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Wer darf an den Tisch?

Schwierige Gespräche über den Kaukasus-Konflikt: In welcher Form neben Rußland und Georgien auch Südossetien und Abchasien teilnehmen, bleibt strittig

Von Knut Mellenthin *

In Genf beginnen am heutigen Mittwoch (15. Okt.) Gespräche über die Situation nach dem georgisch-russischen Vier-Tage-Krieg im August. Beteiligt sind neben Rußland, den USA und Georgien auch die EU, die OSZE und die UNO. Ebenfalls dabei sind die bisher nur von Rußland anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien, doch wird über den exakten Status ihrer Teilnahme wohl noch gestritten werden. Rußland möchte, daß sie gleichberechtigt an allen Gesprächen beteiligt werden. Die Vorstellungen der USA und der EU gehen dahin, sie nur an den Arbeitsgruppen, aber nicht an den politisch entscheidenden Vollversammlungen teilnehmen zu lassen. Georgien will die beiden abtrünnigen Republiken im ersten Stadium der Gespräche überhaupt nicht dabei haben, und später auch nur, wenn die von Tbilissi abhängigen »Gegenregierungen« Südossetiens und Achasiens ebenfalls zugelassen werden.

Auf der Agenda der Gespräche, die sich vermutlich über mehrere Monate hinziehen werden, stehen folgende Punkte: Stabilität und Sicherheit in der Region sowie Rückkehr der Flüchtlinge. »Andere Themen sollen zwischen den Seiten vereinbart werden«, heißt es. Dabei wird es insbesondere um den Status der beiden Anfang der 1990er Jahre von Georgien abgefallenen Republiken gehen.

Die heutige Auftaktsitzung dürfte sich vorrangig mit Verfahrensfragen beschäftigen. Hauptstreitpunkt dürfte dabei die Form der Teilnahme von Südossetien und Abchasien sein. Daß USA und EU die russische Forderung nach voller Gleichberechtigung akzeptieren, womit sie die Anerkennung der Republiken präjudizieren würden, scheint ausgeschlossen. Andererseits wird Rußland kaum hinnehmen, daß die Vertreter der beiden Republiken allzu eindeutig als Teilnehmer zweiter Klasse am Katzentisch plaziert werden.

EU-Politiker haben bereits angekündigt, daß in Genf der Streit um die unterschiedlichen Auslegungen der international garantierten Waffenstillstandsvereinbarungen ausgetragen wird. Dabei geht es um die russische Truppenpräsenz in Südossetien und Abchasien ebenso wie um die Forderung der Europäer, EU-Beobachter nicht nur in die Sicherheitszonen auf georgischem Territorium, sondern auch in die beiden Republiken schicken zu dürfen. Die russische Regierung hat bereits klargemacht, daß dies nur mit Zustimmung der Südosseten und Abchasen möglich wäre - und die haben bisher abgelehnt. Allerdings sind in Abchasien Beobachter der UNO tätig, deren Mandat am 10. Oktober um vier Monate verlängert wurde.

Rußland hat am 8. Oktober - zwei Tage früher als vereinbart - den Abzug seiner Truppen aus den Sicherheitszonen abgeschlossen. Dort sind jetzt 230 Beobachter aus 22 EU-Staaten im Einsatz. Chef der European Union Monitoring Mission (EUMM) ist der deutsche Diplomat Hansjörg Haber.

Georgien fordert aber, daß Rußland seine Truppen darüber hinaus auf die Stellungen vor Kriegsbeginn zurückziehen soll. Die Regierung in Tbilissi hat dabei die Rückendeckung der USA und der EU. Tatsächlich kann dieses Verlangen sich auf die von Frankreich vermittelte, am 12. August abgeschlossene Waffenstillstandsvereinbarung stützen. Rußland argumentiert aber, daß sich die Situation inzwischen grundlegend geändert habe, nachdem Südossetien und Abchasien selbständige Völkerrechtssubjekte sind.

Bis zum Krieg wurde ungefähr ein Drittel Südossetiens von georgischer Polizei, Armee und illegalen Milizen kontrolliert. Das betraf den Bezirk Akhalgori im Osten der Republik, eine Reihe von Dörfern rund um die Hauptstadt Tschinwali sowie das Grenzgebiet im Westen Südossetiens. In Abchasien hielten georgische Truppen das strategisch wichtige obere Kodori-Tal besetzt. Insbesondere ihre Stellungen um Tschinwali waren immer wieder Ausgangspunkt von militärischen Provokationen. Von hier wurde die südossetische Hauptstadt auch in der Nacht des 7. August beschossen, womit der georgische Überfall »zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung« begann.

Es scheint ausgeschlossen, daß Südossetien und Rußland eine Rückkehr zu der konfliktträchtigen Lage vor dem Krieg zulassen werden. In diesem Zusammenhang wird sich auch die Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Südossetien kompliziert und langwierig gestalten. Georgien hat jene Teile Südossetiens und Abcha­siens, die es de facto kontrolliert hatte, durch den von Präsident Michail Saakaschwili angeordneten Angriffskrieg definitiv verloren.

Dieses Problem droht auch die Beziehungen zwischen EU und Rußland zu belasten. Die europäischen Staaten hatten am 1. September den Beschluß gefaßt, die Gespräche mit Moskau über »Partnerschaft und Zusammenarbeit« zu unterbrechen, »solange sich die (russischen) Truppen nicht auf die vor dem 7. August gehaltenen Positionen zurückgezogen haben«. Rußland wird dieser Forderung nicht nachkommen, und die europäischen Regierungen müssen versuchen, aus ihrer selbstverursachten Blockade möglichst elegant wieder herauszukommen. Insbesondere Italien und Deutschland drängen darauf, die Gespräche mit Rußland recht bald wieder aufzunehmen. Dagegen opponieren vor allem die drei baltischen Staaten, Polen, Österreich, Schweden und Tschechien. Bei einem Treffen der EU-Außenminister am vergangenen Montag wurde die Entscheidung vertagt.

Hintergrund: Tbilissi immer näher ran an die NATO

Der NATO-Georgien-Ausschuß (NGC) ist am 10. Oktober erstmals auf Ministerebene zusammengetreten, um über die Unterstützung der Wiederaufrüstung Tbilissis nach dem Krieg zu beraten. Die Bildung des NGC hatten die NATO-Verteidigungsminister im September vereinbart. Der Ausschuß soll regelmäßig tagen und damit auch die immer enger werdende Verbindung zwischen Georgien und der westlichen Allianz zur Schau stellen. Vor allem in den USA fordern einflußreiche Stimmen, nicht nur die volle Kriegsfähigkeit Georgiens wiederherzustellen, sondern zentrale Sektoren wie die Luftabwehr und die Panzerbekämpfung völlig neu mit moderner westlicher Technologie auszustatten. Ein großer Teil der Waffen der georgischen Streitkräfte stammt noch aus der Produktion der Sowjetunion. Rußland hat, um eine neuerliche georgische Aggression zu verhüten, ein internationales Waffenembargo vorgeschlagen. Die Idee ist aber mit Sicherheit chancenlos.

Unterdessen macht sich die US-Regierung öffentlich dafür stark, Georgien schon auf der nächsten NATO-Tagung im Dezember einen Membership Action Plan (MAP) anzubieten und das Land damit auf dem Weg zur Aufnahme in den Pakt eine Stufe nach oben zu befördern. Ein solcher Schritt war auf der letzten NATO-Tagung im April nicht konsensfähig. »Ich werde unsere Verbündeten drängen, den MAP für Georgien und Georgiens Anstrengungen zur Durchsetzung erforderlicher Reformen« - gemeint ist die Modernisierung seiner Streitkräfte und deren Anpassung an die NATO-Standards - »zu unterstützen«, sagte US-Verteidigungsminister Robert Gates am 9. Oktober. Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 2.Oktober bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in St. Petersburg erklärt, die Zeit sei »noch nicht reif«, Georgien und der Ukraine MAPs anzubieten.

Die NATO-Ambitionen beider Länder sind eng miteinander verbunden. Ein MAP für Georgien würde fast automatisch auch einen gleichen Schritt für die Ukraine zur Folge haben. Eine große Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung lehnt jedoch eine NATO-Mitgliedschaft ab.

(km)



* Aus: junge Welt, 15. Oktober 2008


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