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Wider die Schatten der Vergangenheit Kambodschas

Psychologen helfen den Opfern des Pol-Pot-Regimes

Von Robert Luchs *

Vor dem Kambodscha-Tribunal, das die Verbrechen des Pol-Pot-Regimes (1975-79) aufarbeitet, fand im vergangenen Jahr der erste Prozess statt. Angeklagt war der Chef des Foltergefängnisses S-21, Kaing Guek Eav, genannt Duch. Das Urteil wird voraussichtlich im März gesprochen. Opfer und Zeugen, die als Nebenkläger auftraten, werden Jahrzehnte nach der Terrorherrschaft juristisch und psychologisch betreut.

»Wenn ich abends aus dem Büro nach Hause komme, verfolgen auch mich die Gespenster der Vergangenheit, dann werde auch ich von Albträumen geplagt.« Dr. Sotheara Chhim weiß als Psychologe, dass diese Reaktionen nicht ungewöhnlich sind. »Meine Aufgabe ist es nun, Menschen zu helfen, die nicht über mein Wissen verfügen, sie davon zu überzeugen, dass die Schatten der Vergangenheit eines Tages verschwunden sein werden.«

Die Schatten, das sind die bedrückenden Erinnerungen an die Schreckensherrschaft Pol Pots und seiner Clique. Unter ihrer Diktatur zwischen 1975 und 1979 kamen fast zwei Millionen Kambodschaner ums Leben, fast ein Viertel der damaligen Bevölkerung. Das Land wurde in eine einzige Agrarkommune verwandelt, die Bewohner der Städte wurden aufs Land getrieben, Intellektuelle und Mönche ermordet. Später richtete sich die Paranoia der Führung selbst gegen die eigenen Leute, die systematisch umgebracht wurden.

»Das Regime hat schwere psychische Krankheiten verursacht, darunter posttraumatische Schockzustände«, erklärt Dr. Chhim. Es handle sich um Traumata, die teilweise schon vor der Herrschaft Pol Pots entstanden sind. Denn die Bombardements der US-Amerikaner in den späten 60er und frühen 70er Jahren waren dreimal intensiver als der Bombenhagel auf Japan während des Zweiten Weltkriegs. Auf diese von den Menschen als Hölle empfundene Zeit folgte nahtlos die Machtübernahme der Pol-Pot-Clique. Und auch nach deren Sturz ging der Bürgerkrieg noch Jahre weiter, da zerfleischten sich die in den Dschungel geflüchteten Rebellen und Truppen der neuen Regierung.

Sotheara Chhim, der eine regierungsunabhängige, psychosoziale Organisation in Phnom Penh leitet, hat viele hundert Opfer behandelt. Bei seinen Untersuchungen hat er Symptome wie bei Überlebenden von Konzentrationslagern festgestellt: Todesangst, schwere Depressionen, Hoffnungslosigkeit. 30 Jahre nach dem Ende der Pol-Pot-Herrschaft haben von Chhim geschulte Teams in umfangreichen Studien herausgefunden, dass nahezu 30 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung heute noch traumatisiert sind.

»Wer Gewalt gegen andere in einem solch unvorstellbaren Ausmaß erlebt hat wie Millionen von Kambodschanern, der wird selbst gewalttätig«, betont der Psychologe. Seine Mitbürger könnten das Erlebte oft gar nicht anders verarbeiten. Auch Alkoholmissbrauch spiele eine große Rolle. »Daher brauchen sie unsere Hilfe.« Die in Kambodscha weit verbreitete Gewalt, vor allem auch in Familien, sei ein Problem, der Verlust des Vertrauens in die Gesellschaft ein anderes.

Die Opfer haben lange, zu lange in einem Umfeld der Rechtlosigkeit gelebt. Darum, was ihnen angetan wurde, kümmerten sich zunächst nur einige Nichtregierungsorganisationen. Noch im nachhinein, so Dr. Chhim, sei es den Polpotisten fast gelungen, ihre Ziele zu erreichen: die Zerstörung der kambodschanischen Gesellschaft und des Familienverbandes.

Die Zeit der Recht- und Gesetzlosigkeit geht in Kambodscha allmählich zu Ende. Das von der UNO unterstützte Kambodscha-Tribunal könnte eine große Hilfe bei der Bewältigung der Traumata sein, »aber es ist auch ein Risiko«, gibt der Psychologe zu bedenken. Einerseits symbolisiert es die lange vermisste Gerechtigkeit und könnte auch zur Aussöhnung beitragen. Aber die Prozesse gegen die Hauptverantwortlichen der Verbrechen bergen zugleich die Gefahr einer neuerlichen Traumatisierung.

»Ich glaube, die Opfer werden wieder von Albträumen heimgesucht werden, wenn sie die Prozesse im Fernsehen verfolgen«, befürchtet Dr. Chhim. Daher müssten Opfer und Zeugen - oft sind sie es in einer Person - psychologisch behandelt werden. Seine Organisation bietet neben direkter Hilfe vor allem Informationen an. Merkblätter schildern die Symptome, wobei den Betroffenen versichert wird, dass ihre Ängste durchaus normal sind. Eine Hotline ist geschaltet - Chhim will nichts unversucht lassen, die Menschen von ihren Ängsten zu befreien.

Parallel dazu ist ein Opfer- und Zeugenschutzprogramm entstanden, um den Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen und Zeugen vor Racheakten zu schützen. Die Arbeit trägt erste Früchte: Hunderte von Klagen sind beim Tribunal eingegangen. Die Kläger werden von verschiedenen Organisationen unterstützt, viele Opfer hörten dadurch zum ersten Mal von der Möglichkeit, ihre Rechte einzuklagen. Auch der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) hilft Hand in Hand mit dem Zivilen Friedensdienst in Kambodscha.

Im zweiten Prozess, der voraussichtlich 2011 beginnen wird, müssen sich fünf hochrangige Vertreter des Regimes wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Es sind Khieu Samphan, der nominelle Staatschef des »Demokratischen Kampuchea«, Chefideologe Nuon Chea (»Bruder Nr. 2«), der frühere Außenminister Ieng Sary und seine Frau Ieng Thirith, die »Sozialministerin«. Auch Gefängnischef Duch wird wieder vor dem Tribunal erscheinen müssen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2010


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