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Neuer Prozess gegen "Brüder" Pol Pots

Anklage wegen Völkermords in Kambodscha 1975-79

Von Detlef D. Pries *

Nahe der kambodschanischen Metropole Phnom Penh begann am Mittwoch der zweite Prozess gegen Anführer des Pol-Pot-Regimes, dem zwischen 1975 und 1979 etwa 2 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Den Richtern der Außerordentlichen Kammern bei den Gerichten Kambodschas (ECCC), eines aus kambodschanischen und ausländischen Juristen zusammengesetzten Sondertribunals, sind die Angeklagten und deren Gebaren vertraut. Nuon Chea, der heute 88-jährige »Bruder Nummer 2« des Pol-Pot-Regimes, und Khieu Samphan (83), nominelles Staatsoberhaupt des damaligen »Demokratischen Kampuchea«, saßen schon im Prozess 002/01 vor ihnen. In diesem Verfahren wurde zwischen November 2011 und Oktober 2013 vor allem die Anklage wegen gewaltsamer Vertreibung und Zwangsumsiedlung der städtischen Bevölkerung bei der Eroberung Phnom Penhs im April 1975 und in späteren Phasen der Schreckensherrschaft verhandelt. Das Urteil soll am 7. August verkündet werden. Die Ankläger fordern lebenslange Haftstrafen.

Wegen des Umfangs der Anklageschrift, des fortgeschrittenen Alters der Angeklagten und ihrer angegriffenen Gesundheit war das Verfahren in mehrere »Klein-Prozesse« aufgeteilt worden, von denen niemand vorhersagen kann, welcher der letzte sein wird. Zwei der ursprünglich vier Angeklagten sind ohnehin schon ausgeschieden: Der ehemalige Vizepremier und Außenminister Ieng Sary starb im vergangenen Jahr im Alter von 87 Jahren, und seine Witwe, »Sozialministerin« Ieng Thirith, war schon bei Prozessbeginn wegen Demenz für verhandlungsunfähig erklärt worden.

Für Mittwoch war eine erste Anhörung im Fall 002/02 anberaumt. Endlich soll es um die Hauptpunkte der Anklageschrift gehen, darunter um Völkermord, Zwangshochzeiten und Vergewaltigungen. Der Vorwurf des Völkermords bezieht sich allerdings nicht auf den Tod Hunderttausender Khmer (ethnischer Kambodschaner) infolge von Zwangsarbeit, Hungersnöten und Hinrichtungen, sondern auf die versuchte Auslöschung der vietnamesischen und der muslimischen Cham-Minderheit in Kambodscha.

Nil Nonn, der kambodschanische Vorsitzende des fünfköpfigen Richtergremiums, verlas zunächst die Anklage. Im weiteren Verlauf der Anhörung ging es um prozedurale Fragen. Mit dem Beginn der Beweisaufnahme und der Zeugenanhörungen ist nach Angaben aus Gerichtskreisen erst gegen Ende des Jahres zu rechnen.

Die beiden Angeklagten wiesen bereits im ersten Teilprozess jede Verantwortung für den Tod von 2 Millionen Menschen von sich. Nuon Chea, Pol Pots Stellvertreter, behauptete, er sei lediglich für Erziehung und Propaganda zuständig gewesen. Wenn es Verbrechen gegeben habe, seien sie vietnamesischen Agenten und Verrätern anzulasten. Und Khieu Samphan stellte sich als »Staatschef ohne Staat« dar, vor dem die tatsächlichen Vorgänge im Lande verheimlicht worden seien.

Wie häufig in der Vergangenheit verfolgte Nuon Chea das Geschehen im Gerichtssaal aus gesundheitlichen Gründen per Bild- und Tonübertragung aus einer Spezialzelle. Khieu Samphan saß, begleitet von seinen Verteidigern, auf der Anklagebank. Pol Pot, »Bruder Nummer 1« des Regimes, das 1979 durch den Einmarsch der vietnamesischen Armee gestürzt wurde, war bereits 1998 gestorben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 31. Juli 2014


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