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Verbrecher aus Ergebenheit

Schlusswort des Angeklagten überraschte

Von Detlef D. Pries *

15 Kilometer von Phnom Penh entfernt, in einem Neubau auf ehemaligem Militärgelände, saß das Kambodscha-Tribunal im vergangenen Jahr über den »Chefhenker« des Pol-Pot-Regimes (1975-79) zu Gericht. Am Montag (26. Juli) wird der Vorsitzende Richter Nil Nonn das Urteil verkünden, das die fünfköpfige Kammer über Kaing Guek Eav alias Duch gefällt hat.

Unsicher schien er zunächst. Bevor er eine Frage beantwortete, legte er nach Landessitte die Hände zusammen und hob sie vors Gesicht. Später wurde er selbstbewusster, korrigierte die Übersetzer, bemerkte über eine Opferanwältin spöttisch, Frau Studzinsky sei offenbar nie beim Militär gewesen, und ließ ihre Frage unbeantwortet. Zeitweise folgte er der Verhandlung mit versteinerter Miene, ein anderes Mal rollten ihm Tränen übers Gesicht. Zeugen, die ihn aus den 60er oder aus den 90er Jahren kannten, waren überrascht darüber, dass der Mann, den sie als gütig und kenntnisreich beschrieben, eben jener Duch sein sollte, dem abscheuliche Verbrechen zur Last gelegt werden.

Wer ist Kaing Guek Eav? 1942 geboren, hatte sich der junge Mathematiklehrer Ende der 60er Jahre jenen angeschlossen, die gegen das »halbkoloniale, halbdiktatorische Regime« Kambodschas kämpften. Der damalige Staatschef Prinz Norodom Sihanouk nannte sie »Rote Khmer«. Er habe sein Leben der Befreiung des Volkes von jeder Unterdrückung widmen wollen und sei zu Opfern bereit gewesen, erklärte Duch, wie er sich seither nannte, den Richtern.

Gefängniserfahrungen

Schon wenige Wochen nach seiner Aufnahme in die illegale Partei, die sich erst viele Jahre später als Kommunistische Partei Kampucheas vorstellte, wurde Duch festgenommen und 1968 nach einem halbtägigen Prozess wegen Gefährdung der Staatssicherheit zu 20 Jahren Haft verurteilt. 40 Jahre später gefragt, wo er das Foltern gelernt habe, wird er antworten: im Gefängnis Sihanouks. Er selbst sei dort aber nicht geschlagen worden.

1970 wurde Sihanouk gestürzt - unter Führung seines damaligen Premierministers, des USA-freundlichen Lon Nol, der die »Republik Khmer« ausrief. Duch kam durch eine Amnestie frei. Hätten Nixon und Kissinger damals nicht Lon Nol unterstützt und hätte Sihanouk im Pekinger Exil seine Landsleute nicht zum Kampf gegen die neuen Machthaber aufgerufen, wären die »Roten Khmer« wohl bald erledigt gewesen, glaubt Kaing Guek Eav heute. Auf Sihanouks Geheiß aber strömten Tausende in den Untergrund, wo es nur eine organisierte Kraft gab: die Rebellen, deren Führung ein damals noch unbekannter Mann namens Saloth Sar alias Pol Pot an sich gerissen hatte. Und die Bombardierung Kambodschas durch die US-amerikanische Luftwaffe im Zuge des Vietnam-Kriegs stärkte den Widerstand zusätzlich.

»Einzigartiger« Terror

Das alles ist nicht Prozessgegenstand. Das Tribunal soll ausschließlich über die »höchste Führung« und über »Hauptverantwortliche« für Verbrechen in der Zeit des Pol-Pot-Regimes zwischen 17. April 1975 und 7. Januar 1979 richten.

Zum Charakter dieses Regimes hörte das Tribunal den US-Amerikaner Craig Etcheson als Experten. Die Führer des »Demokratischen Kampuchea« hätten ihre Revolution als »einzigartig« angesehen und keine frühere kommunistische Revolution als Modell anerkannt, erläuterte Etcheson. Sie glaubten, andere Revolutionen seien gescheitert, weil sie die unterdrückende Klasse, Kapitalisten und Feudalisten, nicht völlig liquidiert hatten. Sie dagegen wollten gründlich vorgehen. Ihr Konzept, so Etcheson, habe »die gesamte Geschichte der Theorie von Marx und Engels über Lenin, Stalin, Mao und andere missachtet«. Auch Duch wurde gefragt, ob er das Regime Pol Pots maoistisch nennen würde. »Es war grausamer«, bekannte er, eben »polpotistisch«.

Duch war 1975 mit dem Aufbau und 1976 mit der Leitung von S-21 beauftragt worden. Das war der Codename des Sicherheitsgefängnisses in Phnom Penh, in dem zunächst Offiziere und Beamte des 1975 gestürzten Lon-Nol-Regimes »zerschlagen« wurden. Als »Tuol Sleng« ist S-21 inzwischen weltweit berüchtigt. Duch war bereits zuvor Chef eines Dschungelgefängnisses in der »befreiten Zone« gewesen und hatte sich offenbar in den Augen seiner Oberen bewährt. Zwar habe er die »Polizeiarbeit« verabscheut und versucht, auf anderen Posten eingesetzt zu werden, doch offen habe er seine Abneigung nicht erklärt - aus Furcht vor dem eigenen Tod und dem seiner Familie, behauptet er.

Denn ab 1976 suchten Pol Pot und seine Vertrauten unter der Losung der »Reinheit der Partei« feindliche Elemente und »Spione« vor allem in den eigenen Reihen. Von »irrationaler Paranoia« war im Prozess die Rede. Duch sagte, die Betroffenen seien Pol Pot einfach »ein Dorn im Auge« gewesen. Fast 80 Prozent von 12 380 namentlich erfassten Gefangenen in S-21 waren Militärs und Mitarbeiter von Behörden des Regimes und deren Angehörige. Dazu gehörten Mitglieder des engsten Führungszirkels, die sich selbst vor dem Tribunal verantworten müssten - hätten sie überlebt.

Doch überleben sollte keiner. Wer in S-21 eingeliefert wurde, der war zum Tode verurteilt, selbst wenn er irrtümlich verhaftet worden war. Und sobald einer »zerschlagen« war, drohte seinen Angehörigen - selbst Kindern - und seinen Untergebenen dasselbe Schicksal. Vorher mussten die Todgeweihten allerdings gestehen, Agenten Vietnams, Spione des KGB oder der CIA zu sein, selbst wenn sie diese Begriffe zum ersten Mal hörten. Um Geständnisse aus den Häftlingen herauszupressen, wurden sie geschlagen, mit Elektroschocks gequält, man entzog ihnen die Luft zum Atmen, leitete Wasser in ihre Nasen, einige bluteten regelrecht aus... Auch dass man Gefangenen Zehen- oder Fingernägel herausriss, hat Duch »gehört«, befohlen will er es nicht haben. Und selbst habe er nur an ein oder zwei Verhören teilgenommen. Die meiste Zeit sei er mit der Durchsicht von Gefangenenlisten und Verhörprotokollen beschäftigt gewesen, die er mit Anmerkungen versah: »Hat nicht gestanden. Folter.« oder »Onkel Peng, alle töten!«

Duch leugnete nicht, dass unter seiner Verantwortung unvorstellbare Grausamkeiten begangen wurden: »Man kann einen Elefanten nicht im Reiskorb verstecken.« Mehrfach äußerte er Reue und bat die Angehörigen der Opfer, ein »Fenster der Vergebung« offen zu lassen. Er bestritt jedoch, »hauptverantwortlich« gewesen zu sein. Nur um dem eigenen Tod zu entgehen, habe er die Befehle der »höheren Ebene« peinlich genau erfüllt. Das sei sein Lebensprinzip: »Wenn ich etwas tue, dann tue ich es ordentlich.« Seine Verteidiger argumentierten, es habe unter Pol Pot 196 ähnliche Gefängnisse gegeben, doch deren Chefs stehen nicht vor dem Tribunal, Duch solle offenbar als Sündenbock dienen.

Falsche Reue?

Die Ankläger hielten dem entgegen, Duch habe seine Befehle mit besonderem Eifer ausgeführt, er sei stolz gewesen auf seine häufigen Kontakte zu Verteidigungsminister Son Sen und »Bruder Nr. 2« Nuon Chea. Schon daraus sei auf die zentrale Stellung dieses Gefängnisses und seines Leiters zu schließen, der eine 40-jährige Haft verdient hätte.

Nachdem Duch im Prozessverlauf erklärt hatte, er werde jede Strafe akzeptieren, überraschte sein Schlusswort, in dem er sich seinem kambodschanischen Verteidiger Kar Savuth anschloss, der auf Freispruch plädiert hatte. Selbst sein französischer Anwalt Francois Roux schien bestürzt, hatte er doch die Reue seines Mandanten als mildernden Umstand zu berücksichtigen gebeten. Roux wurde zwei Wochen vor der Urteilsverkündung am Montag von Duch seines Mandats enthoben.

Das Gericht

Das Kambodscha-Tribunal heißt offiziell Außerordentliche Kammern an den Gerichten Kambodschas für die Verfolgung von Verbrechen während der Periode des Demokratischen Kampuchea (engl. Abkürzung ECCC). Demokratisches Kampuchea war der Name des Pol-Pot-Staates.

Das Tribunal wurde aufgrund eines Abkommens zwischen der UNO und der Regierung Kambodschas vom 6. Juni 2003 gebildet. Es nahm seine Arbeit 2006 auf. Das sogenannte Hybrid-Tribunal besteht aus einheimischen und ausländischen Juristen. Unter den Richtern sind die Kambodschaner in der Überzahl, können jedoch ohne Zustimmung mindestens eines ausländischen Richters keine gültige Entscheidung fällen.

Im Fall Nr. 001 verhandelte das Tribunal gegen den heute 67-jährigen Kaing Guek Eav, der sich Duch nannte und Chef des Folter- und Exekutionsgefängnisses S-21 (Tuol Sleng) war. Duch ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Folter und Mord angeklagt, nicht aber wegen Völkermord. Nach zwei Sitzungen zu Verfahrensfragen im Februar 2009 begann der Prozess am 30. März vergangenen Jahres. In 72 Verhandlungstagen wurden bis zum Ende der Beweisaufnahme am 17. September 55 Zeugen gehört, darunter ausländische Experten, ehemalige Untergebene Duchs, überlebende Häftlinge und Angehörige von Ermordeten, die - erstmals in einem solchen Tribunal - als Nebenkläger auftraten. Zwischen 23. und 27. und November hielten Nebenklägervertreter, Ankläger, Verteidiger und der Angeklagte ihre Plädoyers.

Im zweiten Prozess, der im kommenden Jahr beginnen soll, werden Nuon Chea (Pol Pots Stellvertreter), Khieu Samphan (nominelles Staatsoberhaupt), Ieng Sary (Vizepremier und Außenminister), dessen Frau Ieng Thirith (Sozialministerin) und erneut Kaing Guek Eav auf der Anklagebank sitzen. Anders als Duch sind die ersten vier bisher nicht geständig. ddp



* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2010


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