Der Kampf um das Öl am Kaspischen Meer
Daten, Fakten und Trends bis Anfang September 2001
Von Detlef Bimboes*
1. zur Aktualität der Vergangenheit in der Gegenwart
Der Zusammenbruch der Sowjetunion, das Ende des Stillstands der bipolaren Nachkriegsordnung und der Drang der Globalisierung haben zu gefährlichen Entwicklungen am Kaspischen Meer und im Kaukasus geführt. Es ist ein alter Krisenherd, der in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder zu Konflikten und Kriegen um politische Vormacht, Wirtschafts- und Handelskriegen erschüttert worden ist. Hier kämpften in der Vergangenheit das türkische, persische und russische Reich um Macht und Einfluss. Die russische Eroberung Mittelasiens verstärkte die das gesamte 19. Jahrhundert bestimmende Rivalität zwischen russischem und britischem Imperialismus. Russland wurde durch die Eroberung Mittelasiens auf den Baumwollmärkten zunehmend zum kolonialen Konkurrenten Englands in Asien.
Die Ölreichtümer am Kaspischen Meer wurden erst bedeutsamer nach dem Debakel Russlands im Krim-Krieg, also nach 1856. Russland musste dringend modernisiert werden. Es verwandelte sich mit westeuropäischem Kapital in ein Treibhaus des Kapitalismus. Für das aus dem Erdöl gewonnene Petroleum stand ein riesiger Binnen- und Exportmarkt bereit. Russland wurde so kurzzeitig, beherrscht von westeuropäischem Kapital in den Ölförder-gebieten, zwischen 1898 und 1901 zum größten Ölzentrum der Erde.
Öl war inzwischen auch militärisch immer wichtiger geworden. Anfangs vor allem als Treibstoff für die englische Kriegsflotte, dann aber auch für die Schlachtflotten aller übrigen Großmächte. Um die Rohstoffbeschaffung für die englische Kriegsflotte sicherstellen zu können, kaufte der Royal-Dutch-Shell-Konzern 1912 die Besitzungen des französischen Bankiers Rothschild am Kaspischen Meer. Damit hatte englisches Kapital die Vorhand in diesem Gebiet.
Auch das deutsche Kaiserreich brauchte dringend Erdöl für Hochrüstung und Motorisierung seiner Militärmaschinerie. Die mit vor diesem Hintergrund entstandene Berlin-Bagdad-Politik war einer der wesentlichen Gründe, die zum I.Weltkrieg geführt haben. Deutschlands militärische Operationen waren aber, das zeigen die Unterlagen des Generalstabs von Wilhelm II., nicht nur darauf angelegt, den Zugriff auf die Erdölreserven von Rumänien, Anatolien, Mossul, Nordpersien zu gewinnen. Auch die des Kaukasus waren von hohem Interesse, zumal deutsche Wirtschaftskonzerne hier bereits seit langem große Mangan- und Kupfervorkommen ausbeuteten. Beinahe wäre es Deutschland noch kurz vor seiner Niederlage im Ersten Weltkrieg gelungen, tatsächlich endlich den Zugang zum Erdöl am Kaspischen Meer zu gewinnen. Im Verlaufe des Krieges und der parallel dazu betriebenen Zersetzungspolitik des russischen Vielvölkerstaats konnte es im christlichen Georgien Fuß fassen. Und zwar über den Weg als kurzzeitige Protektoratsmacht des unabhängigen Georgiens, das damals sozialdemokratisch regiert wurde. Georgien sollte der Zwischenschritt zu einem rohstoffreichen südkaukasischen Bundesstaat und damit die Brücke zum Orient bilden 1,2). Bekanntlich wurde nichts daraus. Denn der Mangel an Öl und Benzin wurde zum Wegbereiter für den Sieg der Allierten über Deutschland.
Nach der Oktoberrevolution von 1917 entstand eine neue Situation. England unterstützte zur Wahrung seiner Interessen am Kaspischen Meer den antibolschewistischen Widerstand in Russland. Zusätzlich hatten England und Frankreich bereits 1916 in einem Geheimabkommen ihre Interessensphären abgegrenzt. Danach gehörte der gesamte Kaukasus und das transkaspische Gebiet zum englischen Einflussbereich. Zur Sicherung seiner strategischen Interessen besetzte England daher Baku am Kaspischen Meer und Batum am Schwarzen Meer. Zuvor hatte es bereits ganz Persien unter seine Kontrolle gebracht. Die Rote Armee konnte England aber bald wieder von den kaspischen Ölquellen vertreiben. Sie blieben fortan dem Zugriff westlicher Interessen verschlossen.
Deutschlands Ölmangel war einer der Gründe für die Strategie des Blitzkrieges im II.Weltkrieg. Erklärtes Kriegsziel Hitlers war es, die Ölquellen um Baku und Grosny zu erobern, Russland von der Ölversorgung abzuschneiden und die Ölfelder an sich zu reißen. Die Ölgebiete um Baku deckten 1940 ca. 70 Prozent des sowjetischen Ölbedarfs. Im Verlauf der Sommeroffensive 1942 gelang es dem 40. Panzerkorps der Wehrmacht, zeitweilig bis auf 80 km an das Kaspische Meer vorzustoßen. Dabei wurden die Ölfelder von Grosny in Tschetschenien von der SS-Division Wiking in Brand gesteckt und die hier noch verbliebenen Ölraffinerien und Ölvorräte vom Luftwaffengeschwader Richthofen zerstört. Die Sowjetunion hatte diese Gefahren vorausgesehen, die Ölproduktion teilweise eingestellt, große Teile der Anlagen demontiert und in das Wolga-Ural-Gebiet verlagert. Dort waren große Ölvorkommen entdeckt worden. Sie konnten aber erst nach und nach verstärkt genutzt werden. Versorgungsengpässe im Kriege wurden teilweise durch die USA überbrückt. Als Verbündete lieferten sie mehrere Ölraffinerien und beträchtliche Mengen an Ölprodukten.
2. Neue politische Ausgangslage und weltwirtschaftliche Bedeutung der Energievorräte
Nach dem II. Weltkrieg wurde es dann bald still um diese Region. Das sollte sich schlagartig ändern nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991. Dadurch entstanden in der kaspischen Region acht selbständige Staaten, deren Beziehungen untereinander teilweise konfliktreich sind. Es sind Staaten mit undemokratischen Verhältnissen, großen Minderheitsproblemen und krassem Sozial-Einkommensgefälle entstanden. Winzige Eliten, Clans und Oligarchien eignen sich die Reichtümer an.
Auch das zum Kapitalismus zurückkehrende Russland befindet sich in einer äußerst schwierigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lage. Nach eigenen Schätzungen wird das Land noch 15 Jahre brauchen, um wenigsten das wirtschaftliche Niveau von Portugal zu erreichen. Russland versucht seine Staatskasse durch verstärkte Rohstoff- und Technologieverkäufe aufzubessern. Im Mittelpunkt des Verkaufs stehen Erdgas, Erdöl und Rüstungstechnik. Der Raubbau an Rohstoffen und ihr Verkauf als Einnahmequelle steht in einer jahrhundertealten russischen Tradition.
Russland versucht in seinem ehemaligen Herrschaftsgebiet dominierenden Einfluss zu behalten. Die neuen Nationalstaaten sind ihrerseits bestrebt, sich so unabhängig wie möglich von Russland zu machen und suchen daher Anschluss an die USA und die Europäische Union. Die Türkei und der Iran kämpfen ihrerseits darum, als Regionalmächte eine Vormachtstellung zu erringen. Von Afghanistan aus droht zudem Zentralasien die Infiltration durch radikalislamistische Kräfte, die die Region weiter destabilisieren können.
Kompliziert und verschlimmert wird die Situation in der kaspischen Region durch die teils bekannten, teils neu entdeckten Öl- und Gasschätze in der Region. Sie haben erneut einen weltweiten Wettlauf um ihre Ausbeutung ausgelöst. Die Region ist wieder zum Aufmarschgebiet der weltweit führenden kapitalistischen Industrieländer geworden. Dabei arbeiten die aus der ehemaligen kommunistischen Nomenklatura hervorgegangenen neuen Clans und Eliten mit den internationalen Energiekonzernen eng zusammen. Die gesicherten Vorkommen allein beim Öl erreichen in etwa die der Nordsee. Das entspricht in etwa zwei Prozent der Weltreserven. Das sind zwar keine riesigen Vorkommen, dafür sind sie aber wegen mittelfristig schrumpfender Weltvorräte von umso größerer Bedeutung. Das gilt auch für die Energieversorgung Europas. So gehen beispielsweise die Vorräte in der Nordsee zur Neige und finden im konventionellen (vereinfacht jenes Erdöl und Erdgas, dass mit den klassischen Techniken gefördert werden kann) Bereich, jedenfalls für den in den nächsten zehn Jahren erschließbaren, keine Nachfolge 3).
In der kaspischen Region hofft man, noch mehr Öl zu finden, als man derzeit aufgespürt hat. Die gesicherten Vorkommen beim Erdgas entsprechen in etwa sechs Prozent der Weltreserven. Allerdings rechnet man auch hier mit mehr.
3. Ölpipelines und Großmachtinteressen in der kaspischen Region
Die Region soll in den Weltmarkt integriert und Russland verdrängt werden. Für die USA, die Europäische Union sowie Japan ist entscheidend, dass die Energierohstoffe möglichst ungehindert von Russland auf den Weltmarkt kommen und ihre (Öl)Wirtschaft damit versorgt wird. Eine ungehinderte Versorgung ist aber nur mit Pipelines möglich, die an Russland vorbeiführen. Daran mangelt es. Genau das hat der Frage, welchen Weg die Pipelines nehmen sollen, für die Zukunft der Kaspischen Region solch entscheidende und konfliktträchtige Bedeutung verliehen (s. u.). Zwischen der Europäischen Union und den USA bestehen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Differenzen, auf welche Art und Weise diese Region in die Weltwirtschaft einzubinden ist und wie ein freier Zugriff auf die Rohstoffe im jeweils eigenen Interesse am besten sichergestellt werden kann.
Widersprüchliche Politik der Europäischen Union
Die derzeit tonangebenden Kräfte in Politik und Wirtschaft haben vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interessenlagen in den einzelnen Nationalstaaten, bereits bestehender, z. T. hoher Erdgas- und Rohölimporte aus Russland, des geschichtlich belasteten Verhältnisses zu Russland aufgrund zweier Weltkriege und dessen schwieriger sozialer und wirtschaftlicher Gesamtlage, kein Interesse daran, zu einer weiteren Destabilisierung in der Krisenregion beizutragen. Bausteine dafür bilden die Mitgliedschaft aller kaukasischen Staaten im Europarat und die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit den Staaten des Kaukasus und der kaspischen Region. Wenn auch eine umfassend angelegte politische Strategie der EU für die Region bislang noch fehlt, so werden doch schon handfeste, langfristig angelegte Energieinteressen verfolgt. Sie werden anhand des Projekts der EU für einen euro-asiatischen Transportkorridor (das sog. "Seidenstraßenprojekt") deutlich. Der über Georgien, Armenien und Aserbeidschan führende Transportkorridor hat für den Warenverkehr große Bedeutung und soll natürlich vor allem für den Transport von Erdöl vom Kaspischen Meer insbesondere nach Ostmitteleuropa, aber auch nach Westeuropa, dienen. Das Erdöl ist angesichts geringerer Transportkosten gerade für südosteuropäische Länder wie Bulgarien, Rumänien die Ukraine oder die Türkei von erheblichem Interesse. Dagegen hat Westeuropa - also der Kernbereich der EU - nur ein mehr langfristiges und kein dringliches Interesse an den Öl- und Gasvorräten aus der kaspischen Region. Es verfügt nämlich bereits seit langem über eine breit angelegte, politische und wirtschaftliche Risiken mindernde Importstruktur für Öl und Gas.
Obwohl also die EU kein Interesse daran hat, Russland weiter zu destabilisieren und in der kaspischen Region eine Politik befürwortet, die Russland (und übrigens auch den Iran) nicht ausgrenzt, wirkt der in Ost-West Richtung verlaufende euro-asiatische Transportkorridor doch provozierend. Er läuft faktisch auf eine Umgehung Russlands hinaus und wird u.a. als Gegengewicht zu der schon etwa 200 Jahre bestehenden Nord-Süd-Route von Russland nach Asien betrachtet. Russland fürchtet, dass es dadurch isoliert werden könnte.
Ein widersprüchliches Bild der Politik der EU entsteht für Russland auch durch die Ausdehnung der NATO in der kaspischen Region (s.u.). Schließlich sind fast alle Mitgliedstaaten der EU in der NATO. Zudem dürfte Russland als bedrohlich bewerten, dass sich die EU mehr und mehr zu einer zu einer international handelnden Großmacht mit einer eigenen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt und bald über eine schnelle Eingreiftruppe verfügen (geplant ist das bis 2003) dürfte. Das Gefühl, bedroht zu werden, dürfte noch wachsen, wenn das Land von diesen Entwicklungen ausgeschlossen bliebe und dadurch sicherheitspolitisch beeinträchtigt würde.
Zur Bedeutung des Balkans für Erdöl vom Kaspischen Meer
Inzwischen wird immer klarer, welche Bedeutung der Balkan für den Bau von Pipelines und Transportwegen vom kaspischen Meer nach West- und Ostmitteleuropa hat, welche Gründe über den Sturz des Milosevic-Regimes mitentschieden haben, warum die USA die albanische UCK unterstützt und z. T. unterschwellig bis offen auch Differenzen zur EU bestehen 4). Die Einmischung der USA wird erst richtig verständlich, wenn man sich ihre globale Politik, die immer wieder von Rohstoffinteressen mitbestimmt ist, näher anschaut. So ist für die USA der Balkan zusammen mit Zentralasien und dem Nahen Osten eine Schlüsselregion auf dem eurasischen Schachbrett, um von hier aus mögliche, künftige antiamerikanische Allianzen in Europa und Teilen Asiens zu verhindern und ihren globalen politischen Führungsanspruch zu wahren 5,6). Zugleich hat die USA ein großes wirtschaftliches Interesse an den Ölvorräten am Kaspischen Meer, denn sie sind weltweit die Nr.1 bei Verbrauch und Import von Erdöl. Daher ist für die USA die Kontrolle über Ölpipelines und Transportrouten so wichtig. Zentrale Bedeutung misst sie auf dem Balkan einem Pipeline- und Transportkorridorprojekt von Bulgarien über das Kosovo-Gebiet bis zum albanischen Mittelmeerhafen Vlore zu. Das Pipelineprojekt wird von US-Ölkonzernen wie BP-Amoco, Chevron und Texaco dominiert, die alle auch in der kaspischen Region führend tätig sind 7). Konkurrierende, europäische Geschäftsinteressen sollen auf Distanz gehalten werden. Das Ganze soll zudem militärisch abgesichert werden. Die USA und die NATO verhandeln derzeit mit Jugoslawien über eine langfristige Legitimation ihrer bereits im Kosovo stationierten Truppen. Dort entsteht derzeit bereits einer der größten US-Stützpunkte außerhalb der USA.
Zur Politik der USA in der kaspischen Konfliktregion und russische Antworten
Wie auf dem Balkan versucht die USA auch in der kaspischen Region rigoros ihre Interessen durchzusetzen. Im Gegensatz zur EU ist hier die Politik der USA darauf ausgerichtet, Russland klein zu halten und auszugrenzen. Russland soll dauerhaft aus der Region verdrängt werden und jede Neuauflage einer Sowjetunion unterbunden werden 8). Auf diese Weise soll auch verhindert werden, dass Russland diese geopolitisch brisante Region mit ihren Öl- und Gasvorräten allein beherrscht. Damit verfolgen die USA zwei Ziele. Zum einen soll für ihr Land eine sichere Ölversorgung gewährleistet werden. Zum anderen wird damit den Interessen der US-Ölkonzerne entsprochen. Schließlich haben die großen internationalen Ölkonzerne, die fast alle ihren Sitz in den USA haben, inzwischen das meiste Geld in die Erschließung der Erdöl- und Erdgasquellen gesteckt. Westliche Ölkonzerne brachten allein bis 1996 in Aserbeidschan mehr als 13 Mrd Dollar in Förderprojekte ein. In Kasachstan waren es sogar weit mehr als 20 Mrd Dollar.
Strategischer Hebel, um die Ziele durchzusetzen, ist - und das trifft sich mit den Interessen der mittelasiatischen Staaten und denen des Kaukasus -, das Transportmonopol Russlands um jeden Preis zu brechen. Das kann nur durch Pipelines erreicht werden, die das Öl ungehindert an Russland vorbeiführen.
Dreh- und Angelpunkt der US-Strategie war es deshalb, nach Georgien auch Aserbeidschan für sich zu gewinnen. Aserbeidschan ist gewissermaßen der Flaschenhals, über den der Zugang zu den Öl- und Gasschätzen in der kaspischen Region kontrolliert werden kann. Von dort soll eine Ölpipeline von Baku über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan gebaut werden. Dann, so das Kalkül der USA, stünde dem Westen eine eigene und durch das NATO-Mitglied Türkei militärisch abgesicherte Versorgungsmöglichkeit offen. Allerdings ist das letzte Wort zum Bau noch nicht gesprochen. Die großen Ölkonsortien zweifeln daran, ob sich die Pipeline wirklich wirtschaftlich lohnt. Neuesten Meldungen zufolge verliert die Pipeline an Rückhalt10). Allerdings laufen im Hintergrund noch diverse Ränkespiele seitens Politik und Wirtschaft. Deshalb sind in nächster Zeit Überraschungen in allen Richtungen denkbar. Ein empfindlicher Schlag wurde dem Projekt durch den Bau einer von Russland finanzierten Pipeline von Kasachstan zum Schwarzmeerhafen Noworossjisk versetzt. Sie steht kurz vor der Inbetriebnahme. Mit der neuen Pipeline von Kasachstan kann nämlich genau ein Teil des Öls transportiert werden, das benötigt würde, um die Pipeline Baku-Ceyhan auszulasten. Die neue Pipeline von Kasachstan ist für den dort tätigen US-Ölkonzern Chevron wichtig. Damit kann das von ihm geförderte Öl auf den Weltmarkt gebracht werden. Die Pipeline ermöglicht vor allem eine Steigerung des Erdölexports nach Europa und hat gleichzeitig Russlands Positionen auf dem Energiemarkt gestärkt.
Ein weiteres Projekt für eine Ölpipeline unter Führung des US-Ölkonzerns Unocal, die von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan führen sollte, musste Ende 1997 aufgegeben werden. Die etliche Jahre von den USA teilweise mit Waffen unterstützten und von Saudi-Arabien finanzierten Taliban gerieten in immer erbittertere Feindschaft mit den USA. Ein wesentlicher Anlass dafür war die Aufnahme des Radikalislamisten Osama bin Laden, der für die Attentate auf die amerikanischen Botschaften in Daressalam und Nairobi verantwortlich gemacht wird.
Seit geraumer Zeit zeichnet sich auch im Erdgasbereich eine weitere Niederlage für Politik und Wirtschaft der USA ab. Das Projekt einer parallel zur Erdölpipeline Baku-Ceyhan geplanten Erdgasleitung von Turkmenistan in die Türkei versandet derzeit. Russland hat nämlich damit begonnen, eine bereits seit längerem geplante Erdgasleitung quer durch das Schwarze Meer in die Türkei zu verlegen 8). Dadurch hat es im Kampf um den türkischen Gasmarkt auch gegenüber seinen turkmenischen Konkurrenten gewonnen.
Russland hat bislang also recht erfolgreich auf einige für sich nachteilige Entwicklungen reagiert, die durch Politik und Wirtschaft der USA ausgelöst wurden. Eine Niederlage musste Russland aber hinnehmen. So konnte im April 1999 eine empfindliche Bresche in das russische Transportmonopol geschlagen werden. Zu diesem Termin wurde eine neu erbaute, kleinere Ölpipeline von Baku zum georgischen Schwarzmeerhafen Supsa in Betrieb genommen. Das war für Russland umso schmerzlicher, weil durch den zweiten Krieg in Tschetschenien eine bislang für die russische Außenwirtschaftspolitik wichtige Ölpipeline, die sog. Nordroute, lahmgelegt worden ist. Sie führt von Baku am Kaspischen Meer über Tschetschenien nach Noworossjisk am Schwarzen Meer.
Zur Rolle Deutschlands in der kaspischen Konfliktregion
Deutschland spielt bislang keine allzu große Rolle in der Konfliktregion. Schließlich verfügt es nicht über Ölkonzerne von internationalem Gewicht. Deshalb richten sich die wirtschaftlichen Interessen vor allem auf die Modernisierung der staatlichen Infrastrukturen, die die Voraussetzungen für den weiteren Zufluss von Kapital bilden. Da jedoch die meisten Staaten in dieser Region kaum Geld haben, sind natürlich auch die Investitionen nicht sehr hoch. Trotzdem ist Deutschland inzwischen neben den USA zum wichtigsten Handelspartner in Zentralasien geworden. Die noch relativ bescheidene Rolle könnte sich aber bald ändern, wenn man sich die Positionen von Volker Rühe, dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister und jetzigen stellvertretenden CDU-Vorsitzenden näher anschaut 11). Unverblümt wird das Interesse Deutschlands als größtem europäischen Erdöl- und Erdgasimporteur an den Energieressourcen der kaspischen Region formuliert. Die Staaten des Südkaukasus - Georgien, Armenien, Aserbeidschan - sollen die Brücke und damit den freien Zugang zu den Erdölfeldern bilden. Die drei südkaukasischen Staaten sollen dafür an Europa herangeführt werden und ihnen eine abgestufte Integration in die EU angeboten werden. Eine engere Anbindung an die EU ließe sich über Politikbereiche wie die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Verkehrs- und Energiepolitik und Assoziierungsabkommen an den EU-Binnenmarkt erreichen. Ansprüche Russlands auf eine "exclusive Interessenwahrnehmung im Kaukasus" sollen - ganz rigoros und in der Sprache des Kalten Krieges formuliert - abgewehrt werden.
Multilateral und in das europäische Machtgefüge eingebunden soll Deutschland, wie in dem Beitrag deutlich wird, sein ganzes nationalstaatliches Gewicht einsetzen, um die kaspischen Energieressourcen für die westlichen Industriestaaten, insbesondere aber für sich selbst, zu sichern.
Das unverhohlen formulierte Interesse an den Energieressourcen und das Ziel, Russlands politische Einflussnahme im Südkaukasus zu unterbinden, lässt an die verhängnisvolle deutsche Politik im I. und II. Weltkrieg im Kaukasus erinnern. Natürlich haben Kontext und Begründung gewechselt. Aber zweierlei wird in dem Beitrag deutlich.
Zum einen ist und bleibt Russland der alte Gegner, der mit harter Hand in seine Schranken gewiesen werden muss. Politische Lösungen der verfahrenen Lage im Südkaukasus sind - wo erforderlich - verstärkt gegen Russland, weniger mit ihm gemeinsam in der Region zu entwickeln und durchzusetzen. Bedrohungen, die aus russischer Sicht bestehen, bleiben ausgeblendet.
Zum anderen sind die Interessen an Zugang, Kontrolle und Verfügbarkeit des strategischen Rohstoffs Erdöl geblieben. Sie werden wieder offen ausgesprochen und sie sollen erneut die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik verstärkt mit antreiben. Zündstoff birgt, dass der freie Zugang zu den Erdölfeldern in der kaspischen Region nach den Vorschlägen auch eine militärische Absicherung nicht ausschließt. Das dürfte für Russland - und auch den Iran - eine ernste Provokation darstellen, zumal bereits die NATO damit begonnen hat, sich dort auszudehnen. Damit sind alle Voraussetzungen für weitere Spannungen und Konflikte in der Region absehbar.
In den letzten Jahrzehnten ist der Verbrauch an Erdöl (und Erdgas) immens gewachsen. Wurde Erdöl im I. und II. Weltkrieg im wesentlichen für die Militär- und Kriegsmaschinerie gebraucht, so sind heute über diesen Bereich hinaus ganze Volkswirtschaften von ihm abhängig. Damals fehlte nur Deutschland das Erdöl und der notwendige Zugang zu den Ölquellen. Heute zieht weltweit Ölmangel herauf. Nicht nur Deutschland, sondern sämtlichen ölabhängigen Industriegesellschaften wird das Erdöl fehlen. Diesmal wird Deutschland nicht mehr allein - und gegen die europäischen Staaten gerichtet - versuchen, sich die letzten großen Ölressourcen der Erde zu sichern. Stattdessen sollen die Ölressourcen, und das wird nur nicht offen ausgesprochen, gemeinsam im Bündnis mit den übrigen EU-Mitgliedstaaten für den Westen gesichert werden. Es ist klar, dass die Ölressourcen damit weitgehend einer Nutzung durch andere Staaten entzogen würden.
Wachsende Nachfrage nach Erdöl aus Asien und zur Rolle des Iran
Wachsende Energienachfrage besteht ebenso in Süd- und Südostasien. Indien und China stellen ein Drittel der Weltbevölkerung. Beide Länder haben einen dramatisch wachsenden Bedarf an Öleinfuhren. Er steigt jährlich um 20 bis 30 Prozent. China will sich deshalb über eine gigantische Pipeline aus Kasachstan (Vertragssumme: 9,5 Mrd Dollar) einen Teil der für die eigene wirtschaftliche Zukunft nötigen Energieversorgung sichern. Zugleich hat China hier Ölkonzessionen erworben. Mit Turkmenistan und Russland wird derzeit über Ölkonzessionen verhandelt. China wird so zum Konkurrenten nicht nur westlicher, sondern auch russischer Ölkonzerne.
Der an Erdöl und Erdgas reiche Iran, selbst Anrainer des Kaspischen Meeres, sieht sich als natürliche islamische Vormacht der Region und bietet sein gut ausgebautes Pipelinenetz als ideales Transportmittel an. Die kürzeste, sicherste und auch wirtschaftlichste Route für eine Pipeline führt von Baku nach Täbris im Iran und von dort weiter zum Persischen Golf. Die USA haben allerdings eine Alternativroute über den Iran bislang immer aus Sicherheitsgründen abgelehnt, nicht zuletzt deswegen, um den Iran in der kaspischen Region zu isolieren. Inzwischen gibt es Anzeichen dafür, dass die Sanktionen gegen den Iran in absehbarer Zeit gelockert werden könnten. So hat US-Vizepräsident Dick Cheney als Vorsitzender der von Präsident Bush einberufenen "Energy Task Force" in einem vorläufigen Bericht eine Änderung der amerikanischen Haltung gegenüber dem Iran angeregt. Diese Anregung bezog sich interessanterweise auch auf den Irak und Lybien. Der Grund für den Richtungswechsel liegt in der "Bedeutung ihrer Ölförderung für die Erfüllung der heimischen und globalen Energienachfrage". Damit wird eine Grundlinie der US-Regierung deutlich. Vorrangig wird außen- und innenpolitisch das Ziel einer sicheren Energieversorgung der USA verfolgt 12).
Mögliche Lockerungen der US-Sanktionen gegenüber dem Iran dürften sicherlich auch von der Tatsache mitbestimmt werden, dass europäische Ölkonzerne (insbes. TotalFinaElf,
Royal-Dutch-Shell, Gazprom) und der chinesische Ölkonzern Chinese National Petroleum Corporation (CNPC) bereits seit geraumer Zeit dort in Ölgeschäfte eingestiegen sind 13,14).
Änderungen der US-Politik gegenüber dem Iran sind auch deshalb möglich, weil die Europäische Union bereits seit längerem mit dem Iran eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit anstrebt, die ihrerseits von Interessen an einer sicheren Energieversorgung mitbestimmt ist.
Erdölträume am Kaspischen Meer weichen der Ernüchterung - fieberhafte Suche führt zu Konflikten untereinander
Seit geraumer Zeit ist die Erdöl-Euphorie am Kaspischen Meer - abgesehen von Kasachstan - gedämpften Erwartungen gewichen. Das gilt insbesondere für Aserbeidschan. Zum einen hat dafür der bis Anfang 1999 anhaltende dramatische Verfall der Ölpreise gesorgt. Inzwischen sind die Ölpreise aber wieder deutlich nach oben geklettert. Zum anderen endeten bislang die Bohrungen westlicher Konsortien fast allesamt enttäuschend. Entweder wurde kein Öl gefunden und wenn doch, dann in wirtschaftlich uninteressanten Mengen. Langfristig gehen die Ölkonzerne aber noch von positiven Erwartungen aus. Das liegt mit daran, dass das Öl aufgrund der geologischen Verhältnisse schwierig aufzuspüren und zu fördern ist. Durch den neuerlichen Anstieg der Ölpreise wird die für die Ölkonzerne kostspielige Förderung wieder attraktiver.
Der seit 1999 zu beobachtende Anstieg der Ölpreise durch die Fördermengenpolitik der OPEC-Staaten hat deshalb offenbar auch Rückendeckung durch die USA erhalten. Jedenfalls ist ganz offiziell von den USA - ebenso seitens der EU-Kommission - für einen Preisrahmen zwischen 20 und 25 US-Dollar pro Barrel plädiert worden. Denn gerade die USA sind, wie bereits dargelegt, in hohem Maße von Ölimporten abhängig. So sind zwischen 1986 und 1999 die nachgewiesenen Erdölreserven der USA um 40 Prozent zurückgegangen. Ebenso sank die Rohölförderung um 30 Prozent. Gleichzeitig wuchs der Verbrauch um 18,1 Prozent und die Abhängigkeit von Ölimporten stieg von 33,2 Prozent auf 50,9 Prozent. Das aber verträgt sich nicht mit einer auf Dauer niedrigen Ölpreispolitik, denn sie hemmt Investitionen in Ölförderprojekte sowohl in den USA wie auch z. B. in der kaspischen Konfliktregion. Das wird von den USA für bedrohlich eingestuft, denn es geht zu Lasten ihrer eigenen, sicheren Ölversorgung 15,16).
Die fieberhafte Suche nach ergiebigen Ölquellen im Kaspischen Meer beginnt inzwischen die Anrainerstaaten gegeneinander aufzubringen. Die Spannungen erhöhen sich insbesondere zwischen dem Iran und Aserbeidschan. Der Iran vertrieb kürzlich mit einem Militäreinsatz ein Schiff aus Aserbeidschan, dass für den Ölkonzern BP-Amoco in einem Meeresgebiet nach Öl bohrte, das vom Iran als Hoheitsgewässer beansprucht wird. Diese Auseinandersetzung hat ihre Ursache darin, dass bislang der Status des Gewässers nicht geklärt ist. Die Iraner sehen im Kaspischen Meer einen Binnensee, an dessen Fläche und Schätze alle Staaten den gleichen Anteil haben sollen. Russland, Kasachstan und Aserbeidschan betrachten es dagegen als offenes Meer mit jeweils nationalen Gewässern. Aserbeidschan gesteht daher dem Iran nur 12,5 % Meeresfläche zu 17,18). Es ist bislang nicht abzusehen, ob es zu einer Einigung über den rechtlichen Status des Kaspischen Meeres kommt. Das wäre dringlich, damit die Spannungen nicht, noch dazu vielleicht von außen angeheizt, in offene militärische Konflikte einmünden.
4. Die Konflikte im Kaukasus
Der Kaukasus ist eine Gebirgsregion, die etwa so groß wie Deutschland ist und ungefähr 22 Millionen Einwohner zählt. Hier sind nach dem Ende der Sowjetunion wieder eine Fülle von blutigen und kriegerischen Konflikten ethnischer, nationaler und territorialer Natur aufgebrochen, in die sich auch von außen von allen Seiten her kräftig eingemischt wird. Sämtliche Konflikte weisen weit in die Geschichte zurück. Allein durch die Konflikte der letzten zwölf Jahre sind Tausende von Toten und Verletzten zu beklagen. Zusätzlich sind Hunderttausende zu Flüchtlingen und Vertriebenen geworden.
In Georgien herrschen mehrere Bürgerkriege. Sie sind derzeit zwar ruhiggestellt, aber nicht beigelegt. Georgien betrachtet bereits seit langem enge Beziehungen zur Nato und zur EU als wichtigste Garantie für Stabilität im Kaukasus.
Bei dem heiklen Konflikt in Berg-Karabach geht es um die Frage der endgültigen Zugehörigkeit dieses Gebietes zu Armenien oder Aserbeidschan. Aserbeidschan lehnt sich eng an die USA und die Türkei an. Lediglich Armenien - erbitterter Gegner Aserbeidschans im Karabach-Krieg - ist bislang noch halbwegs fester Verbündeter Russlands im Kaukasus.
Im Hintergrund werden seit geraumer Zeit Verhandlungen zur Konfliktlösung geführt, über deren näheren Verlauf aber derzeit nichts bekannt ist. Die Gespräche kamen auf Vermittlung der USA, Russlands und Frankreichs zustande. Verhandelt wird über einen strategisch angelegten Gebietstausch, der bereits 1992 im US-Außenministerium konzipiert und mehrfach modifiziert wurde. Durch ihn soll Aserbeidschan über einen Gebietskorridor nahtlos mit seiner Enklave und autonomen Republik Nachitschewan verbunden werd, von der ein kleiner Teil direkt an die Türkei angrenzt. Aserbeidschan würde dafür Berg-Karabach verlieren, dass im Gegenzug an Armenien fällt. Die Türkei würde großen Nutzen aus einer solchen Lösung ziehen. Eine direkte Verbindung mit Aserbeidschan und den turksprachigen Republiken in Zentralasien könnte ihre Bedeutung als Regionalmacht erheblich anwachsen lassen. Diesen Machtzuwachs könnte die Türkei zugleich gegen russische und iranische Interessen in der Region einsetzen. Dagegen würde Armenien seine geografische Verbindung zum Iran verlieren, der ihm geholfen hat, die Wirtschaftsblockade von Aserbeidschan und der Türkei zu überleben. Russland und der Iran lehnen den Plan der USA ab 19). Gelänge der Gebietstausch, so bestünde zugleich - wie von den USA geplant - eine durchgehende Verbindung vom Kaspischen Meer zum Westen hin.
Von besonderer Härte sind die Konflikte im Nordkaukasus. Hier lebt eine verwirrende Vielfalt zu Russland gehörender Volksgruppen. Sie ist auf der Erde einzigartig und zählt über 50 Gruppen. Dazu gehören auch die Tschetschenen. Wut und Hass auf Russland wurzeln tief. Das zaristische Russland hatte die Bergvölker in einem fast achtzig Jahre währenden Krieg mit aller Brutalität in seinen Herrschaftsbereich integriert, in großem Umfang vertrieben, gewaltsam umgesiedelt und letztendlich deportiert. Der Völkerfrühling nach der Oktoberrevolution dauerte nicht lange. Repressalien und Deportationen setzten sich in der stalinistischen Periode fort. Danach wurde das Unrecht nicht ausreichend abgetragen. Die Völker des Nordkaukasus erlebten daher die Besetzung ihrer Heimat als gewaltsame Kolonialisierung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind diese nicht gelösten Probleme wieder aufgebrochen und haben zu nationalistischen und separatistischen Bewegungen geführt. Diese Bewegungen sind wiederum in hohem Maße mitverantwortlich dafür, dass in ihrem Machtbereich missliebige Minderheiten unterdrückt, verfolgt und vertrieben werden.
Die besondere Härte der Konflikte im Nordkaukasus und die Schwierigkeiten zu ihrer Lösung werden auch davon mitbestimmt, dass sich im Kaukasus vielfach uralte Traditionen (u.a. Blutrache, Sippenhaft, Kriegerethos, Tragen von Waffen) entweder zäh halten oder nach dem Ende der Sowjetunion wieder aufleben konnten. Selbstverwaltung und Zusammenleben gründen auf Stammes- und Clanstrukturen, die auch in der Sowjetunion nie ganz aufgebrochen werden konnten.
Tschetschenien - zerrüttet von Krieg und gesellschaftlichem Verfall
Aus der Fülle der Konflikte ragt der blutige und folgenreichste Konflikt, nämlich der in Tschetschenien, besonders heraus. Er entstand mit dem Ende der Sowjetunion. Tschetschenien diente den bei der Privatisierung reich gewordenen russischen Finanzclans als Drehscheibe, als "sog. Schwarzes Loch", für ihre milliardenschweren Geschäfte mit dem Ausland. Hier gab es keinen Zoll und absolut keine Wirtschaftskontrolle. Mit Hilfe bestochener Staatsangestellter konnten Schmuggelgeschäfte in allen Größenordnungen organisiert werden. Der erste Tschetschenienkrieg wurde, so alle Hinweise, dadurch ausgelöst, dass der erste Präsident der Tschetscheniens - Dudajew - die Gewinne nicht mehr mit den russischen Finanzclans teilen wollte. Nach Kriegsende besserte sich die Lage nicht. Im Gegenteil. Kriminalität und Anarchie breiteten sich immer mehr aus. Zugleich verstärkte sich der islamische Fundamentalismus, der mit Milliarden Petrodollars aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeheizt wird. Diese feudal-mittelalterlich regierten Staaten finanzieren die Ausbreitung des Islam über Tschetschenien hinaus in ganz Zentralasien. Ganz offiziell werden mit dem Geld in großer Zahl islamische Kulturzentren oder Moscheen gebaut. Staaten wie Kasachstan fürchten, das dadurch eine "fünfte Kolonne" entstehen könnte, die sich bei einem Übergreifen des kriegerischen islamischen Fundamentalismus aus Afghanistan aktivieren ließe. Nach Auffassung eines hochrangigen Militärvertreters aus Kasachstan ist das zentralasiatische Öl eine unerwünschte Konkurrenz für die Saudis auf dem Weltmarkt. Daher hätten sie Interesse an einer Destabilisierung der Region 20).
Das dürfte einen Hintergrund mit dafür abgeben, weshalb die islamischen Separatisten immer wieder Russlands außenwirtschaftlich wichtige Ölpipeline, die bereits erwähnte Nordroute, lahm legten. Inzwischen plant Russland eine Ölpipeline zum Schwarzmeerhafen Noworossjisk, die Tschetschenien umgeht.
Die Separatisten lösten im Herbst 1999 den zweiten Tschetschenienkrieg aus. Monatelang wurde der Krieg von Russland mit aller Härte und Brutalität geführt. Ganz bewusst trugen die Aufständischen den Krieg in die Städte und Ortschaften hinein, die dadurch vielerorts völlig zerstört wurden. Nach seiner Beendigung begann ein bis heute andauernder und von beiden Seiten gnadenlos und verlustreich geführter Kleinkrieg. Ein Ausweg aus der verfahrenen Lage ist nicht in Sicht. Russland ist daran in hohem Maße mitschuldig. Es hat weder etwas zum Wiederaufbau von Wirtschaft und Infrastruktur getan noch ein schlüssiges Konzept zum künftigen Status von Tschetschenien vorgelegt. Verhängnisvoll ist zudem, den gemäßigten Kräften um Präsident Maschadow bislang nicht die Hand zu reichen.
Russlands Sorgen vor einer Abspaltung Tschetscheniens
Der neuerliche Krieg wäre nicht mit solcher Härte von Russland geführt worden, wenn es nicht eben wüsste, dass die USA und die Türkei keine Interessen in diesem Gebiet hätten. Eine Abspaltung Tschetscheniens würde den ohnehin drohenden Einflussverlust Russlands in der Region verstärken und seine territoriale Unverletzlichkeit in Frage stellen. Eine Ausbreitung der Konflikte auf den gesamten, instabilen Nordkaukasus wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Für Russland ist das sehr gefährlich, weil dadurch zugleich das zerbrechliche Miteinander der russischen Regionen insgesamt ins Rutschen kommen könnte. Russland ist deshalb von Präsident Putin vor geraumer Zeit in sieben riesige Verwaltungseinheiten - davon manche größer als ganz Europa - neu aufgeteilt worden. Die zentralstaatlich zugeschnittene Gebietsreform erfolgte mit Blick auf die vielen nichtrussischen Völkerschaften und soll der potentiellen Gefahr eines Zerfalls Russlands vorbeugen.
Tschetschenien selbst ist für Russland aus mehreren Gründen wichtig. Durch das kleine Land verläuft ja nicht nur die Erdölpipeline von Baku nach Noworossijsk. Es ist zugleich Russlands wichtigster wirtschaftlicher Verkehrsknotenpunkt im Kaukasus. Außerdem verläuft hier die einzige russische Eisenbahnverbindung in den Südkaukasus. Überdies besitzt der Nordkaukasus auch erhebliche militärstrategische Bedeutung als Truppenstützpunkt. Er ermöglicht den Zugang zum Südkaukasus und zur gesamten türkisch-iranischen Grenze.
Vor diesem Hintergrund dürfte eine friedliche Lösung der Probleme in Tschetschenien nur möglich werden, wenn sich Russland an seinen Außengrenzen nicht mehr bedroht fühlt. Ein wichtiges Signal wäre zudem, wenn der Westen aktiv mit dafür sorgt, dass der Zustrom von Petrodollars, Kriegsgerät und Islamisten in den Nordkaukasus unterbunden wird. Die konkrete Politik der wichtigsten G7-Staaten lässt das aber bislang kaum erwarten.
5. Russlands Reaktionen auf die Entwicklungen in der kaspischen Konfliktregion
Nach dem Machtantritt von Präsident Putin hat Russland auf die für sich als gefährlich eingeschätzten Entwicklungen in der kaspischen Region reagiert und dazu beigetragen, dass sich die Lage entschärfte. Zwei Schritte waren dafür besonders wichtig:
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Das russische Pipelinenetz steht endlich allen Ländern Mittel- und Zentralasiens offen. Seitdem ist der amerikanische Einfluss, insbesondere der US-Ölgesellschaften merklich zurückgegangen.
Gleichzeitig sollen europäische Energiekonzerne für den russischen Markt interessiert werden. Überdies bot Putin der EU die Zusammenarbeit beim Aufbau eines gesamteuropäischen Transportnetzwerkes und gemeinsame Öl- und Gaspipelines an. Russland investiert hierfür in den nächsten Jahren viele Mrd US-Dollar. Damit versucht Russland zu verhindern, in der kaspischen Region von wichtigen Handelsströmen abgeschnitten zu werden. Zugleich soll Asien mit der EU verbunden werden. Angesichts dieser Entwicklungen hat die EU begonnen, ihre Haltung zu ihrem euro-asiatischen Transportkorridorprojekt zu ändern. Sie räumt nunmehr dem Ausbau der Transsibirischen Eisenbahn höhere Priorität ein. Damit ist wohl dem Druck der westeuropäischen Wirtschaft Rechnung getragen worden, die mit Russland und China ins Geschäft kommen will. -
Präsident Putin ist es gelungen, die Zusammenarbeit der mittel- und zentralasiatischen Länder im Staatenverbund GUS zu verbessern und dadurch eine neue politische Nord-Süd-Achse zu schaffen. Damit sollen gerade auch Einfluss und Ausdehnung der NATO zurückgedrängt werden. Schließlich sind bereits alle neun Nationalstaaten in der Region NATO-Kooperationsländer geworden. Speziell Georgien und Aserbeidschan sind an einem raschen Beitritt zur NATO interessiert. Damit hat die NATO bereits wichtige Etappenziele auf ihrem Weg der Ausdehnung bis an die innerasiatische Grenze Chinas und zum Himalaya erreicht. Das alles erhöht nicht nur das Gefahrenpotential in der Region, sondern bringt vor allem der amerikanischen, aber auch der europäischen Rüstungsindustrie durch den Verkauf von Waffen und Ausrüstungsgütern neue Profite.
Die anhaltende Rücksichtslosigkeit der amerikanischen Außen-, Wirtschafts- und Militärpolitik gegenüber Russland erfüllt mit Sorge. Russland nimmt die USA nur als Staat mit geostrategischen Interessen wahr. Russland versucht deshalb, sich zugleich in Europa und Asien zu verankern.
Zum einen setzt es auf eine rasche und stabile Anbindung an die EU. Langfristiges Ziel ist eine Mitgliedschaft Russlands in der EU. Immer wieder werden auch Signale über eine mögliche NATO-Mitgliedschaft ausgesandt. Damit könnte, so hofft Russland wohl, das große Gewicht der USA innerhalb der NATO geschwächt werden. Zugleich würden natürlich militärische Bedrohungen der NATO entfallen.
Zum anderen festigt es seine Beziehungen zu China und baut außerdem seine Beziehungen zu Indien aus 21). Zudem ist ein regionales Sicherheitsbündnis, die sog. "Schanghai-Gruppe", gegen den islamischen Fundamentalismus gebildet worden. Es steht unter Führung Russlands und Chinas und schließt die vier zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan sowie Usbekistan ein. Inzwischen ist der Aufbau einer gemeinsamen Eingreiftruppe gegen Übergriffe des afghanischen Taliban-Regimes beschlossen worden.
Russland hat seit geraumer Zeit auch seine Beziehungen zum Iran ausbauen können. Beide Staaten verbindet inzwischen eine relativ enge außenpolitische Partnerschaft und gemeinsame Interessen im kaspischen Raum, in der Afghanistanpolitik und vor allem in der Ablehnung einer unipolaren Weltordnung. Die verbesserten Beziehungen Russlands zum Iran sind wichtig, da dessen Stimme Gewicht in der Region hat und durch ihn mäßigend auf die Islamisten im Nordkaukasus und in ganz Zentralasien eingewirkt werden könnte. So hatte bereits vor geraumer Zeit der iranische Außenminister in seiner Funktion als Vorsitzender der großen "Islamic Conference Organization" angeboten, Russland bei der Suche nach einer friedlichen Lösung im Nordkaukasus behilflich zu sein 22).
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südliche GUS und die "islamische Welt", in: BIOST - Aktuelle Analysen Nr. 2, S. 6 vom
3. Januar 2000.
Bearbeitungsschluss: 08. September 2001
* Dr. rer. nat. Detlef Bimboes, Wiesbaden, referierte auf dem Friedenspolitischen Ratschlag 1999 zum Thema: "Konfliktregion Kaspisches Meer". Sein Vortrag erschien in: Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.), Nach dem Jahrhundert der Kriege. Alternativen der Friedensbewegung, Kassel 2000, S. 182-207
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