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Zu viele Probleme in Genf

Kaukasus-Gespräche wegen "prozeduraler Schwierigkeiten" vertagt

Von Knut Mellenthin *

Kaum hatten am Mittwoch in Genf die Gespräche über Sicherheit und Stabilität im Kaukasus begonnen, wurden sie auch schon vertagt. Als Grund wurden »prozedurale Schwierigkeiten« angegeben. Am 18. November will man sich wieder treffen, in der Hoffnung, die Probleme bis dahin aus dem Weg räumen zu können.

Am Tisch der »Beratungen« – das Wort »Verhandlungen« wurde im Vorfeld des ersten Treffens gestrichen – sitzen, zumindest in der Theorie, Rußland, die USA und Georgien sowie die UNO, die EU und die OSZE. US-Diplomaten sprechen deshalb von »3 + 3«. Rußland besteht aber auf »5 + 3«, nämlich der gleichberechtigten Teilnahme der Republiken Südossetien und Abchasien. Am 15. Oktober in Genf kam es nicht einmal zu einer gemeinsamen Sitzung: Wenn Russen, Südosseten und Abchasen im Raum waren, hielt sich die georgische Delegation anderswo auf – und umgekehrt. Internationale Diplomaten eilten vergeblich hin und her, um zu vermitteln.

Georgien will durchsetzen, daß die beiden bisher nur von Rußland und Nikaragua anerkannten Republiken am offiziellen Teil der Gespräche überhaupt nicht teilnehmen dürfen, sondern nur an den »informellen« Arbeitsgruppen. Dort werden die Teilnehmer lediglich mit ihrem Namen aufgeführt, aber nicht mit dem Land, das sie vertreten. Selbst dieser Regelung will Georgien aber nur zustimmen, wenn auch die in Tbilissi residierenden »Gegenregierungen« von Exil-Abchasen und -Südosseten dabei sein dürfen. Der US-Vertreter beim Genfer Treffen, der Unterstaatssekretär im Außenministe­rium Daniel Fried, unterstützt die georgische Position. Die Haltung der europäischen Staaten ist nicht so eindeutig und vor allem nicht einheitlich.

Bevor man sich am 18. November wieder trifft, stehen zwei weitere wichtige Termine an: Am 14. November soll ein europäisch-russisches Gipfeltreffen in Nizza stattfinden. Der Außenpolitik-Chef der EU, Javier Solana, hofft, daß die Union bis dahin einen Konsens gefunden hat, wie es mit den europäisch-russischen Gesprächen über »Partnerschaft und Zusammenarbeit« weitergehen könnte. Die EU hatte diese Gespräche am 1. September wegen des Kaukasus-Krieges unterbrochen und will sie erst wieder aufnehmen, wenn Rußland seine Truppen auf die Stellungen zurückgezogen hat, in denen sie sich vor dem georgischen Überfall am 7. August befanden. In der Konsequenz läuft das auf die Forderung hinaus, Georgien Teile Abchasiens und Südossetiens zu überlassen, in denen es sich lange vor dem Krieg illegal militärisch festgesetzt hatte. Rußland wird dem Verlangen nicht nachkommen. In dieser Situation scheinen insbesondere Ita­lien, Deutschland und Frankreich dafür zu plädieren, die Gespräche trotzdem bald wieder aufzunehmen. Hingegen beharren vor allem die baltischen Staaten, Polen, Schweden und Großbritannien auf volle Erfüllung der Vorbedingung. Einige europäische Politiker hoffen, diesen Streit beim nächsten Treffen der EU-Außenminister am 10. Oktober beilegen zu können.

Unterdessen hat am 15. Oktober der Internationale Gerichtshof in Den Haag über einen georgischen Eilantrag entschieden: Georgien wollte erreichen, daß Rußland aufgefordert wird, angebliche ethnische Säuberungen in Südossetien sofort einzustellen. Statt dessen forderte das Gericht sowohl Rußland als auch Georgien auf, auf »rassische Diskriminierung« von Personen, Personengruppen oder Institutionen zu verzichten. Außerdem sollen beide Staaten alles in ihrer Macht stehende tun, um Personen, ihre Rechte und ihr Eigentum zu schützen.

Georgische Politiker sprechen von einem großen Sieg und völliger Erfüllung ihrer Forderungen. Russische Sprecher hingegen verweisen darauf, daß der Gerichtshof nur die allgemeinen Verpflichtungen festgestellt hatten, die für alle Staaten gelten.

Über Georgiens Hauptsacheantrag, Rußland wegen Verletzung der Konvention gegen rassische Diskriminierung zu verurteilen, wird das Haager Gericht wohl erst in vielen Monaten entscheiden – falls es sich überhaupt für zuständig erklärt.

* Aus: junge Welt, 17. Oktober 2008


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