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"Bedeutsam ist, was wir daraus lernen"

Im Verfahren gegen führende Vertreter des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha fällt ein erstes Urteil *


Etwa zwei Millionen Tote gehen auf das Konto des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha (1975-79). Vor dem UN-gestützten Sondertribunal bei Phnom Penh fällt am 7. August ein erstes Urteil gegen die zwei ranghöchsten noch lebenden Führer des »Demokratischen Kampuchea«. Youk Chhang (rechts), Leiter des Dokumentationszentrums Kambodscha (DC-CAM), war Zeuge in dem Prozess. Als 15-Jähriger inhaftiert, verlor er seinerzeit selbst zehn Familienangehörige. Zu dem Verfahren befragte ihn Thomas Berger.


Der erste Teilprozess in einem historischen Verfahren geht zu Ende. Was erwarten Sie vom Finale?

Alle hoffen wir auf die Rechtschaffenheit des Gerichts und des Urteils. Wichtig ist, dass wir damit endlich einen vorläufigen Schlusspunkt in der Sache bekommen, sodass wir uns als Nation vorwärtsbewegen können.

Nur der ehemalige Staatschef Khieu Samphan und Chefideologe Nuon Chea sind als Angeklagte übrig geblieben. Der damalige Außenminister Ieng Sary ist gestorben, seine Frau Ieng Thirith wurde wegen Demenz für prozessunfähig erklärt. War das ein Rückschlag für das Ringen um Gerechtigkeit?

Wer definiert denn Gerechtigkeit nach der Zahl der Angeklagten oder der Verurteilten? Der Prozess an sich ist bedeutsam, die Aufarbeitung – und was wir daraus lernen. Selbst mit einem einzigen Angeklagten ist all das möglich: Zeugen zu suchen und anzuhören, aber auch Nachgeborene durch die Botschaft des Prozesses zu ermutigen, gegen andere Ungerechtigkeiten vorzugehen. Wenn das Verfahren abgeschlossen ist, werden die Menschen erst richtig erkennen, was dieses Gericht Großes geleistet hat.

War das Ganze also ein Erfolg?

Von einem Erfolg können wir sprechen, wenn es gelungen ist, im Resultat dessen auch nur einen weiteren Völkermord auf dem Erdball zu verhindern. Das ist insofern ein fortgesetzter Prozess. Im kambodschanischen Kontext ist es allemal ein Erfolg: Die Opfer, die Gerechtigkeit wollen und so lange gelitten haben, sind mit ihren Leidensgeschichten endlich gehört worden. Und auch die Tatsache, dass Ieng Sary eben nicht in Freiheit war, als er starb, kann man sehr wohl als Erfolg werten.

Sie haben viele Kontakte zu überlebenden Opfern der Diktatur – wie fühlen die sich mit dem Prozess?

Was man erlebt hat, lässt sich nicht aus dem Gedächtnis radieren. Das bleibt, bis man stirbt. Aber nachdem die Überlebenden so lange gewartet haben, werden zumindest die meisten mit dem Ende des Verfahrens ein wenig Ruhe finden und sich im neuen Leben einrichten. Auch für die Generation der Kinder ist es wichtig, dass familiär jetzt ein anderer Umgang miteinander möglich wird. Ich sehe da generell ein bisschen mehr Harmonie. Bisher herrschte unter den Kambodschanern immer ein großes Misstrauen: Wer war damals Opfer, wer Täter? Natürlich wird es weiter Rätsel und Geheimnisse geben. Denn es bleibt ja die Frage, wer zwei Millionen Menschen umgebracht hat.

Die beiden Angeklagten haben in beschränktem Maße Bedauern erkennen lassen. Waren das nach Ihrer Einschätzung echte Momente der Einsicht oder war es nur Show?

Ich denke, sie werden von ihren Anwälten genau beraten, was sie im Gerichtssaal sagen sollten. Darauf werden diese Aussagen zurückzuführen sein, nicht auf wirkliche Einsicht in ihre Verbrechen. Ich glaube nicht, dass wir hinter die Fassade der Angeklagten geblickt haben.

Viele junge Kambodschaner haben keine direkte Beziehung mehr zu jener Zeit. Was bedeutet das Verfahren für sie?

Rund 70 Prozent unserer Einwohner sind Nachgeborene. Sie stellen sich jetzt vielleicht noch einmal die Frage, wer ihre Eltern eigentlich sind. Das betrifft auch die Kinder der ehemaligen Pol-Pot-Kader in Pailin, die erst seit Mitte der 90er Jahre ihren Frieden mit der Gesellschaft gemacht haben. Die jungen Leute studieren jetzt, bekommen mit dem Prozess ein anderes Bild vermittelt, beginnen Dinge zu hinterfragen. Insoweit trägt das auch zur Versöhnung bei.

Chum Mey, einer der Überlebenden des Foltergefängnisses S-21, dessen Chef Kaing Guek Eav bereits verurteilt wurde, war gegen das Vorhaben, an einem Denkmal im heutigen Tuol-Sleng-Museum die Namen aller S-21-Opfer zu vermerken, weil sehr viele zuvor selbst Täter waren. Wie sehen Sie das?

Es ist immer eine Kontroverse: Wo beginnt Täterschaft, wo Opferdasein? Darf man jemanden, der anfangs Teil des verbrecherischen Systems war und später ebenfalls ermordet wurde, als Opfer bezeichnen und seiner in dieser Weise gedenken? Da sollte man auch den Umstand sehen, dass S-21 ein Gefängnis vor allem für Leute des Regimes war, die in Ungnade gefallen waren. Der Westen arbeitet bei Denkmalen solcher Art viel mit Namen, in der kambodschanischen Gedenkkultur hat das prinzipiell weniger Bedeutung.

Ist diese Diskussion störend oder vielleicht sogar hilfreich?

Ich halte sie durchaus für hilfreich. Alles, was kritisch die Vergangenheit reflektiert, kann positive Auswirkungen haben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 7. August 2014


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