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Von Adlertanz und Krieg

KAUKASUS

Von Klaus Joachim Herrmann *

Der Kaukasus ist nicht erst seit Karl May eine Versuchung. Schroffe Berge, karge Täler. Hier gibt es die ältesten Alten, und die gelten noch richtig was. Hier lauern Abenteuer und man kann jung sterben -- in brennender Leidenschaft oder in einem männlichen Streit. Auf Kriegszügen auch. Vom lauernden Tschetschenen mit Dolch dichtete gruselnd der verbannte Russe Lermontow.

Über den malerischen Kaukasus und seine Menschen, über nicht selten blutige Irrungen und Wirrungen lässt sich trefflich fabulieren. Vor allem aus der sicheren Ferne. Solcher Versuchung erliegen zuweilen auch Journalisten-Kollegen. Vor allem von weither lassen sich die großen Rätsel ja stets am besten lösen.

Sachkunde offenbart sich freilich in anderer Weise, sie speist sich besser vor Ort. Manfred Quiring war dort, wo Prometheus an die Felsen geschmiedet war und der Berg Elbrus in der Antike als das Ende der Welt galt. Erstmals 1982 führte den Korrespondenten eine Reise nach Dagestan. Er begegnete dem Dichter Rassul Gamsatow, besuchte die alte Hafenstadt Derbent und wurde in den Bergen von den Silberschmieden von Kubatschi zum traditionellen Adlertanz gebeten. Schon dies ist mehr, als manch sogenannter Experte aufbieten könnte.

Sein Buch hätte aus vielen Gründen einen besseren als den Allerweltstitel »Pulverfass Kaukasus« verdient. Denn der Autor hat mehr zu bieten als die übliche Kost. Er rechnet den Zeitraum seiner Reisen in den Nord- und Südkaukasus nach drei Jahrzehnten, ist ebenfalls Jahrzehnte Moskauer Korrespondent. Einige Jahre davon waren wir es gemeinsam in der sowjetischen und dann der Hauptstadt Russlands.

Das war nicht nur die Zeit von Perestroika und Glasnost, sondern auch eine Zeit des Übergangs. Das Imperium zerbrach, und der Zerfall offenbarte auch geografisch die schwachen Stellen. Dem Kreml entglitt ein Riesenreich, das sich insbesondere an den fernen Rändern auf seine Weise neu und dabei auch auf alte Weise wieder zu ordnen suchte. Schon solche islamisch geprägten und zur Russischen Föderation gehörenden Republiken im Norden des Großen Kaukasus wie Tschetschenien, Inguschetien oder Nordossetien offenbaren bei ihrer Nennung Konfliktstoff. Im Süden sieht es nicht besser aus. Hier liegen mit den souveränen Staaten Aserbaidshan, Georgien und Armenien strategische Probleme für Moskau.

Mit Manfred Quiring in die Geschichte zu blicken lohnt. Denn manche Erklärungen finden sich erst, wenn man von der Kosakenfestung Iwan des Schrecklichen am Ufer des Kaspischen Meeres weiß, von den zerschlagenen Expeditionsheeren Zar Fjodors oder des Zaren Boris Godunow. Zar Peter zog nicht nur nach Norden und in Richtung Europa, er eroberte auch Dagestan.

Beim Blick auf Tschetschenien wagt der Autor denn auch die historische Parallele zu General Jermolow. Der war 1816 zum Oberkommandierenden der russischen Kaukasus-Truppen ernannt worden und ging als »Schlächter des Kaukasus« besonders brutal gegen die Tschetschenen als »die übelsten aller Räuber« vor. Fast 200 Jahre später sei diese arrogante Beurteilung von den russischen Streitkräften in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wiederholt worden -- »zur Rechtfertigung von zwei blutigen Kriegen, die mit ihrer Grausamkeit selbst General Jermolow beeindruckt hätten«.

Mit Manfred Quiring gemeinsam unternimmt der Leser eine lange, spannende Reise durch Zeiten und Orte. Georgien, Aserbaidshan, Armenien sind große Stationen, die Emirate Adat und Schariat, Nordossetien oder die Kosakensiedlung Stawropol kleine. Wie es aber beim Reisen so ist, sollte man in dieser Begleitung jede Station ein wenig klüger verlassen.

Manfred Quiring: Pulverfass Kaukasus. Ch. Links Verlag: Berlin 2009, 200 S., brosch., 16,90 EUR; ISBN: 3861535149

* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2009 (Literaturbeilage zur Leipziger Buchmesse)


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