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Kenia streikt

Arbeitskämpfe im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Lehrer und Ärzte fordern bessere Ausstattung von Schulen und Krankenhäusern

Von Simon Loidl *

Am Montag hat in Kenia die dritte Streikwoche von Angestellten des öffentlichen Dienstes begonnen. Während bisher alle Gespräche zwischen Gewerkschaften und Regierungsvertretern scheiterten, nehmen unterdessen Einschüchterungsversuche gegen die Streikenden zu.

Am 3. September legten die Lehrer der öffentlichen Schulen ihre Arbeit nieder – fast auf den Tag ein Jahr nach dem letzten Lehrerstreik in dem ostafrikanischen Land. Wie vor zwölf Monaten richtet sich der Protest dagegen, daß der Staat nach Ansicht der Pädagogen zu wenig Mittel für die Bildungseinrichtungen und deren Angestellte zur Verfügung stellt. Seit 2003 die Grundschulbildung und 2008 die mittlere Schulbildung für alle kostenlos wurde, ist das kenianischen Bildungssystem hoffnunglos überlastet. Denn mit diesem Schritt ging auch die Kürzung öffentlicher Gelder für Schulen einher, was zu sinkenden Lehrerzahlen führte, während immer mehr Kinder und Jugendliche in die Schulen strömten – hundert und mehr Schülerinnen und Schüler pro Klasse ist seither die Regel. Bis zu einer viertel Million Lehrerinnen und Lehrer beteiligen sich an dem Arbeitskampf, der vor allem von der Kenya National Union of Teachers (KNUT) organisiert wird.

Der Lehrerstreik ist auch von der Auseinandersetzung zwischen zwei Gewerkschaften geprägt. Während KNUT sich auch nach mehr als zwei Wochen Streik weiterhin kämpferisch zeigt und auf den zu Beginn des Ausstands erhobenen Forderungen nach 300prozentiger Lohnerhöhung beharrt, fordert die Kenya Union of Post-Primary Education Teachers (KUPPET) lediglich einen hundertprozentigen Anstieg der Bezüge. Die KNUT-Forderung hat Bildungsminister Mutula Kilonzo gleich zu Beginn des Arbeitskampfes als indiskutabel zurückgewiesen. Nach Gewerkschaftsangaben geht es dabei aber lediglich um eine Angleichung der Lehrergehälter an jene anderer Angestellter des öffentlichen Dienstes.

Am 6. September legten dann Lektoren und nicht-wissenschaftliches Personal an den Universitäten die Arbeit nieder. Sie fordern Gehaltserhöhungen. Ein Versuch der Regierung unmittelbar nach Beginn des Uni¬streiks, mittels eines Angebots an die Hochschullehrer zumindest eine Gruppe zur Rückkehr an den Arbeitsplatz zu bewegen, wurde von der Gewerkschaft aufgrund der zu geringen Tariferhöhung als »Beleidigung und Verhöhnung« zurückgewiesen.

Aber auch in anderen Teilen des öffentlichen Sektors kämpfen die Angestellten um eine Verbesserung ihrer Situation. Wie bei den Lehrern geht es auch im Gesundheitsbereich nicht nur um Lohnerhöhungen, sondern vor allem um eine bessere Ausstattung der Einrichtungen selbst. Bereits seit August streiken die Assistenzärzte für eine finanzielle Unterstützung während ihrer Ausbildungszeit. Anfang vergangener Woche schlossen sich ihnen die Krankenhausärzte an, was den Arbeitskampf im Gesundheitssektor erst richtig in Gang brachte. Derzeit wird an den öffentlichen Krankenhäusern nur Notversorgung durchgeführt. Die Ärzte fordern mehr Geld für Krankenhäuser und den Ausbau der Versorgung durch zusätzliche Gesundheitseinrichtungen. Aufgrund einer Einigung zwischen Gewerkschaft und Regierung im vergangenen Jahr hätten 200 zusätzliche Ärzte angestelllt werden müssen, nach Angaben der Streikenden wurden aber lediglich 57 neue Mediziner aufgenommen. Zudem beklagen die Streikenden Mißwirtschaft und Veruntreuung von öffentlichen Mitteln. So seien etwa Gelder, die für die Bezahlung von Weiterbildungsmaßnahmen von Ärzten reserviert gewesen seien, »auf mysteriöse Weise verschwunden«, wie ein Gewerkschaftssprecher laut der kenianischen Tageszeitung The Standard sagte.

Alle Gespräche zwischen Gewerkschaften und Regierung sind bislang gescheitert. Ärzte und Lehrer wollen ihren Protest fortsetzen und kündigten am Wochenende an, daß die Maßnahmen noch ausgeweitet werden sollen, wenn weitere Verhandlungen ergebnislos blieben. Auch das Universitätspersonal verlautbarte am Sonntag, daß der Arbeitskampf trotz Einschüchterungsversuchen fortgesetzt würde. Am Samstag hatten Vertreter der Regierung erklärt, daß der Streik vom Arbeitsgericht als illegal eingestuft worden sei und alle, die am Montag die Arbeit nicht wieder aufnehmen würden, mit Entlassung zu rechnen hätten. Auch die Lehrer und Ärzte wiesen Äußerungen von Politikern und Kommentatoren zurück, wonach ihre Forderungen illegitim seien und die Proteste auf dem Rücken von Schülern und Kranken ausgetragen würden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 18. September 2012


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