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Ein neuer Retter für Kambodscha?

Langzeit-Regierungschef Hun Sen sieht sich einem starken Herausforderer gegenüber

Von Detlef D. Pries *

In Kambodscha wird am Sonntag gewählt – 20 Jahre nach den ersten UNO-überwachten Wahlen, die Jahrzehnten von Aggression, mörderischer Pol-Pot-Herrschaft und Bürgerkriegen folgten.

Hun Sen war 26 Jahre alt, als er im Januar 1979 Außenminister der Volksrepublik Kampuchea wurde. Er war 32, als er zum Regierungschef berufen wurde. Das ist er heute noch, im 61. Lebensjahr. Nur dass der Staat sich wieder Königreich Kambodscha nennt und die Partei, auf die sich Hun Sen stützt, von der Revolutionären Volkspartei zur schlichten Volkspartei geworden ist.

Wer so lange regiert, hängt an der Macht und will von ihr nicht lassen. Kambodschas »starker Mann« hat unlängst verkündet, bis Mitte 70 wolle er regieren. Die erste Hürde auf dem Weg dahin muss er am Sonntag nehmen, wenn im Königreich am Mekong eine neue Nationalversammlung gewählt wird. Bei der vorangegangenen Wahl 2008 hatte die Volkspartei 90 der 123 Sitze erobert. Und kaum jemand zweifelte noch vor Monatsfrist, dass sie 2013 einen ähnlichen Erfolg für sich verbuchen würde. Nicht nur dank einer gut geölten Parteimaschinerie, dank Medienübermacht, Wählerkauf und Drohungen, wie sie die Opposition und westliche Kritiker beklagen. Kambodschas Wirtschaftsleistung wuchs zwischen 1998 und 2008 im Durchschnitt um jährlich zehn Prozent. Auch für 2013 sagt die Weltbank ein Wachstum um knapp sieben Prozent voraus. Viele Kambodschaner haben davon profitiert, auch wenn sich die Mindestlöhne in der Textilindustrie, dem wichtigsten Exportzweig, auf ganze 80 US-Dollar im Monat belaufen. Immerhin »mehr als in Indien, Bangladesch und Myanmar«, betonte Hun Sen kürzlich.

Vor allem aber rühmt sich der Mitbegründer der einstigen Einheitsfront zur Nationalen Rettung, Kambodscha nach dem Sturz des Pol-Pot-Regimes 1979 durch vietnamesische Truppen zu Frieden und Stabilität geführt zu haben. Die Opposition dagegen liefere das Land der Gefahr von Chaos und Krieg aus.

Tatsächlich steuert die stärkste Oppositionskraft, die sich – eigenartige Wiederholung der Geschichte – Partei der Nationalen Rettung nennt, hart auf antivietnamesischem Kurs. Nicht nur beklagt sie die »illegale vietnamesische Immigration«, sondern formuliert auch offene Gebietsforderungen an den Nachbarn. Freilich bestreiten die Parteichefs kriegerische Absichten. Man wolle das Recht Kambodschas friedlich vor dem Internationalen Gerichtshof erstreiten, erklärte Parteisprecher Yim Sovann. Zuerst gehe es um »Koh Tral«, unter dem Namen Phu Quoc die größte vietnamesische Insel. Das Mekong-Delta und Prey Nokor (Khmer-Name für das heutige Ho-Chi-Minh-Stadt) hätten »keine Priorität«, sagte Yim der »Phnom Penh Post«. Weite Gebiete Südvietnams gehörten vor der französischen Kolonialherrschaft zum Khmer-Reich. Noch heute lebt dort eine Khmer-Minderheit. Ähnliche Ansprüche zur »Wiedergewinnung« dieser Territorien hatte das Pol-Pot-Regime erhoben und mit militärischen Mitteln durchzusetzen versucht, was letztlich zu seinem Sturz führte.

Entstanden ist die Rettungspartei erst im vergangenen Jahr. Auf nachdrücklichen westlichen Rat hatte sich die nach ihrem Chef benannte Sam-Rainsy-Partei mit der Menschenrechtspartei unter Kem Sokha zusammengeschlossen. Beide zusammen verfügten im Parlament über 29 Sitze. Parteichef Sam Rainsy allerdings war bereits 2010 nach Frankreich geflohen, wo er schon Bürgerkrieg und Pol-Pot-Herrschaft überlebt hatte. In Kambodscha wurde er kurz darauf zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem, Markierungen an der kambodschanisch-vietnamesischen Grenze beseitigt zu haben. Seine Anhänger glauben jedoch, dass Hun Sen die Justiz bemüht habe, um einen scharfen Kritiker und Rivalen aus dem Weg zu räumen.

Am 19. Juli indes kehrte Sam Rainsy unter großem Jubel seiner Anhänger nach Phnom Penh zurück. Auf Antrag des Regierungschefs hatte ihn König Norodom Sihamoni begnadigt. Nur für eine Aufnahme in die Wähler- und die Kandidatenliste war es bereits zu spät. Schon deshalb könne die Wahl nicht frei und fair sein, beklagt Sam – und tourt an der Seite seines ehemaligen Intimfeindes und jetzigen Stellvertreters Kem Sokha wahlkämpfend durchs Land, um es zu »retten«. Beide prangern Korruption und die Günstlingswirtschaft Hun Sens und seiner Volkspartei an, versprechen die Erhöhung des Mindestlohns auf umgerechnet 150 Dollar und die Zahlung einer bescheidenen Rente von zehn Dollar an die älteren Kambodschaner.

Die Rettungspartei ist zum Sammelbecken aller Enttäuschten geworden. Dazu gehören auch Bauern, die durch die Vergabe von Konzessionen an große in- und ausländische Unternehmen ihr Land verloren haben, und Städter, die durch Luxusbauprojekte um ihre Wohnstätten gekommen sind. Vor allem die städtische Jugend, die Krieg, Bürgerkrieg und Pol-Pot-Terror nicht mehr erlebt hat, sehnt sich nach einem »Wandel«, den ihnen Sam und Kem versprechen.

Zwar bewerben sich am Sonntag acht Parteien um Parlamentsmandate, doch läuft die Wahl auf einen Zweikampf zwischen Volks- und Rettungspartei hinaus. Selbst der einst starken royalistischen FUNCINPEC, angeführt von Norodom Arun Rasmey, einer Halbschwester des Königs, werden nur geringe Chancen eingeräumt. Wenngleich die meisten Beobachter immer noch einen Sieg Hun Sens erwarten, wird der Langzeit-Regierungschef künftig mit einer stärkeren Opposition rechnen müssen. Was, wenn er sie akzeptiert, dem Land nicht schaden kann.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 27. Juli 2013


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