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Vom Rasen auf die Uni

Eine Akademie in Kambodscha bildet junge Frauen aus – vorm Rechner und auf dem Spielfeld

Von Thomas Berger *

Ein Jurastudium in einer Gegend, in der schon Fußballspielen für Mädchen undenkbar ist? Die SALT Academy bringt junge Kambodschanerinnen ihren Träumen ein Stück näher – der karierte Ball hilft dabei.

Das Thermometer zeigt mehr als 35 Grad. Die Hitze flirrt über Battambang, Provinzstadt im Westen Kambodschas. Wer kann, sucht sich einen ruhigen Schattenplatz oder verlegt seine Arbeit ins Innere eines Gebäudes. Eigentlich keine Temperatur für sportliche Betätigung. Doch auf dem Rasenplatz am Rand der ungenutzten Betonbahn des städtischen Flughafens geht so richtig die Post ab: Jugendliche kicken unermüdlich einen Ball. Die Tore haben nur teilweise Netz, die Spielfeldbegrenzung ist nur bei genauem Hinsehen auszumachen – ein paar Schuhe sind in Abständen so aufgestellt, dass sie eine Linie ergeben.

So bescheiden die Bedingungen sind: Die Spieler stört das wenig, sie sind mit sichtbarer Begeisterung dabei. Die Mädchen und Jungen hasten über die Wiese, jagen sich gegenseitig den Ball ab. Heute ist es aber nur ein Freundschaftsspiel. Das selbst dann noch unvermindert weitergeht, als sich 20 Minuten später der Himmel schwarzgrau verdunkelt und der Wind die Wassermassen eines tropischen Wolkenbruchs über das Gelände peitscht. Spielabbruch? Auf keinen Fall!

Fußball ist nicht unbedingt ein typischer Sport für das südostasiatische Königreich. Und erst recht nicht für Mädchen. Doch gerade sie sind eine besondere Zielgruppe für die SALT Academy, den Verein, der seit 2008 den örtlichen Spielbetrieb aufgebaut hat. Die Mighty Girls (»starke Mädchen«) als älteste Gruppe der weiblichen Spieler sind das Aushängeschild unter den Projekten.

Zu denen, die am Ende des Freundschaftsspiels völlig durchgeweicht, physisch erschöpft und glücklich vom Platz kommen, gehört die 16-jährige Kim Reamt. Durch eine Freundin vom gemeinsamen Englischlernen sei sie in der siebten Klasse zu SALT gekommen, erzählt sie. Ihr Heimatdorf liegt eine halbe Fahrstunde außerhalb der Stadt. »Ein Mann dort ist total dagegen, dass wir als Mädchen Fußball spielen«, räumt Kim ein. Doch sie lässt sich davon nicht beirren. Selbst aktiv auf dem Platz zu stehen, macht ihr übrigens ebenso viel Spaß wie ihre Aufgabe als Trainerin für Jüngere. Dabei hat sie dort noch eine besondere Herausforderung zu meistern: »Ich betreue die, die gehörlos sind.«

Die Mighty Girls sind die ältesten und talentiertesten der Spielerinnen. Kantha, ebenfalls 16 Jahre alt, hat 2010 mit Fußball angefangen. »Nach der Sommerschule vor zwei Jahren bin ich hier ins Team aufgenommen worden«, berichtet sie am Rand des Wasserbeckens, wo sie und die anderen Mädchen an einem Nachmittag in der Woche Schwimmunterricht haben. »Ich mag alles, auch wenn das Training manchmal etwas hart ist«, sagt Kantha freimütig. »Fußballspielen an sich ist einfach toll. Dreimal wöchentlich wird für etwa zwei Stunden trainiert.« Dazu kommen andere Aktivitäten, wie eben das Schwimmenlernen oder Englischkurse.

Nach den bescheidenen Starts der SALT Academy 2006 hat sich der Verein erstaunlich entwickelt. »Im März hat die neue Saison begonnen«, erklärt Bunthorn Aekh, einer der Mitarbeiter. 1300 Kinder und Jugendliche erreiche man derzeit insgesamt, die Zahl der festen Gruppe wie die Mighty Girls ist auf 68 in Battambang selbst sowie 20 in Poipet und 18 in Pailin im Grenzgebiet zu Thailand gestiegen. Und neben den insgesamt 24 gestandenen Mighty Girls im Alter von 16 bis 20 Jahren gibt es auch schon eine Nachwuchsmannschaft mit 14 Mädels, die von Nipha, der Kapitänin der Älteren, trainiert wird.

Abby ist eine der Betreuerinnen der Mighty Girls. Eigentlich heißt sie Abigail Drollinger. Die 31-Jährige aus dem US-Bundesstaat Washington, deren Großvater aus Deutschland stammt, hatte schon in der Frühzeit von SALT einen Freiwilligeneinsatz dort absolviert. Jetzt ist die ausgebildete High-School-Lehrerin schon seit zehn Monaten wieder in Battambang, stellt für die Mädchen eine Mischung aus Ersatzmutter und großer Schwester dar. »Wenn sie abends mal etwas später in die Gemeinschaftsunterkunft kommen, geht mein Herz vor Sorge um einiges schneller«, verrät Abby. Und gibt Einblicke in die Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt: »Wenn ein Mädchen hierzulande Fußball spielt, heißt es oft, sie wolle ein Junge sein. Die Sorge um ihre Jungfräulichkeit ist dann groß.« Selbst bei den Eltern der Mighty Girls hat es oft mehrere Jahre gedauert, bis sie wirklich hinter dem ungewöhnlichen Hobby ihrer Töchter standen. »Wenn sie die Erfolge der Mädels sehen, verändert sich aber langsam ihre Sichtweise«, erklärt Abby.

2010 wurde das Mighty-Girls-Programm aus der Taufe gehoben. Die ersten Teilnehmerinnen werden dieses Jahr mit ihrer Oberschule fertig. Der Verein mit seinen Mentoring-Angeboten steht ihnen weiter zur Seite. Für zwei besonders begabte Mädchen organisiere man gerade ein einjähriges Gaststudium an der US-Universität Newcastle, kündigt Bunthorn an. Der Antrag bei der Uni läuft, jetzt geht es noch um das Stipendium. »Vielleicht klappt es über die Rotarier«, setzt Abby Hoffnungen in den Wohltätigkeitsclub.

Schon dass die Mädchen überhaupt einen höheren Schulabschluss machen, sei ein Riesenschritt in Sachen Frauenförderung in Kambodscha, betont die Amerikanerin. Das Projekt sichert die Entwicklung der Jugendlichen rundum ab, vermittelt wichtiges Grundlagenwissen in Erster Hilfe und Hygiene, das die Mädchen wiederum an ihre Dorfgemeinschaften weitergeben, bietet Englisch- und Computerkurse. »Zu gern würde ich ja mal einen Blick um fünf Jahre voraus werfen, um zu sehen, was so alles aus ihnen wird«, wünscht sich die Betreuerin der Mighty Girls manchmal.

Auf welch fruchtbaren Boden das Engagement fällt und welche Erfolge es bringt, dafür ist Socheata eins der besten Beispiele. Gerade 20 geworden, ist sie eine der Ältesten im Team – und gehört zu den beiden, die eine Zeitlang nach Übersee gehen werden, wenn alles klappt. Socheatas Englischkenntnisse jedenfalls sind beeindruckend, in wohlgesetzten Worten spricht die junge Frau darüber, was ihr die SALT Academy bisher gegeben hat – und was sie selbst noch vorhat. »Das Programm hat mein Leben völlig umgekrempelt«, erzählt sie. Noch gut kann sie sich an den ersten Tag erinnern. Es war der 10. Oktober 2010, ein Sonntag. »In meinem Heimatdorf, ziemlich weit weg an der Grenze, war alles ein ständiger Überlebenskampf«, erinnert sie sich an die oft schwere Kindheit. Landminen liegen noch heute viele in der Gegend, »und eine Oberschule gibt es dort weit und breit nicht«. Sie ist froh, Teil des Projekts zu sein.

Ihr Selbstbewusstsein, räumt Socheata ein, haben die vergangenen Jahre ungeheuer gestärkt. Jetzt schreckt sie, für die noch vor einigen Jahren schon ein höherer Schulabschluss undenkbar schien, selbst vor ganz großen Träumen nicht zurück. Jura studieren wolle sie, um später in verantwortlicher Position irgendwo in der Region »für die Durchsetzung von Frauenrechten zu arbeiten«, wie sie ergänzt. Anderen zeigen, welches Potenzial man hat, auch das wird den Mädchen in den Kursen beigebracht. Sie sind im besten Wortsinn Multiplikatorinnen – wenn sie selbst dörfliche Teams trainieren, wirken sie als Vorbilder, an denen sich die Jüngeren orientieren können. Und die helfen, bisher noch skeptische Eltern zu überzeugen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. Juli 2014


Frauenpower in der Männerwelt

In Kambodscha sind Frauen das Rückgrat der Wirtschaft **

Die Khmer-Gesellschaft ist traditionell männerdominiert. Bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr sank der ohnehin nicht üppige Anteil weiblicher Mandatsträger sogar leicht: Von 123 Abgeordneten sind jetzt noch 25 statt zuvor 27 Frauen. Das verwundert kaum, da schon unter den Kandidaten nur 19 Prozent weiblich waren. Auffällig ist auch der Frauenmangel auf Regierungsebene, wo seit Jahren die gleiche Altmännerriege rund um Premier Hun Sen den Ton angibt.

Im Gegenzug stellen Frauen den größten Teil der Belegschaften in der Textilindustrie, die das Rückgrat der Exportwirtschaft ist. Von den mehr als 400 000 Beschäftigten der Branche sind 90 Prozent weiblich. Sie leiden nicht nur unter den niedrigen Löhnen, sondern auch unter fehlendem Mutterschutz und anderen geschlechtsspezifischen Aspekten ausbeuterischer Arbeitsbedingungen. Zudem sind die Näherinnen nicht selten sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Immerhin haben aber eben diese Textilarbeiterinnen zuletzt an Selbstbewusstsein gewonnen – der Kampf um eine Anhebung des Mindestlohns auf 160 US-Dollar monatlich, wenngleich noch nicht erfolgreich, war mit den zahlreichen machtvollen Streiks in erster Linie von Frauen getragen.

Auch die Gewerkschaften dieses Sektors werden von Männern angeführt. Von den sechs größeren Textil-Gewerkschaftsverbänden hat nur eine, nämlich die NIFTUC mit 25 000 Mitgliedern in 32 Fabriken, eine Frau zur Vorsitzenden. Als »Frauenbewegung unter männlicher Führung« werden die fortgesetzten Arbeitskämpfe der Näherinnen darum manchmal beschrieben. NIFTUC-Chefin Morn Nhim jedenfalls hat ihre Gewerkschaft schon 1999 selbst gegründet. Und auch sonst gibt es vereinzelt prominente Beispiele dafür, dass sich Frauen nicht den Mund verbieten lassen und mutig für grundlegende Rechte einstehen. So saß Yorm Bopha 14 Monate im Gefängnis: Im Mai 2012 hatte sie einen Protest gegen Zwangsvertreibungen in der Hauptstadt Phnom Penh angeführt, war später festgenommen und zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Auch dank des Einsatzes internationaler Menschenrechtsgruppen kam die 30-Jährige im November 2013 auf Kaution frei.

Ein Problem Kambodschas stellt auch die »Unterhaltungsbranche« mit teils nahtlosem Übergang zu Prostitution und Menschenhandel dar. Gerade aus ländlichen Gebieten werden junge Frauen unter falschen Versprechungen gelockt, teilweise sogar entführt. Und auch bei den zahlreichen Vertriebenen in der Bauboom-Metropole Phnom Penh, die Haus und bisherige wirtschaftliche Existenz verloren haben, bleibt den Frauen bisweilen aus purer Not nur der Ausweg, mit dem Verkauf ihres Körpers die Familien zu ernähren. tbgr

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. Juli 2014


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