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Todesschüsse in Phnom Penh

Streiks und Proteste eskalieren / Regierungssprecher beklagt "Rebellion"

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Nach anhaltendem Oppositionsprotest gegen Premier Hun Sen verschärfte sich am Freitag die Lage in Kambodscha: Polizisten schossen auf streikende Textilarbeiter, mindestens drei Menschen starben.

In einem Industriegebiet der Hauptstadt Phnom Penh hatten militante Kräfte unter den Textilarbeitern, die eine Verdoppelung des Mindestlohns von derzeit 80 Dollar im Monat fordern, am Freitagmorgen rund 200 angerückte Sicherheitskräfte mit Macheten, Brandflaschen und Steinen angegriffen, eine Klinik in Brand gesteckt und Straßen mit brennenden Reifen blockiert. Militärpolizisten schossen daraufhin mit Sturmgewehren in die Menge, mindestens drei Demonstranten starben, rund zwei Dutzend wurden verletzt, darunter eine 28-jährige Schwangere, die unbeteiligt in die Schusslinie geriet.

Der Protest der Textilarbeiter ist Teil der größeren Protestwelle gegen den langjährigen Regierungschef Hun Sen und seine Kambodschanische Volkspartei. Diese Proteste begannen nach den Parlamentswahlen im Juli, bei denen die Volkspartei erhebliche Einbußen erlitt und nur knapp gewann. Laut Opposition verdankte Hun Sen diesen Sieg nur massivem Wahlbetrug. Die unterlegene Nationale Rettungspartei beanspruchte ihrerseits die Parlamentsmehrheit, boykottiert die Nationalversammlung seit ihrer Konstituierung und verlangt Neuwahlen. Ein für Freitag geplantes Gespräch mit Regierungsvertretern sagte die Rettungspartei nach der Zuspitzung der Lage durch das Vorgehen der Sicherheitskräfte ab.

Seit fast drei Jahrzehnten an der Regierungsspitze, hatte Hun Sen bisher noch jeden Herausforderer abzuwehren vermocht. Von den einst unbequemen Royalisten ist nichts mehr zu hören. Hun Sens schärfster Kritiker, Oppositionsführer Sam Rainsy, der lange Zeit im Exil verbrachte, schien unter Kontrolle zu sein. Jetzt fragt der Regierungschef verwundert: »Mich zum Rücktritt auffordern – was habe ich falsch gemacht?«

Vor den Juliwahlen hatte er Sam Rainsy auch auf Druck ausländischer Geldgeber eine Amnestie gewährt. Seither jedoch mobilisiert Rainsy die Massen und ernennt alle zu Helden, die im Kampf gegen den Regierungschef hinter Gittern enden. Für Sonntag wurde eine weitere Massendemonstration angekündigt, um die Volkspartei von der Herrschaft über Politik, Polizei, Militär, Justiz und die meisten Medien zu verdrängen. Regierungssprecher Phay Siphan rechtfertigte das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte am Freitag mit den Worten: »Ihre Arbeit ist es, die Nation zu schützen. Das war keine Demonstration, das ist eine Rebellion.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 4. Januar 2014


Schüsse auf Streikende

Kambodschas Polizei eröffnet das Feuer auf Textilarbeiter in Phnom Penh. Mindestens drei Tote. Gewerkschafter wollen höheren Mindestlohn

Von Thomas Berger **


Mindestens drei Tote und zahlreiche Verletzte sind das Resultat des brutalen Vorgehens der Polizei in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh am Freitag gegen streikende Textilarbeiter. Nachdem bereits am Vortag die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Protestierenden vorgegangen waren, die von Anhängern der wichtigsten Oppositionspartei unterstützt wurden, eröffneten die Sicherheitskräfte am Freitag morgen das Feuer auf die Demonstranten. Unmittelbarer Anlaß dafür war offenbar die Blockade einer wichtigen Straße im Canadia-Industriepark am Rande der Hauptstadt.

Seit rund zwei Wochen sind zahlreiche Beschäftigte der Textilbranche im Ausstand. Sie fordern einen Mindestlohn von 160 Dollar monatlich, die Regierung bietet nur 100 Dollar an (jW berichtete). Inzwischen haben sich rund zwei Drittel der 500000 Arbeiterinnen und Arbeiter des Sektors dem Streik angeschlossen.

Was womöglich mit zur jetzigen Eskalation beigetragen hat, ist der Schulterschluß zwischen den Streikenden und den Anhängern der Nationalen Rettungspartei (CNRP) von Oppositionsführer Sam Rainsy, die seit Monaten gegen angeblichen Betrug der regierenden Volkspartei (CPP) von Premier Hun Sen bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Juli protestieren. Die CNPR-Führung hatte am Donnerstag bereits ein kurzfristig anberaumtes Treffen mit Regierungsvertretern abgesagt, nachdem es zu ersten Übergriffen der Polizei gekommen war. Vor einer Fabrik, an der einige hundert Vertreter der Streikbewegung die dortigen Beschäftigten ermuntern wollten, sich dem Ausstand anzuschließen, hatten Soldaten einer Eliteeinheit mit Schlagstöcken und Eisenstangen auf Textilarbeiter, Mönche und Reporter eingeschlagen. Zuvor hatten die Demonstranten offenbar mit Steinwürfen auf das Schleudern einer Wasserflasche auf einen am Protest beteiligten Mönch durch einen Soldaten geantwortet. Mindestens zwei Verletzte, ein Mönch und eine Frau, mußten im Krankenhaus behandelt werden. Die Zahl der Festgenommenen wurde mit 14 angegeben.

Wie viele Tote es bei den Straßenkämpfen im Canadia-Industriepark am Freitag gegeben hat, konnte zunächst nicht genau ermittelt werden. Chuon Narin, Vizechef der Polizei in Phnom Penh, bestätigte offiziell drei Todesfälle. Der Gewerkschaftsvorsitzende Rong Chun sprach gegenüber der Tageszeitung Phnom Penh Post von vier Todesopfern, während die Cambodia Daily, die zweite englischsprachige Tageszeitung des Landes, unter Berufung auf die Menschenrechtsvereinigung Adhoc sogar von bis zu fünf Toten schrieb.

Rong Chun kann wie viele andere das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte kaum fassen. Schließlich forderten die streikenden Textilarbeiter nur eine menschenwürdige Entlohnung, sagte er der Phnom Penh Post. Der Sprecher der Militärpolizei, Khen Tito, verteidigte hingegen die Gewalt. Die Sicherheitskräfte hätten befürchten müssen, die Lage würde sonst im Chaos enden. Das weist Dave Welsh von der Arbeitsrechtsvereinigung Solidarity zurück. Der Einsatz scharfer Munition in einem Gewerbegebiet sei gänzlich unangemessen. Auch Uk Mara, eine 17jährige Schülerin, zeigte sich bestürzt über das Vorgehen der Polizei. Sie habe großes Glück gehabt, durch das Senken ihres Kopfes einem sonst tödlichen Geschoß ausgewichen zu sein.

** Aus: junge Welt, Samstag, 4. Januar 2014


Cambodia: UN expert urges restraint as police fire on striking garment workers ***

3 January 2014 – A United Nations independent human rights expert urged restraint by all sides today after military police opened fire on striking garment workers in Phnom Penh, reportedly killing at least four people, as high social and political tensions in Cambodia boiled over into deadly clashes.

In statement issued by the UN Human Rights Office (OHCHR), Surya P. Subedi, the Special Rapporteur on the situation of human rights in Cambodia, reiterated his appeal for calm after the incident, which is the third time since the disputed July 2013 general election that the authorities have shot into a crowd and caused fatalities.

“I am deeply concerned at the latest clashes in Cambodia and deplore the loss of life. I call on the authorities to exercise restraint towards protestors. Any use of force by officials must be subject to the principles of legality, necessity and proportionality,” Mr. Subedi said.

“There must be a swift and independent investigation into whether excessive force was used on this occasion and the previous two occasions,” he added.

Mr. Subedi also expressed concern that some demonstrators were increasingly resorting to violence and had been throwing stones and damaging property He called on them, “regardless of the reason for their protest, to exercise maximum restraint.”

The Special Rapporteur again called for meaningful negotiations over the demands by garment workers, who began protesting several weeks ago for an increase in the minimum wage.

According to OHCHR, the strikes by garment workers pressing for higher wages have added fuel to the political demonstrations organized since July by the opposition party to demand the resignation of Prime Minister Hun Sen and a re-run of the election.

“Cambodia is now seeing daily demonstrations. It is to be welcomed that Cambodians now feel able to exercise their right to protest but protests must be peaceful,” Mr Subedi said.

Just over a week ago, the Special Rapporteur called for “meaningful talks to resolve the current dispute” based on concrete data that reflect the real cost of a dignified life respectful of human rights.

“All parties – the Government, striking workers, trade unions, the factories and buyers – needed to reassure protesting workers that they would develop a realistic wage structure,” he said in a news release. As for the political dispute that sent the protestors originally to the street, Mr. Subedi urged both sides to return to the negotiation table.

Independent experts or special rapporteurs are appointed by the Geneva-based UN Human Rights Council to examine and report back, in an unpaid capacity, on specific human rights themes.

*** UN News Centre, 3 January 2014; http://www.un.org


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