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Hilfe aus Tel Aviv

Abflauende Kämpfe um Einkaufszentrum in Nairobi. Sechs US-Amerikaner unter den Angreifern?

Von Knut Mellenthin *

In dem Nobeleinkaufszentrum »Westgate« in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, das am Sonnabend von einer großen Gruppen Bewaffneter überfallen worden war, wurde auch am Dienstag geschossen. Nach Angaben des Militärs waren alle überlebenden Geiseln befreit worden, aber es hielten sich noch zwei oder drei Angreifer in dem weiträumigen Gebäudekomplex auf. Während der vorherigen Terroraktion wurden mindestens 62 Menschen getötet und über 170 verletzt. Unter den Opfern sind mehrere Ausländer. Das Einkaufszentrum Westgate wird hauptsächlich von wohlhabenden Kenianern aus dem In- und Ausland, von in Nairobi lebenden Ausländern sowie von Touristen besucht.

Nach bisherigen Erkenntnissen wurde der terroristsiche Überfall von der somalischen Organisation Al-Schabab verübt. Einer ihre Sprecher bezeichnete den Angriff als Vergeltung dafür, daß kenianische Truppen seit Oktober 2011 an der internationalen Militärintervention in Somalia beteiligt sind. Inzwischen hat Kenia im Süden seines Nachbarlands einen international nicht anerkannten Pufferstaat namens »Jubaland« mit dem wirtschaftlich und strategisch wichtigen Hafen Kismajo als Hauptstadt errichtet.

Am Sonntag veröffentlichte Al-Schabab eine Liste der angeblich an der Attacke auf das »Westgate« Beteiligten. Danach handelte es sich um insgesamt 17 Personen, von denen bis auf zwei Syrer vermutlich alle somalischer Herkunft sind. Zwei der Angreifer sollen aus Somalia gekommen sein, ein weiterer aus Kenia, in dem eine starke somalische Minderheit lebt. Die übrigen zwölf sollen, mit einer Ausnahme, Bürger westlicher Staaten gewesen sein. Unter ihnen befanden sich nach Angaben von Al-Schabab sechs US-Amerikaner, zwei Schweden und je einer aus Großbritannien, Finnland, Kanada und dem russischen Dagestan. Alle Beteiligten seien Männer gewesen. Dagegen behauptete die kenianische Außenministerin Amina Mohamed, unter den Angreifern sei auch eine Britin gewesen, »die so etwas schon mehrere Male vorher gemacht hat«. Diese Aussage erscheint rätselhaft, da es bei solchen bewaffneten Überfällen fast nie Überlebende gibt.

Al-Schabab hat in früheren Jahren kaum Terroranschläge verübt und nie im Ausland agiert, sondern war eine militärische Kampforganisation, die große Teile Somalias, einschließlich mehrerer Bezirke der Hauptstadt Mogadischu, kontrollierte und auch verteidigen konnte. Das änderte sich mit dem immer stärkeren Eingreifen von Truppen aus anderen afrikanischen Staaten, zunächst hauptsächlich aus Uganda und Burundi. Am 11. Juli 2010 schlug Al-Schabab mit zwei Selbstmordattentaten in der ugandischen Hauptstadt Kampala erstmals im Ausland zu. Ziel waren zwei von Touristen besuchte Lokale, in denen gerade das Finale der Fußballweltmeisterschaft zu sehen war. 74 Menschen wurden getötet, 70 verletzt.

Bei der Erstürmung und Durchsuchung des »Westgate«-Zentrums in Nairobi wurde das kenianische Militär von einer unbekannten Zahl von Israelis unterstützt. Angeblich beschränkte sich deren Mitwirkung auf »strategische Beratung«. Berichte, daß gleich nach Beginn der Terroraktion eine israelische Kommandoeinheit nach Nairobi geflogen worden sei, wurden von Tel Aviv wie üblich weder dementiert noch bestätigt.

Die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern geht bereits auf die 1960er Jahre zurück, als Israel mehreren Staaten Afrikas Entwicklungshilfe vor allem mit Personal und Know-how leistete. Nach der Geiselbefreiung im ugandischen Entebbe 1976 konnten israelische Flugzeuge in Kenia zum Auftanken landen.

Auffallend war, daß Kenias damaliger Regierungschef Raila Odinga Mitte November 2011, knapp einen Monat nach dem Beginn der kenianischen Militärintervention in Somalia, nach Israel flog und dort betont herzlich empfangen wurde. »Kenias Feinde sind auch unsere Feinde«, versicherte Premier Benjamin Netanjahu bei dieser Gelegenheit und versprach die Lieferung von Waffen und Gerät »zur Aufstandsbekämpfung«, um die sich Kenia schon seit 2010 bemüht hatte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. September 2013


Sturm auf Einkaufszentrum

Sicherheitskräfte dringen in Nairobi in von Terroristen besetztes Gebäude ein **

Explosionen und schwarzer Rauch über Nairobi: Sicherheitskräfte drangen am Montag in die von Terroristen besetzte Shopping Mall ein, stießen aber offenbar auf Widerstand.

Die kenianischen Sicherheitskräfte haben am Montag unter Einsatz von Gewalt das Ende der Geiselnahme in dem von Islamisten gestürmten Einkaufszentrum eingeleitet. Der kenianische Innenminister Joseph Ole Lenku teilte am Nachmittag mit, noch kämpften die Islamisten, sie würden jedoch bald überwältigt werden. Nach Angaben des kenianischen Armeechefs stammen die Geiselnehmer aus verschiedenen Ländern, Frauen seien entgegen anders lautenden Berichten nicht unter ihnen.

Dem Innenminister zufolge wurden zwei Geiselnehmer getötet und mehrere verletzt. Die Sicherheitskräfte hätten inzwischen die Kontrolle über die meisten Teile des Einkaufszentrums, die Geiselnehmer könnten »nicht mehr entkommen«. Armeechef Julius Karangi sprach am Montag von einem »multinationalen« Kommando, das im Auftrag des »Weltterrorismus« handle.

Am frühen Montagnachmittag waren Explosionen und Schüsse zu hören gewesen. Anschließend stieg dichter schwarzer Rauch auf, der mehrere Kilometer weit zu sehen war. Die Polizei teilte mit, es sei gelungen, einige Geiseln aus der Gewalt der Islamisten zu befreien, aber nicht alle.

Nach Angaben des kenianischen Roten Kreuzes wurden seit dem Beginn des Sturms auf das Gebäude am Sonnabend mindestens 69 Menschen getötet, 63 würden noch vermisst, hieß es. Dazu können sowohl Menschen gehören, die von dem Kommando der islamistischen Al-Shabaab-Miliz aus Somalia als Geiseln genommen wurden als auch solche, die möglicherweise ebenfalls getötet wurden.

Das Außenministerium in London teilte mit, die Zahl der getöteten Briten habe sich von drei auf vier erhöht. Der britische Premierminister David Cameron kürzte seinen Besuch auf Schloss Balmoral bei Königin Elizabeth II. ab, um am späten Nachmittag in London eine Krisensitzung zu den Ereignissen in Nairobi zu leiten.

Die Geiselnehmer drohten damit, die noch in ihrer Gewalt befindlichen Geiseln zu töten. Der Sprecher der somalischen Al-Shabaab-Miliz, Ali Mohammed Rage, erklärte auf einer islamistischen Website: »Wir gestatten den Mudschahedin in dem Gebäude, gegen die Gefangenen vorzugehen.« Der Text prangerte zugleich die Einschüchterungsversuche »Israels und anderer christlicher Regierungen« gegen das Al-Shabaab-Kommando in Nairobi an.

Am Sonntagnachmittag hatte sich auch eine israelische Spezialeinheit an Versuchen zur Befreiung der Geiseln beteiligt. Das Westgate-Einkaufszentrum ist zum Teil in israelischem Besitz. Ein Kommando der Al-Shabaab-Miliz hatte das bei begüterten Kenianern und Ausländern beliebte Einkaufszentrum am Sonnabend überfallen. Die Al-Shabaab-Kämpfer bezeichneten den Angriff als Vergeltung dafür, dass kenianische Soldaten das Militär im Nachbarland Somalia im Kampf gegen die Islamisten unterstützt.

Von Sicherheitskameras im Einkaufszentrum aufgenommene Bilder zeigten die ersten Stunden des Angriffs. Wie die kenianische Zeitung »The Standard« berichtete, bestätigten die Aufnahmen, was Zeugen aussagten. Das schwer bewaffnete islamistische Kommando gelangte über mindestens zwei Zugänge in das Gebäude. Die meisten der etwa ein Dutzend Kämpfer kamen demnach über den Haupteingang und stiegen die Treppen zu höheren Stockwerken hoch. Die andere Gruppe gelangte über den Parkplatz in das Gebäude.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag gestattete dem angeklagten kenianischen Vizepräsidenten William Ruto, sich für eine Woche nach Kenia zu begeben. Damit solle er die Möglichkeit haben, sich in die Bemühungen zur Beilegung der Geiselkrise in Nairobi einzuschalten. Die Verteidigung hatte eine zweiwöchige Aussetzung des Prozesses gefordert.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. September 2013


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