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Kenia interniert Somalis

Nairobi weist Zehntausende in ein schon überfülltes Flüchtlingslager ein

Von Knut Mellenthin *

Kenia will alle somalischen Flüchtlinge, die gegenwärtig in der Hauptstadt Nairobi und anderen Städten leben, in Dadaab internieren. Dieses »größte Flüchtlingslager der Welt«, in dem heute schon mehr als 450000 Menschen, fast ausschließlich Somalis, zusammengepfercht sind, war bei seiner Anlage in den 1990er Jahren auf eine Kapazität für maximal 100000 Menschen ausgelegt worden. Die Überbelegung auf fast das Fünffache und das unzureichende Sanitärsystem fördern den Ausbruch und die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten. Ein Großteil der Opfer sind kleine Kinder. Alle in Dadaab, eigentlich ein 50 Quadratkilometer großer Komplex aus mindestens drei verschiedenen Camps, tätigen internationalen Hilfsorganisation klagen seit Jahren, daß sie aufgrund des Fehlens finanzieller Mittel und extremer Überbeanspruchung ihres Personals die Arbeit nicht im erforderlichen Umfang leisten können.

Es sind vermutlich mehr als 100000 somalische Flüchtlinge, die die Regierung jetzt zusätzlich in den überfüllten Lagerkomplex sperren will. Der Begriff »Flüchtlinge« ist dabei allerdings zweifelhaft. In Kenia, vor allem im Norden des Landes, leben seit Jahrhunderten zahlreiche Somalis und bilden dort mancherorts die Mehrheit. Außerdem sind viele somalische Migranten, die jetzt zum Beispiel den Stadtteil Eastleigh in Nairobi bewohnen, schon in den frühen 1990er Jahren während des damaligen Bürgerkriegs eingewandert. Manche betreiben inzwischen Ladengeschäfte, kleine Schneidereien oder andere handwerkliche Familienbetriebe. Ein dritter Teil sind tatsächlich Flüchtlinge aus jüngster Zeit, die gegenwärtig aber nicht in Lagern, sondern in städtischen somalischen Communities leben.

Wörtlich besagt der am Dienstag veröffentlichte Internierungsbefehl: »Alle Asylbewerber und Flüchtlinge müssen sich in den Dadaab-Flüchtlingslagern melden. Asylbewerber aus anderen Ländern müssen sich im Flüchtlingslager Kakuma melden.« In diesem Camp ist nach Aussagen von Hilfsorganisationen mit mehr als 100000 Bewohnern die Kapazitätsgrenze auch schon überschritten. Mehr als die Hälfte der Menschen dort sind ebenfalls Somalis, der andere Teil hauptsächlich Sudanesen und Südsudanesen.

Die vom kenianischen Flüchtlingskommissar Badu Katelo unterzeichnete Anordnung erhält zudem die Ankündigung, daß alle städtischen Registrierungsstellen für Flüchtlinge sofort geschlossen werden. Die internationalen Hilfsorganisationen werden aufgefordert, Dienstleistungen wie die Verteilung von Lebensmitteln in den Städten zu beenden.

In der Erläuterung seines Befehls suchte Katelo gar nicht erst nach technischen Ausreden. Alle Somalis müßten in Dadaab interniert werden, weil sie »zur Unsicherheit im Land beitragen«. Er bezog sich dabei auf eine Reihe von Anschlägen, meist mit Handgranaten ausgeführt, die die Regierung regelmäßig der islamistischen Organisation Al-Schabab zuschreibt. »Die Leute, die die Angriffe unternehmen, leben unter den Flüchtlingen. Die Kenianer betrachten diese als Gefahr für ihr Leben«, sagte Katelo.

Beweise für die unterstellte Verbindung gibt es nicht. Fakt ist aber, daß auf solche Anschläge meist brutale »Vergeltungsaktionen« gegen die in kenianischen Städten lebenden Somalis folgten. So gab es in Eastleigh Mitte November ein Pogrom aufgeputschter Jugendlicher, nachdem bei einem unaufgeklärten Anschlag auf einen Kleinbus neun Menschen getötet worden waren. Parallel dazu verhaftete die Polizei willkürlich mehrere hundert Somalis, darunter angeblich auch Kinder.

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. Dezember 2012


Pflicht zur Hilfe

Flüchtlingslager in Afrika

Von Knut Mellenthin **


Die kenianische Regierung will in dem jetzt schon völlig überfüllten »größten Flüchtlingslager der Welt« in Daadab weitere 100000 Somalis internieren, die bisher in den Städten gelebt haben. Für viele kleine Kinder wäre das praktisch der fast sichere Tod. Schon jetzt leben dort mehr als 450000 somalische Flüchtlinge, obwohl der Lagerkomplex in den 1990er Jahren nur für ein Fünftel dieser Zahl angelegt worden war.

Dadaab ist finanziell und folglich auch in jeder anderen Hinsicht unterversorgt. Daß die Gelder von den internationalen Hilfsorganisationen permanent neu eingeworben werden müssen, wobei sie nie rechtzeitig das erhalten, was sie benötigen, stellt eine zusätzliche Erschwernis für ihre Arbeit dar. Die Leiterin der Kenia-Mission von »Ärzte ohne Grenzen« erklärte dieser Tage gegenüber BBC, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Dadaab seien »total überlastet« und müßten »unter extremen Bedingungen« arbeiten. Überschwemmungen in jüngster Zeit hätten die ohnehin schon unzureichende sanitäre Lage weiter verschlechtert, Cholera und Gelbsucht seien ausgebrochen, die Unterernährung von Kindern nehme zu. Gleichzeitig wies das ebenfalls in Dadaab tätige World Food Programme der Vereinten Nationen darauf hin, daß man dort für die nächsten sechs Monate vor einer Finanzierungslücke von 34,5 Millionen Dollar stehe. Ohne neue Zuschüsse würden die Lebensmittelvorräte im Februar zu Ende gehen oder die Rationen müßten verkleinert werden.

Viele gerade der größten Flüchtlingslager liegen in Ländern, die damit völlig überfordert sind. Vermutlich nicht ein einziges von ihnen ist ausreichend finanziert. Die unerträgliche Situation bringt Zehntausende Menschen um ihr Recht auf Leben und Gesundheit. Die meisten Opfer sind Kinder in ihren ersten Lebensjahren.

Die »internationale Gemeinschaft«, repräsentiert durch den UN-Sicherheitsrat, muß sich dringend ihrer Verantwortung stellen und die finanzielle Sicherung der Lager gewährleisten. Dazu wäre ein Fonds zu errichten, für den überschlägig deutlich weniger als drei Milliarden Dollar im Jahr benötigt würden. Es wäre sinnvoll, diesen Fonds um eine ständige Reserve zu erweitern, aus der Soforthilfe bei Hungersnöten wie im vorigen Jahr in Somalia geleistet werden kann, damit nicht Hunderttausende sterben müssen, weil die »internationale Gemeinschaft« regelmäßig zu spät und zu unzureichend zahlt. Dieser Fonds sollte auch ein Frühwarnsystem mit schnellen Reaktionen einschließen, da Hungersnöte heutzutage keine plötzlich hereinbrechenden Schicksalsschläge mehr sind.

Was insgesamt benötigt wird, müßten Experten errechnen. Grob geschätzt sollten es pro Jahr weniger als zehn Milliarden Dollar sein. Das wären rund 1,5 Prozent des US-Militärhaushalts, verteilt auf die gesamte »internationale Gemeinschaft«. Und das soll nicht zu leisten sein?

** Aus: junge Welt, Freitag, 21. Dezember 2012


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