30 Jahre Haft für "Duch"
Erstes Urteil des Sondertribunals in Kambodscha gegen Vertreter der Roten Khmer
Von Thomas Berger *
Es ist ein Datum, das in den kambodschanischen Geschichtsbüchern einen
Platz finden wird. Am 26. Juli haben die Richter des Sondertribunals
gegen die Verbrechen der Diktatur der Roten Khmer (17. April 1975 bis 7.
Januar 1979) ihr erstes Urteil gesprochen. Es lautet auf 30 Jahre und
betrifft Kaing Guek Eav alias Duch, der als Chef-Folterer der
Führungsclique um den nicht mehr lebenden Pol Pot gilt. Duch, damals
Leiter des unter der technischen Bezeichnung S-21 betriebenen größten
Gefängnisses Tuol Sleng, wurde von den Richtern sowohl Kriegsverbrechen
als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden. 30
Jahre Gefängnis lautet ihr Urteil.
Das ursprüngliche Strafmaß ist bereits um fünf Jahre abgesenkt worden,
da die Richter die Inhaftierung des Angeklagten ohne ausreichende
Rechtsgrundlage, verhängt durch ein Militärgericht im Jahr 1999, für
illegal befanden. Auch die seither bereits als faktische
Untersuchungshaft hinter Gittern verbüßten elf Jahre sind angerechnet
worden, so daß die Reststrafe nun noch 19 Jahre beträgt.
Mit Hochspannung war im In- und Ausland erwartet worden, wie der Prozeß
gegen den 67jährigen ehemaligen Mathematiklehrer ausgehen würde. Nicht
nur, daß es sich um den ersten Fall handelt, der vor dem Tribunal
verhandelt wurde. Alle Beteiligten standen auch vor der schwierigen
Fragen, wie die individuelle Schuld des Angeklagten an den zu
Diktaturzeiten in seinem Verantwortungsbereich verübten Greueltaten zu
werten ist. Duch selbst hatte sich mit Hilfe seiner Anwälte immer wieder
als kleines Rad im Getriebe des Schreckensregimes darzustellen versucht,
der lediglich als Befehlsempfänger die Vorgaben der Führung umsetzte und
selbst Repressalien bis zum Tod zu befürchten hatte. Die
Anklagevertreter hingegen machten deutlich, daß ihrer Ansicht nach Duch
im vorauseilenden Gehorsam für die vielen Toten in S-21 zum großen Teil
auch selbst die Schuld trage.
Rund 17000 Insassen hat das Spezialgefängnis in der kurz nach der
Machtübernahme der Roten Khmer fast völlig evakuierten Hauptstadt Phnom
Penh in den knapp vier Jahren gehabt. Handelte es sich anfangs um die
als Gegner eingestuften Intellektuellen sowie einige Vertreter des
alten, amerikatreuen Regimes, wurden im Zuge interner
»Säuberungsaktionen« der unter einem regelrechten Verfolgswahn
herrschenden Regierung immer mehr Kader der mittleren und sogar höheren
Ebene eingeliefert, denen man unterstellte, ausländische Spione zu sein.
Insbesondere im Grenzgebiet zu Vietnam wurden fast alle Kommandeure der
Bewegung verhaftet und später nach unter Folter erzwungenen
Geständnissen ermordet. Nur ein Dutzend Überlebende fanden sich bei der
Befreiung des Gefängnisses durch die zum Jahreswechsel 1978/79
einmarschierten Vietnamesen.
Opfer und Hinterbliebene reagierten enttäuscht auf den Urteilsspruch.
»Millionen Menschen wurden getötet, Millionen Dollar (für den Prozeß)
ausgegeben, aber der Mörder könnte wieder freigelassen werden«, empörte
sich der 79jährige Tuol-Sleng-Überlebende Chum Mey. »Es wurde keine
Gerechtigkeit gesprochen.« Auch der Gründer von Kambodschas Zentrum für
Gerechtigkeit und Versöhnung, Theary Seng, kritisierte das Urteil als zu
mild. Es könne kein Urteil hingenommen werden, wonach Duch
möglicherweise wieder frei komme, sagte der Sohn von Opfern der Roten
Khmer. Unter der Herrschaft der Roten Khmer waren in den 1970er Jahren
zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen, ein Viertel der
kambodschanischen Bevölkerung.
Vier weiteren ehemaligen Anführern der Roten Khmer soll im nächsten Jahr
der Prozeß gemacht werden.
* Aus: junge Welt, 27. Juli 2010
Der Fall Duch
Von Detlef D. Pries **
Der Mann, der sich als »Revolutionär« Duch nannte, hat sich als Chef des
berüchtigten Folter- und Hinrichtungsgefängnisses S-21 zwischen 1975 und
1979 schwerster Verbrechen schuldig gemacht. Seine Bestrafung ist -
obwohl er nicht dem engsten Führungszirkel um Pol Pot angehörte - nur zu
gerecht. Dass andere Parteigänger des Regimes, an deren Händen nicht
weniger Blut klebt, ihrer Strafe entgehen werden, konnte kein Grund
sein, Duch freizusprechen.
Sein Prozess, der erste vor dem internationalen Kambodscha-Tribunal, war
fair wie wahrscheinlich keiner zuvor in der Geschichte des Landes, die
Zeit vor der Schreckensherrschaft der vorgeblich »roten« Khmer
eingeschlossen. Als Lehrbeispiel ist dieses Tribunal für Kambodscha von
besonderem Wert. Wäre es nach der internationalen Gemeinschaft gegangen,
hätte das Gericht im fernen Den Haag getagt. Weder wären dort rund 30
000 Kambodschaner Augen- und Ohrenzeugen geworden noch hätten
Nebenkläger in so großer Zahl auftreten können. Mit Recht bestand die
viel gescholtene Regierung in Phnom Penh daher darauf, dass Verbrechen
von Kambodschanern in Kambodscha von kambodschanischen Richtern - mit
internationaler Unterstützung - geahndet werden. Dennoch äußern
Überlebende und Angehörige der Opfer Duchs ihre Unzufriedenheit über das
Urteil der Richter. Verständlich ist das durchaus: Es gibt kein
gerechtes Strafmaß, das ihrem Leid entsprechen würde.
** Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2010
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