NATO will über Georgien Einfluss im Kaukasus
Machtpolitische Ziele überdecken eigene Bedenken
Von Hans Voss *
Die NATO-Außenminister blieben auf ihrer Sondersitzung zum Konflikt in der Kaukasusregion ihrem
bisherigen Kurs treu, die Verantwortung des georgischen Präsidenten Saakaschwili zu
verharmlosen. Ihr verbales Feuer richteten sie vielmehr auf Russland.
Sofortiger Rückzug der russischen Streitkräfte von georgischem Territorium oder es drohen
Konsequenzen -- so die Botschaft der NATO aus Brüssel. Die Mitgliedstaaten forderten jetzt Moskau
auf, die territoriale Integrität Georgiens zu respektieren. Überhaupt stand das künftige Verhältnis der
Allianz zu Moskau auf dem Treffen am Dienstag im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, ganz im Sinne
der von einigen Regierungen forcierten antirussischen Kampagne.
Man fragt sich, mit welchem Recht die NATO über Vorgänge außerhalb ihres Bündnisgebietes
urteilt. Das wäre Sache der Vereinten Nationen. Man fragt sich auch, mit welcher Berechtigung die
NATO von Russland die Achtung der territorialen Integrität Georgiens einfordert. Schließlich hat der
georgische Präsident mit seiner abenteuerlichen Politik die Integrität selbst in Frage gestellt.
Außerdem waren es doch gerade die NATO-Staaten, die kürzlich durch die Anerkennung eines
unabhängigen Kosovo die territoriale Integrität Serbiens zerschlugen. Die das getan haben, eignen
sich schlecht als Mahner für den Kaukasus.
Den NATO-Staaten geht es mit Blick auf Georgien nicht zuerst um die Bewahrung des Rechts. Sie
möchten mit seiner Paktzugehörigkeit den dauerhaften Einfluss der Militärallianz im Kaukasus
sichern. Seit Langem strebt die georgische Führung danach, Mitglied der NATO zu werden. Wenn
es nach George W. Bush gegangen wäre, der alles tut, um Georgien gegen Russland in Stellung zu
bringen, hätte der NATO-Gipfel am 3. April in Bukarest einen Beschluss über die Eröffnung des
Aufnahmeverfahrens für Georgien wie für die Ukraine gefasst. Doch während für Albanien und
Kroatien ein solcher Beschluss zustande kam, wurde die Entscheidung für Georgien und die Ukraine
vorerst zurückgestellt. Auch von der Bundesregierung wurde das mit der Notwendigkeit begründet,
zunächst Probleme zu lösen, die nicht in die NATO hineingetragen werden sollten. Im Falle
Georgiens wurde auf das Unabhängigkeitsstreben Südossetiens und Abchasiens verwiesen, wofür
es zunächst eine Lösung geben müsse.
Die enttäuschten Politiker Georgiens und der Ukraine wurden mit der Zusicherung getröstet, dass
der Zeitpunkt für die Paktmitgliedschaft ihrer Länder kommen werde und verankerte das
Versprechen im Abschlussdokument von Bukarest. Dort wird auch der Grundsatz bestätigt, dass die
NATO weiteren Staaten zum Beitritt offenstehe. Gewicht hat schließlich die Festlegung, dass die
Außenminister des Paktes autorisiert sind, auf ihrer Dezember-Tagung darüber zu entscheiden, ob
der Aufnahmeprozess für beide Länder in Gang gesetzt wird.
Nun hat Saakaschwilli mit seinem Angriff auf Südossetien nicht nur seinem eigenen Lande Schaden
zugefügt, sondern auch die Hürden für eine NATO-Mitgliedschaft beträchtlich erhöht. Viele
Beobachter sind deshalb der Meinung, dass in absehbarer Zeit nicht über eine Aufnahme Georgiens
entschieden werden könne. Die NATO dürfe nicht mit den Folgen eines militärischen Abenteuers
belastet werden.
Doch erneut zeigt sich, was mit Grundsätzen geschieht, wenn sie den eigenen machtpolitischen
Zielen im Wege sind. Es war Kanzlerin Angela Merkel, die bei ihrem Besuch in Tbilissi versicherte,
dass Georgien früher oder später in die NATO aufgenommen werde. An der Grundsatzentscheidung
ändere sich nichts. Dieser Meinung schlossen sich die NATO-Außenminister auf ihrer Sondertagung
in Brüssel an. Auch sie hielten an den Bukarester Zusicherungen fest. Ob die Außenminister, wie
anvisiert, auf ihrer Dezembertagung die Tür für Aufnahmeverhandlungen öffnen werden, ist jedoch
ungewiss. Zweifler bleiben skeptisch. Für die USA-Außenministerin gibt es allerdings keine
Veranlassung, vom vorgesehenen Zeitplan abzuweichen. Dazu passt, dass die NATOAußenminister
Georgien eine umfangreiche, auch militärische Unterstützung bei der Beseitigung der
Kriegsfolgen zusagten.
Gegen Russland hingegen wurde in Brüssel eine wesentlich härtere Gangart angeschlagen. So wird
die Tätigkeit des NATO-Russland-Rates zeitweilig ausgesetzt. Allerdings beeilt sich die NATO zu
versichern, dass sie keineswegs die Absicht habe, alle Kommunikationskanäle mit Moskau zu
kappen. Darüber, welchen Wert dieses zwiespältige Herangehen hat, streiten sich im Augenblick die
Kommentatoren. Moskau jedenfalls betrachtet solche Schritte als unfreundlichen Akt und als
Belastung der Beziehungen.
* Aus: Neues Deutschland, 21. August 2008
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