Gerechtigkeit zur falschen Zeit?
Mühsamer Arbeitsbeginn für das Tribunal gegen Verantwortliche des Terrors in Kambodscha
Von Michael Lenz, Phnom Penh *
Die vorerst letzte Hürde auf dem Weg zur Anklageerhebung gegen Führer des Pol-Pot-Regimes
(1975-1979) in Kambodscha besteht wieder einmal aus Dollarscheinen. Nach monatelangen
Debatten haben sich kambodschanische und ausländische Mitglieder der »Sonderkammern im
Gerichtshof Kambodschas« jetzt auf die interne Prozessordnung geeinigt.
Grundsätzlich dürfen jetzt auch ausländische Anwälte Angeklagte vertreten und vor Gericht
verteidigen. Darauf einigte man sich nach langem Streit. Der Teufel aber steckt im Detail. Die
Anwaltskammer Kambodschas fordert ungewöhnlich hohe Gebühren für die Zulassung der
ausländischen Verteidiger: 500 Dollar für den Antrag, weitere 2000 bei Genehmigung und monatlich
200 Dollar Beitrag verlangt die Anwaltskammer. Kambodschanische Anwälte – in der Regel
wesentlich schlechter bezahlt als ihre ausländischen Kollegen – müssen dagegen nur eine Gebühr
von 200 Dollar für den Antrag und 30 Dollar pro Monat zahlen.
Das Tribunal selbst bezeichnet die Gebührenforderung für ausländische Anwälte als »nicht
akzeptabel«, weil sie »das Recht der Angeklagten und der Opfer erheblich beschränkt, sich von
einem Anwalt ihrer Wahl vertreten zu lassen«. Sollte keine »für alle akzeptable Lösung des
Problems« gefunden werden, könnten die internationalen Mitglieder des Gerichts der
Prozessordnung bei der nächsten Vollversammlung des Tribunals Ende April nicht zustimmen.
Während hinter den Kulissen um eine Lösung des Konflikts gerungen wird, sind die Juristen in dem
Gerichtsgebäude auf einem Militärgelände 15 Kilometer außerhalb Phnom Penhs dabei, Anklagen
gegen führende Funktionäre des Pol-Pot-Regimes vorzubereiten. Grundlage sind 383 149
Dokumente, die das Dokumentationszentrum Kambodschas (DC-CAM) dem Tribunal nach dessen
Vereidigung im vergangenen Juli übergeben hat. Unter der Herrschaft Pol Pots, der 1998 starb, und
seiner Gefolgsleute kamen zwischen 1975 und 1979 fast zwei Millionen Kambodschaner um. »Das
Tribunal kann sofort nach der Verabschiedung der Prozessordnung erste Anklagen erheben«, ist
sich DC-CAM-Direktor Youk Chhang sicher. Den Konflikt um Gebühren und Prozessordnung verfolgt
Chhang mit großem Unbehagen: »Alle Seiten verfolgen ihre Sonderinteressen. Dabei sollte einzig
und allein das Interesse der Opfer im Mittelpunkt stehen.«
Immer wieder werden die Anfangsschwierigkeiten des Tribunals auch der Regierung unter
Ministerpräsident Hun Sen angelastet. Kambodschas prominentester Oppositionspolitiker Sam
Rainsy, der die Pol-Pot-Herrschaft aus sicherer Entfernung verfolgte, behauptet beispielsweise: »Die
Regierung kann sich ein wirkliches Tribunal nicht leisten, denn das würde auf sie selbst
zurückfallen.« Hohe Regierungsmitglieder seien selbst »Rote Khmer« gewesen, wie die Pol-Pot-
Anhänger pauschal genannt werden. Wie Ministerpräsident Hun Sen seien einige zwar noch
während der Herrschaft Pol Pots nach Vietnam geflohen, andere aber – wie Finanzminister Keat
Chhon – seien auch nach der Befreiung Kambodschas durch Vietnam treue Pol-Pot-Anhänger
gewesen. Dabei bleibt außer Acht, wer sonst noch nach 1979 im Kampf gegen die damalige,
vietnamesisch unterstützte kambodschanische Regierung mit Pol Pot paktierte.
Die Meinungen über das Tribunal sind in Kambodscha nach wie vor geteilt. Ky, Besitzer des Hotels
»Golden Banana« in Siem Reap, sagt: »Ich erwarte nichts von dem Tribunal.« Seine gesamte
Familie – darunter acht Geschwister – ist seinerzeit umgebracht worden. »Kambodscha braucht jetzt
Frieden und Stabilität«, betont der 35-Jährige, und fügt hinzu: »Gerechtigkeit kann auch zum
falschen Zeitpunkt kommen.«
Der 62-jährige Vann Nath war bei der Ankunft der Vietnamesen 1979 einer von sieben
Überlebenden des Foltergefängnisses S 21 Tuol Sleng in Phnom Penh. Er hofft, dass die
bevorstehenden Prozesse die großen und kleinen Täter wenigstens zum Nachdenken veranlassen:
»20 000 Menschen haben sie in S 21 umgebracht. Denen muss bewusst werden, was sie getan
haben.«
Das Interesse an dem Tribunal in der Bevölkerung ist gering. Was DC-CAM-Direktor Youk Chhang
nicht verwundert. » Es hat so lange gedauert, bis das Tribunal endlich zustande kam. Sie sind
frustriert und auch enttäuscht von unserem Rechtssystem. Das ist eine zerbrochene Gesellschaft.
Es existiert keine Vision von Zukunft.« Chhang ist jedoch überzeugt davon, dass spätere
Generationen das Tribunal schätzen werden: »Es ist ein Moment von Freiheit und Hoffnung. Wir
haben doch nichts anderes.«
* Aus: Neues Deutschland, 27. März 2007
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