Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Plädoyers in Phnom Penh

Kambodscha: Prozeß des Sondertribunals gegen Rote Khmer vor Abschluß

Von Thomas Berger *

In Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh haben am Mittwoch im Prozeß gegen die noch lebenden früheren Anführer der Roten Khmer die Schlußplädoyers vor dem Sondertribunal begonnen. Opferanwälte waren die ersten, die noch einmal zusammenfaßten, was seit 2011 in unzähligen Verhandlungstagen mühselig im Detail aufgearbeitet worden war – für die wieder zahlreichen Besucher im Gerichtssaal eine abermals schmerzvolle Erinnerung an eigenes Leid. Es war die Rede davon, wie Mütter ihre Kinder verhungern sahen, ohne etwas dagegen tun zu können, und wie schon die damalige Evakuierung der Stadtbevölkerung aufs Land für viele den Tod bedeutete.

1,7 bis über zwei Millionen Tote hat die knapp vierjährige Schreckensherrschaft der Roten Khmer gefordert, die von der Einnahme Phnom Penhs im April 1975 bis Anfang 1979 dauerte, als Abtrünnige der Bewegung gemeinsam mit den vietnamesischen Nachbarn das Land befreiten. Nur noch zwei der ursprünglich vier Angeklagten dieses zweiten Prozesses vor dem gemischt mit von der UN gestellten und einheimischen Richtern besetzten Tribunals erwarten in den kommenden Monaten ihr Urteil. Nur 20 Minuten nach dem Beginn des Verhandlungstages verkündete Nuon Chea (87), ehemals »Bruder Nummer zwei« in der Machthierarchie und Chefideologe, daß er sich nicht wohl fühle. Im Rollstuhl aus dem Gerichtssaal gebracht, verfolgte er das weitere Geschehen per Audioübertragung aus einer Zelle. Khieu Samphan (82), ab 1977 Staatsoberhaupt, hat von allen Angeklagten am meisten persönliche Präsenz gezeigt. Angesichts der langen Dauer des Verfahrens wächst in Kambodscha die Sorge, daß auch diese beiden alten Herren das Urteil, das irgendwann im kommenden Jahr gesprochen werden soll, nicht mehr erleben werden. Vor einiger Zeit war bereits der einstige Außenminister Ieng Sary, der sich 1996 als erster aus der verbliebenen Führungsclique der Regierung ergeben hatte, im Alter von 87 Jahren gestorben. Seine Ehefrau Ieng Thirith, damals Sozialministerin, war zuvor bereits wegen Demenz für nicht mehr verhandlungsfähig erklärt worden.

Opferanwalt Pich Ang erklärte die Herrschaft der Roten Khmer zu »einem der schlimmsten Regime, die die Geschichte je gesehen hat«. Die Kerngruppe um Anführer Saloth Sar alias Pol Pot hatte die Kommunistische Partei Kambodschas unterwandert und glaubte auf der Grundlage einer mit maoistischen Versatzstücken angereicherten Ideologie an eine nationalistische Agrargesellschaft, die an die Glanzzeiten des einstigen Angkor-Reiches anknüpfen sollte. Am meisten zu leiden hatte unter der Herrschaft der Roten Khmer die zur Zwangsarbeit getriebene Stadtbevölkerung. Zwar gab es Folter und Exekutionen, für die Kaing Guk Eav alias Duch, Leiter des Zentralgefängnisses S-21, im ersten Prozeß zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, noch mehr Menschen starben aber an Unterernährung, Entkräftung und Krankheiten. Keiner der Angeklagten hat bisher eine formelle Schuld anerkannt. Immerhin hatten aber sowohl Nuon Chea als auch Khieu Samphan vor einigen Monaten eine halbherzige Entschuldigung für damaliges Unrecht und »Fehlentwicklungen« an die Opfer gerichtet. Von den »killing fields« wollen sie allerdings nichts gewußt haben.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 17. Oktober 2013


Zurück zur Kambodscha-Seite

Zurück zur Homepage