Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg und Verbrechen

Nairobis Intervention in Somalia geht mit Übergriffen gegen ethnische Minderheiten in Kenia selbst einher

Von Knut Mellenthin *

Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft den kenianischen Sicherheitskräften schwere Übergriffe gegen die im Land lebenden Somalis und andere ethnische Gruppen vor. Betroffen sind sowohl kenianische Staatsbürger – es gibt dort eine starke somalische Minderheit – als auch Flüchtlinge aus dem Nachbarland. Allein im größten der Flüchtlingslager, Dadaab, leben mehr als 460000 Menschen.

Die von HRW beklagten Verbrechen und Mißhandlungen – die Rede ist von »Vergewaltigungen, Prügel, Plündern, Demütigungen und willkürlichen Festnahmen« – sind eine Begleiterscheinung des Eingreifens in den somalischen Bürgerkrieg. Im Oktober hatte Nairobi mehrere tausend Angehörige seiner Streitkräfte über die Grenze geschickt, um in drei Regionen Südsomalias gegen die islamistische Organisation Al-Schabab zu kämpfen. Vorwand für die Intervention war die Entführung mehrerer ausländischer Touristen und Experten in Kenia. Al-Schabab bestritt jedoch von Anfang an jede Beteiligung an diesen Taten. Die Umstände sprechen eher dafür, daß sie von einheimischen Kriminellen ohne politischen Hintergrund begangen wurden.

Die kenianische Invasion ist bis jetzt kaum vorangekommen. Insbesondere hat sie ihre erklärten Nahziele, die Eroberung der Städte Kismajo – mit einem wirtschaftlich und finanziell bedeutenden Hafen – und Afmadow nicht erreicht. Statt dessen terrorisieren kenianische Kampfhubschrauber und Flugzeuge die Zivilbevölkerung mit Luftangriffen. Bevorzugt attackiert werden öffentliche Struktureinrichtungen wie Schulen, Flüchtlingslager, Hospitäler und Lebensmittel-Ausgabestellen. Immer wieder gibt es Berichte von Augenzeugen über getötete und verletzte Kinder und Frauen. Kenias Militär hat die Bevölkerung wiederholt aufgerufen, sich von allen Einrichtungen fernzuhalten, die von der Al-Schabab-Verwaltung betrieben werden. Nairobi hat darüber hinaus gedroht, die Luftangriffe auch auf somalische Orte außerhalb des Operationsgebiets seiner Streitkräfte auszudehnen, bis in die Umgebung der Hunderte Kilometer weiter nördlich gelegenen Hauptstadt Mogadischu.

Al-Schabab hat als Reaktion eine Reihe bewaffneter Attacken auf kenianischem Gebiet und anscheinend auch im Flüchtlingslager Dadaab unternommen. Vor wenigen Tagen wurden bei einem solchen Angriff auf einen Polizeiposten im Grenzgebiet mehrere Angehörige der kenianischen Sicherheitskräfte und der örtlichen Verwaltung getötet oder gefangengenommen. Die von HRW beklagten Menschenrechtsverletzungen haben im Gefolge des Einmarsches ins Nachbarland stark zugenommen.

In ihrem jüngsten Bericht beschreibt die Organisation mehrere Übergriffe, die unmittelbar im Zusammenhang mit mutmaßlichen Al-Schabab-Aktionen stattfanden. So hätten Polizei und Militär nach zwei Attacken in den nordkenianischen Städten Garissa und Mandera »Hunderte von Verdächtigen zusammengetrieben. Sie wurden so heftig geschlagen, daß einige von ihnen Knochenbrüchen erlitten«. Auch in den folgenden Tagen seien viele Somalis willkürlich festgenommen und in einem Militärlager mit Schlägen zu demütigenden »Übungen« gezwungen worden. Als unmittelbare Reaktion auf die Explosion einer Mine im Flüchtlingslager Dadaab seien mindestens sieben Frauen von kenianischen Soldaten vergewaltigt worden.

* Aus: junge Welt, 19. Januar 2011


Zurück zur Kenia-Seite

Zur Somalia-Seite

Zurück zur Homepage