. Sie haben noch nicht einmal eine Entschuldigung von offizieller Seite erhalten. Solange der Polizist nicht vor Gericht für schuldig erklärt wurde, wird es auch keine Entschädigung geben. Die neue Verfassung hilft da nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Dezember 2010


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