"Katar ist mehr als 'Al-Dschasira'"
Der Wüstenstaat hat einen wichtigen Platz in den Irak-Planungen des Pentagon
Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus einer Länder-Serie der Zeitung "Neues Deutschland" vom 2. Juli 2002.
Von Jürgen Berger, Kairo
Der Wüstenstaat Katar ist im »Antiterrorkrieg« vor allem als Sitz des
TV-Senders
»Al-Dschasira« bekannt geworden.
Noch vor kurzer Zeit konnten mit dem »Dawlat Qatar« (Staat Katar)
bestenfalls Kenner der arabischen
Welt etwas anfangen. Das Ländchen am Golf wurde weder von inneren
Konflikten geschüttelt noch
machte es durch spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam. Katar zählt
immerhin zu den reichsten
Ländern: Seit 1938 wird hier Erdöl gefördert, die Erdgasvorkommen sind
die drittgrößten auf dem
Globus. Der Profit aus den jährlichen Exporten im Wert von 3,5
Milliarden Dollar verteilt sich auf die
lediglich 150000 »echten« Kataris – die restlichen Einwohner sind
Gastarbeiter, zumeist aus Indien, Iran
und Palästina.
Wo einst nur Beduinen mit ihren Kamelen durch die öde Wüste trotteten,
erheben sich heute
Wolkenkratzer, kann man in einer Shopping-Mall Schlittschuh laufen und
auf dem Golfplatz an die
10000 importierte Palmen und Riesenkakteen bestaunen. Staatsoberhaupt
Emir Scheich Hamad bin
Khalifa Al-Thani besitzt einen vollklimatisierten Reitstall, aber er
stellt seinen Untertanen auch kostenlos
Wasser und Strom zur Verfügung. Wer seine Ausbildung beendet, erhält vom
Staat ein Grundstück, wer
ein Studium absolviert hat, als Dreingabe noch ein Haus. Bei solchen
Wohltaten wundert es nicht, dass
die autokratische Herrschaft des Al-Thani-Clans nur selten in Frage
gestellt wird. Von den 17 Ministern
gehören acht der »Familie« an. Sie alle werden vom Emir berufen, dem
eine Beratende Versammlung
zur Seite steht. Parteien existieren ebenso wenig wie Gewerkschaften.
Fläche: 11437 Quadratkilometer
Bevölkerung: 769.000
Hauptstadt: Doha
Staatsform: Absolute Monarchie
Religion: sunnitische Muslime (92 %), Hindus, Christen, Bahai
Mittlere Lebenserwartung: 72 Jahre
Bruttosozialprodukt pro Kopf: 20 300 Dollar
In den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gelangte Katar vorigen Herbst,
als in Doha die
Welthandelsorganisation (WTO) tagte. Nach der stürmischen Konferenz von
Genua erhoffte man sich
von einem Treffen in dem Wüstenstaat mehr Ruhe, was auch tatsächlich der
Fall war. Weit über seine
Grenzen hinaus bekannt wurde Katar in jüngster Zeit vor allem durch
einen privaten Fernsehsender:
»Al-Dschasira« (Die Insel). 1996 aus einem abgebrochenen Nahostprogramm
der BBC hervorgegangen,
avancierte der arabischsprachige TV-Kanal mit täglich rund 35 Millionen
Zuschauern zum absoluten
Quotenrenner in der gesamten Region.
»Al-Dschasira« sendet Videos von Osama bin Laden, hier streiten sich
palästinensische Hamas-Führer
mit israelischen Wissenschaftlern, USA-Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld kommt ebenso zu
Wort wie Washingtons Erzfeind Saddam Hussein. Voraussetzungen dafür
schuf der Emir nicht nur
durch die Bereitstellung von 140 Millionen Dollar für den Aufbau des
Senders, sondern vor allem durch
die Abschaffung des bis dahin existierenden Informationsministeriums –
was nur eine verklausulierte
Bezeichnung für die staatliche Zensurbehörde war. Das hebt Katar unter
allen arabischen Staaten hervor
– und macht ihm nicht nur Freunde. Das staatliche ägyptische Fernsehen
tat »Al-Dschasira« als »mit
Sensationsgier gewürzten Salat aus Sex, Religion und Politik« ab.
Jordanien, Kuweit und die
palästinensische Autonomiebehörde zwangen den Sender, seine jeweiligen
Korrespondentenbüros zu
schließen, in den Nachbarländern Bahrein und Saudi-Arabien haben
»Al-Dschasira«-Reporter
Einreiseverbot, und Algerien wusste sich während einer Sendung nicht
anders zu helfen, als in weiten
Teilen des Landes den Strom abzuschalten.
Selbst die USA, die sich ansonsten stets als Hort und Hüter der Presse-
und Meinungsfreiheit sehen,
reagierten harsch, als der Sender mehrere Videos des Terroristenführers
Osama bin Laden ausstrahlte.
Außenminister Colin Powell verlangte im Stil einstiger Sowjetführer von
der Regierung in Doha eine
Schließung des TV-Studios. Worauf man ihn sanft darauf hinwies, dass in
Katar Pressefreiheit
herrsche. Was die USA freilich nicht daran hinderte, das durch seine
aktuellen Vorort-Berichte über den
Afghanistan-Krieg nicht minder unbequem gewordene Kabuler
»Al-Dschasira«-Büro in Schutt und Asche
zu legen. Washington beharrte aber nicht allzu verbissen auf seiner
Forderung nach Schließung des
Senders, zumal der Ministaat am Golf in den strategischen Planungen des
Pentagon keine unwichtige
Rolle spielt. Aus Furcht vor politischer Instabilität und wachsenden
antiamerikanischen Stimmungen im
Nachbarland Saudi-Arabien planen die USA einen Ausbau der Al-Udeid Air
Base in Katar zu einem
logistischen Zentrum für den geplanten Militärschlag gegen Irak.
Tausende von Soldaten sowie
Kampfjets und weiteres militärische Gerät wurden bereits von der Prince
Sultan Air Base nahe der
saudischen Hauptstadt Riad in die katarische Wüste transportiert. Das
Herrscherhaus – wiewohl offiziell
einig mit den anderen arabischen Staaten in der Ablehnung eines
Militärangriffs gegen Bagdad – lässt
den US-Amerikanern auf »ihrem« Stützpunkt freie Hand. Im Gegenzug
versprechen diese dem
Herrscherhaus Schutz vor Angriffen aus dem Ausland wie auch bei
möglichen inneren Unruhen.
Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2002
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