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Zweitjob lebensnotwendig

Kambodschas Lehrer fordern höhere Entlohnung. Doppelbelastung schwere Hypothek für Bildungssystem

Von Thomas Berger *

Kambodschanische Lehrer haben zu Wochenbeginn für eine Erhöhung ihrer Gehälter demonstriert. Die Forderung der Pädagogen: Eine Mindestentlohnung von umgerechnet 250 Euro. Was die Regierung an Steigerungen für das kommende Schuljahr in Aussicht gestellt habe, reiche nicht aus, so die Kritik der Protestierenden. Den staatlichen Plänen zufolge sollen Lehrkräfte dann zwischen umgerechnet rund 110 bis 158 Euro monatlich verdienen, je nachdem, in welcher Klassenstufe und wie lange sie schon unterrichten.

Ohne Zweitjob kommen die Pädagogen dann nicht über die Runden. Die einen schwingen sich, nachdem sie ihre eigentliche Arbeit erledigt haben, aufs Motorrad, um als Zweiradtaxifahrer etwas dazuzuverdienen. Andere geben Nachhilfestunden oder schlagen sich noch mehrere Stunden als Verkäufer um die Ohren. Dass ihr Hauptberuf nicht selten unter solcher Mehrfachbelastung leidet, steht außer Frage. Und nicht immer stehen sie dann, wenn es gefordert ist, vor ihren Schülern.

Derzeit müssen viele Lehrkräfte an den Schulen sogar mit einem Gehalt von umgerechnet knapp 100 Euro vorlieb nehmen. Das reicht nicht, angesichts steigender Lebenshaltungskosten. In den Ministerialstuben ist die Forderung nach einem größeren Sprung bei der Entlohnung nicht unbekannt. Das Budget reiche dafür aber nicht aus, bekommen die Lehrer regelmäßig als abwehrende Begründung zu hören. Dabei hat Kambodscha für das nächste Jahr den Bildungsetat sogar von 16 auf 20 Prozent der Gesamtausgaben des Staates angehoben. Dennoch sind viele Schulen marode, der Unterricht mangelhaft und die Lehrer sorgenbeladen, weil sie nicht wissen, woher sie das Geld nehmen sollen, um sich zu ernähren und einzukleiden und auch ihre eigenen Kinder zur Schule zu schicken.

Erst voriges Jahr machte eine unabhängige Studie das Problem in seiner ganzen Dimension deutlich. Demnach sind mehr als zwei Drittel der kambodschanischen Pädagogen existenziell auf einen Zweitjob angewiesen. Die notwendige Zeit wird bei Unterrichtsvorbereitungen und anderen Begleittätigkeiten, bisweilen sogar bei der direkten Präsenz im Klassenzimmer eingespart. »Etwa 20 Prozent meiner Stunden fallen aus, weil ich auf dem Markt stehen muss«, räumte Tea Cumrath, eine Lehrerin aus Pursat, gegenüber Reportern der Tageszeitung Phnom Penh Post ein. Sie wisse, dass ihre Schüler darunter zu leiden hätten – »doch welche Wahl habe ich«. Schließlich muss nicht nur sie mit dem Minigehalt über die Runden kommen, auch ihr Mann, ebenfalls Lehrer, bringt nicht mehr nach Hause.

Der Protest war nicht willkommen: Ein Großaufgebot der Polizei schottete den Amtssitz von Premierminister Hun Sen und das Bildungsministerium vor den demonstrierenden Lehrern ab. Immerhin wurde einer Abordnung gestattet, die Forderungen zu überbringen. Eine unmittelbare Reaktion der Politik gab es nicht. Kambodscha ist in seinem Staatshaushalt stark auf ausländische Hilfen angewiesen. Steuereinnahmen werden bisher kaum erzielt, investiert wird vor allem in die Infrastruktur. Das Lohnniveau ist generell extrem niedrig, das illustriert auch der fortgesetzte Kampf der Beschäftigten der Textilbranche für einen Mindestlohn von wenigstens 160 Dollar (126 Euro) monatlich.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. Oktober 2014


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