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Kambodschas Opposition setzt auf Sieg

Erfolg der Regierungspartei bei Parlamentswahl wird nicht anerkannt *

Nach überraschend deutlichen Stimmengewinnen will die Opposition in Kambodscha den Sieg der Regierungspartei bei der Parlamentswahl nicht anerkennen.

»Wir akzeptieren das Ergebnis nicht, es gab zu viele Unregelmäßigkeiten«, sagte Kambodschas Oppositionsführer Sam Rainsy am Montag. »Wir verlangen eine Untersuchungskommission unter Beteiligung internationaler Organisationen, die das Ergebnis überprüft.« Wenn die Kommission feststelle, dass die Parlamentswahlen unfair waren, verlange er eine neue Abstimmung. Menschenrechtler hatten bereits vor fehlerhaften Listen und »Geisterwählern« gewarnt.

Die regierende Volkspartei kam bei der Parlamentswahl am Sonntag nur auf 68 Sitze, nach 90 vor fünf Jahren. Rainsys Nationale Rettungspartei sicherte sich 55 Sitze. Die Partei war aus zwei Formationen entstanden, die vorher 29 Sitze hatten.

Die Aussicht, dass der seit 28 Jahren regierende Ministerpräsident Hun Sen den Forderungen Rainsys nachkommt, sind gering. Er kontrolliert den Staatsapparat und weitgehend auch die Medien. Die bislang viel schwächere Opposition wurde mehrfach eingeschüchtert und aus dem Parlament verbannt, die Immunität von Abgeordneten wurde aufgehoben. Sam Rainsy flüchtete nach Anklagen Ende 2009 ins Exil und kehrte erst nach einer Amnestie vor gut einer Woche zurück.

»Die Wahlen waren frei, fair und transparent«, urteilten Beobachter des Verbandes asiatischer Parteien (ICAPP). Sie riefen alle Parteien auf, das Ergebnis zu respektieren. In dem Verband sind unter anderen Parteien aus Aserbaidshan, Russland und Vietnam vertreten.

Die Volkspartei sprach von einem Sieg. »Ich finde nicht, dass die Bürger der Politik der Partei eine Absage erteilt haben«, sagte Kabinettssprecher Phay Siphan. Die Opposition habe nur gewonnen, weil sie mit rassistischen Parolen die Gemüter erhitzt habe. Sam Rainsy bezeichnet die Regierungsmitglieder als Marionetten Vietnams. Kambodscha gehört zu den ärmsten Staaten, auch wenn Textilindustrie und Tourismus zweistellige Wachstumsraten bescherten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. Juli 2013

Oberretter

Er wolle Kambodscha retten, versicherte Sam Rainsy seinen jubelnden Anhängern, als er am 19. Juli aus seiner zweiten Heimat Frankreich nach Phnom Penh zurückkehrte. Wie schon im Jahre 2006 hatte ihm eine königliche Amnestie auf Ersuchen von Regierungschef Hun Sen die gefahrlose Heimkehr ermöglicht. Eben jenem Hun Sen wirft Sam Rainsy vor, er habe ihn als seinen ärgsten Gegner durch politisch motivierte Anklagen und Urteile ausschalten, wenn nicht gar beseitigen wollen.

Sam Rainsy, 1949 als Sohn eines späteren königlichen Ministers geboren, war 1965 nach Frankreich gegangen, hatte Finanzwirtschaft und Politik studiert und sich im Investmentgeschäft betätigt. Erst 1992, lange nach dem Indochinakrieg der USA und der Pol-Pot-Herrschaft, kehrte er nach Kambodscha zurück, wurde 1993 für die royalistische FUNCINPEC ins Parlament gewählt und übernahm in der Regierung das Finanzministerium. Im Jahr darauf aber schloss ihn seine Partei nach einem Misstrauensvotum aus. Sam gründete daraufhin die Partei der Khmer-Nation, die 1998 in Sam-Rainsy-Partei umbenannt wurde und sich zur stärksten Oppositionskraft entwickelte. Die Vereinigung mit der Menschenrechtspartei zur Partei der Nationalen Rettung im vergangenen Jahr versprach weiteren Kräftezuwachs. Tatsächlich gewann die Rettungspartei am Sonntag 55 von 123 Parlamentssitzen, wogegen Hun Sens Volkspartei mit 68 Mandaten zwar die Mehrheit behauptete, aber erstmals seit 1998 empfindliche Verluste erlitt.

Allerdings erklärten Sam Rainsys Parteifreunde schon am Wahltag, sie akzeptierten nur ihren Sieg. Der Parteichef beklagt massenhafte Fehler in den Wählerlisten, Stimmenkauf und Einschüchterung – zumal er selbst nicht kandidieren durfte, weil die Liste bei seiner Heimkehr schon geschlossen war. Ruft die Rettungspartei im Streit ums Wahlergebnis zum Aufstand auf oder boykottiert sie das Parlament? Kambodscha droht eine neue Krise. Die Zukunft scheint in den Händen zweier Männer zu liegen, die gleichermaßen für provokative Sprüche bekannt sind: Hun Sen und Sam Rainsy.

Detlef D. Pries

(neues deutschland, 30. Juli 2013)




Schlappe für Regierung

Parlamentswahl in Kambodscha: Die Jugend will Veränderungen

Von Sarah Thust, Phnom Penh **


Erstmals in der Geschichte Kambodschas rüttelt die Opposition mit Unterstützung der Jugend des Landes am Stuhl von Premierminister Hun Sen, der schon seit 28 Jahren im Amt ist. Nach ersten Zählungen hat die Nationale Rettungspartei bei der Parlamentswahl vom Sonntag 29 Sitze gewonnen, während die regierende Kambodschanische Volkspartei 22 Sitze abgeben mußte. Sie behält dennoch eine Mehrheit von 68 gegenüber 55 Mandaten. Aufgrund von Manipulationsvorwürfen forderte die weltweit agierende Nichtregierungsorganisation Transparency International am Montag eine Untersuchung der berichteten Unregelmäßigkeiten bei der Wahl.

Nur 69 Prozent der Wähler waren am Sonntag in dem südostasiatischen Land an die Urnen getreten, weniger als bei der letzten Wahl 2008. Dennoch: Jeder dritte registrierte Wähler in Kambodscha ist jünger als 35 Jahre, und diese gingen zur Wahl. »Viele junge Menschen haben dieses Mal ihre Stimme abgegeben. Sie haben nicht nur gewählt, sondern auch den Wahlprozeß sowie die Auszählung der Stimmen beobachtet. Beschwerden über Unregelmäßigkeiten kamen häufig von ihnen, besonders über soziale Medien und Facebook«, sagte am Montag Koul Panha, der Chef des Komitees für freie und faire Wahlen.

In Kambodscha ist eine Generation entstanden, die Panha »aktive, verantwortungsbewußte Bürger« nennt, viele von ihnen haben für die Opposition gestimmt. Sie verspricht denen, die nach den blutigen Gewalttaten der »Roten Khmer« aufgewachsen sind, ein besseres Einkommen, Freiheit und – Veränderung.

Der Menschenrechtsaktivist Virak Ou sagte, die Politiker im Land hätten auf die Rolle der Internetmedien vor den Wahlen zu kurzfristig reagiert. »Eine aktive, junge Population, günstiger Internetzugang und Smartphones, die sogar auf dem Land verbreitet sind – natürlich muß man damit rechnen, daß diese Generation ihre Meinung äußert und sich an der Politik beteiligt«, meinte er.

Im Wahlkampf wurde gesungen, getanzt und getwittert. Die jungen Wähler sehnen sich nicht nach Stabilität wie die Älteren, die in zwei Bürgerkriegen hart um ihr Leben kämpfen mußten. »Viele junge Menschen fürchten sich nicht und wollen sich von den Älteren abheben. Das ist der Auftakt einer neuen Entwicklung«, so Panha.

Für die Unterstützer der Opposition sind die sozialen Medien die Hauptinformationsplattform, da die Regierung die Agenda der meisten lokalen Massenmedien bestimmt. Der 25jährige Journalist Kimsay Hor erklärt deshalb, die sozialen Medien hätten politisches Engagement salonfähig gemacht. »Wir sehen, daß sich das Land entwickelt, aber wir wollen eine gute Ausbildung, sichere Jobs und gute Bezahlung. Das verspricht uns die Oppositionspartei. Diskussionen über die Vergangenheit spielen für uns keine Rolle.«

»Junge Menschen in Kambodscha sind politisch aktiv. Sie bevorzugen soziale Medien, weil die nicht zensiert werden und weil der Internetzugang günstig ist – zumindest in den Städten. Ich glaube zudem, daß sie die Meinung der Gesellschaft widerspiegeln«, sagt auch die 23jährige Jurastudentin Tiara Sum.

Am letzten Tag vor der Wahl hallte es aus dem Konvoi der Nationalen Rettungspartei: »Wollt ihr Veränderung oder nicht?« Die jungen Frauen und Männer auf ihren Motorrollern riefen: »Veränderung!« Am Sonntag abend zündeten Jugendliche zwei Autos der Militärpolizei nahe der Hauptstadt Phnom Penh an, aus Protest, weil zahlreiche Wähler ihre Namen nicht in den Verzeichnissen gefunden hatten. »Sie sind wütend über das Vorgehen der Polizei«, sagte einer der Demonstranten in Stung Meanchey.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Juli 2013


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