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Geduld ist am Ende

Zehntausende kambodschanische Textilarbeiter, meist junge Frauen, fordern mit landesweitem Streik eine gerechte Entlohnung

Geduld ist am Ende Zehntausende kambodschanische Textilarbeiter, meist junge Frauen, fordern mit landesweitem Streik eine gerechte Entlohnung Von Thomas Berger *

Auch am zweiten Tag eines nationalen Streiks von Textilarbeitern im Konflikt um eine ungenügende Anhebung des Mindestlohns waren am Dienstag (14. Sep.) Zehntausende Beschäftige im Ausstand. Nachdem der Streit um die miserable Entlohnung sich bereits seit einem halben Jahr immer weiter zugespitzt hat, ist die Geduld der Betroffenen mittlerweile erschöpft. Eine im Sommer auf Drängen der Regierung ausgehandelter »Kompromiß« wird von den Streikenden als unzureichend angesehen. Schon am Montag hatten nach unterschiedlichen Angaben mindestens 60000 Frauen und Männer in mehr als 50 Textilfabriken die Arbeit niedergelegt. Gewerkschaftsvertreter sprachen von bis zu 75000, während die Unternehmerseite den Arbeitskampf kleinzureden versuchte und lediglich 20000 Streikende erwähnte.

Bis vor kurzem lag der Mindestlohn für die Branche bei lediglich 50 US-Dollar im Monat, zuzüglich einer »außertariflichen Sonderzahlung« von sechs Dollar. Damit hat Kambodscha neben Bangladesch, wo 45 Dollar Mindestlohn gezahlt werden, die niedrigsten Textilarbeiterlöhne jener Länder, die mit ihren Exporten einen Großteil dessen liefern, was in westlichen Staaten über die Ladentische geht. Produziert wird auch für international namhafte Marken wie Benetton, Adidas und Puma.

Die von der Kambodschanischen Volkspartei (CPP) gestellte Regierung liegt in dem Konflikt bei der Argumentation auf einer Linie mit den Unternehmerverbänden. Eine zu starke Anhebung, so Ministeriumsvertreter, würde das südostasiatische Land im globalen Wettbewerb schwächen. Schließlich seien die Niedriglöhne der einzige Standortvorteil, mit dem sich punkten lasse. In der Tat sind die Produktionskosten abseits der Personalausgaben deutlich höher als bei den Konkurrenten. Allein der Strompreis liegt dreimal so hoch wie in Vietnam, hinzu kommen erhebliche Transportausgaben, weil die Verschiffung über Singapur oder Hongkong laufen muß.

Nach dem Tourismus und dem Agrarsektor ist die Textilbranche drittgrößter Wirtschaftszweig Kambodschas. 330000 Menschen sind unmittelbar beschäftigt, eine weitere Viertelmillion indirekt von den Fabriken abhängig. Allerdings war die Branche, in der global 30 Millionen Menschen Arbeit finden, von der Wirtschaftskrise stark betroffen – und Kambodscha besonders intensiv. 77 Betriebe mußten komplett dichtmachen, 40000 Beschäftigte landeten auf der Straße. Eine 15,6-prozentige Exportsteigerung zuletzt hat kaum zum Erreichen des Standes vor der Krise gereicht. Allein jede fünfte Frau im Alter zwischen 18 und 24 Jahren ist Textilarbeiterin.

Die vielgepriesene »ökonomische Freiheit« lockt immer mehr ausländische Firmen ins Land. 90 Prozent der Textilfabriken befinden sich in deren Händen, auch wenn dies oft nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Die einheimischen Statthalter lamentieren und versuchen, jeglichen Arbeitskampf zur Not gewaltsam zu unterbinden. So kam es bereits im Juli zu bedrohlichen Szenen, als Polizisten mit Gewehren und Tränengasausrüstung etwa 3000 Beschäftigte eines Betriebes in malaysischer Hand zurück zur Arbeit trieben.

Die Zersplitterung in mehr als 200 Einzelgewerkschaften schwächt die wirksame Interessenvertretung der Arbeiter. Der gegenwärtige Massenstreik wird vor allem von CCAWDU und NIFTUC getragen, während regierungsnahe Gewerkschaftsvertreter weiter für den »Kompromiß« eintreten. Die Deckelung des neuen Mindestlohns von 61 Dollar bis 2014 ist aber für die Streikenden unannehmbar. Schließlich hat Kambodscha eine zweistellige Inflationsrate. Wegen dieser Reallohnverluste hatte das unabhängige Community Legal Education Centre (CLEC) bereits eine Anhebung auf mindestens 72 Dollar angeregt. Die Streikenden fordern 93 Dollar.

* Aus: junge Welt, 15. September 2010


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