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Die Mission des Aki Ra

In Kambodscha werden monatlich noch immer dutzende Menschen durch Landminen verstümmelt oder getötet

Von Stefan Mentschel, Phnom Penh

Nach Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg hat sich seit Ende der 90er Jahre die politische Lage in Kambodscha stabilisiert. Das Erbe des Konflikts allerdings wiegt schwer. Millionen Landminen bedrohen nach wie vor Leben und Gesundheit der Menschen. Regierung und internationale Organisationen arbeiten an einer Lösung. Und auch ein ehemaliger Soldat hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sein Land »wieder sicher zu machen«.

Hak ist ein selbstbewusster junger Mann. »Hier haben wir eine vietnamesische Mine vom Typ MD-82 B«, erklärt er den Besuchern des »Kambodschanischen Landminenmuseums« und hält eine Kunststoffkapsel in der Hand, die nicht größer als ein Apfel ist. Bei einem Druck von nur fünf Kilogramm werde die Explosion ausgelöst, wobei die Folgen für die Opfer selten tödlich seien. »Meist verlieren sie ein Bein, einen Arm oder zerfetzen sich das Gesicht.«

Dann beschreibt der 18-Jährige geduldig Funktionsweise und Zerstörungskraft chinesischer Splitterminen, russischer Antipanzerminen, mehrere Antipersonenminen unterschiedlicher Herkunft sowie der berüchtigten »Bouncing Betty«, einer US-amerikanischen Springmine, die nach der ersten Detonation aus dem Boden geschleudert wird und in einer zweiten Explosion ihre verheerende Wirkung entfaltet. »Im Umkreis von 50 Metern hat niemand eine Überlebenschance«, weiß Hak.

Kindersoldat in Pol Pots Banden

Das Kambodschanische Landminenmuseum befindet sich in einem Vorort Siem Reaps. Die Stadt im Westen Kambodschas ist das Tor zu den weltberühmten Tempelanlagen von Angkor Wat und erlebt in den letzten Jahren durch das Wiederaufleben des Tourismus einen beachtlichen wirtschaftlichen Boom. »Im Umland spürt man davon allerdings wenig«, sagt Aki Ra. Doch darum geht es dem 33-Jährigen allenfalls am Rande. Viel wichtiger ist ihm sein Museum, das er 1999 ins Leben gerufen hat. »Ich will aufklären«, beschreibt er seine Mission. »Denn Touristen und Einheimische sollen über das Landminenproblem in Kambodscha Bescheid wissen.«

Nach Schätzungen der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen liegen in dem südostasiatischen Land noch immer rund vier bis sechs Millionen Landminen sowie eine unbekannte Zahl nicht explodierter Bomben und Granaten. Sie sind das Erbe von drei Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg, die Kambodscha und seine Bevölkerung von Ende der 60er bis weit in die 90er Jahre erleiden mussten.

Aki Ras Leben ist Spiegel dieser Geschichte. Nach Machtübernahme des Pol-Pot-Regimes im April 1975 wurden seine Eltern von den neuen Herren ermordet. Ein Schicksal, das sie mit rund zwei Millionen Kambodschanern – rund ein Viertel der Bevölkerung – teilten, die während der mehr als dreieinhalbjährigen Herrschaft der Polpotisten umgebracht wurden oder durch Entkräftung und Krankheit starben. Auch nach ihrem Sturz im Januar 1979 führten die Gefolgsleute von »Bruder Nr.1« (Pol Pot), die Kambodschas langjähriger Landesvater Norodom Sihanouk einst zu »Roten Khmer« erklärt hatte, einen Guerilla-Krieg gegen die von Vietnam, der UdSSR und anderen sozialistischen Staaten unterstützte neue Regierung. Aki Ra machten sie zum Kindersoldaten. Sie brachten ihm bei, Minen zu verlegen. »Alle Konfliktparteien haben diese Waffe massiv eingesetzt«, erinnert er sich. Die Einheit, in der Aki Ra Dienst tat, wurde 1983 von vietnamesischen Truppen aufgerieben, er selbst wurde gefangen genommen. Wenig später kämpfte er auf Seiten der Vietnamesen gegen seine früheren Gefährten – bis zu deren Abzug 1989. »Ich dachte, die ganze Welt lebt so wie wir, denn Gewalt und Waffen gehörten seit meiner Kindheit zum Alltag.«

Nach drei Jahren in den Reihen der kambodschanischen Armee nahm Aki Ras Leben mit dem Eintreffen der Friedensmission der Vereinten Nation eine Wende. Von UNO-Soldaten wurde er ausgebildet, seine Landsleute über die Minengefahr zu unterrichten und Minen zu beseitigten. Wo sie zu suchen waren, wusste er.

Ras Vertrag als Minenräumer endete 1995. Doch er machte weiter – auf eigene Faust und ohne technische Hilfsmittel. Immer wieder sei er von Bauern um Hilfe gebeten worden, sagt er. Deshalb habe er nicht einfach aufhören können. »Bis heute habe ich rund 30 000 Minen und Blindgänger entschärft. Und noch immer fahre ich jede Woche in die am stärksten verminten Regionen entlang der thailändischen Grenze und versehe meine Arbeit. Ich möchte mein Land wieder sicher machen. Das ist meine Lebensaufgabe.«

Dazu gehört auch das Museum, das er auf seinem Grundstück betreibt. Im eigenen Garten stellt Aki Ra alles aus, was er seit 1995 in Wäldern und auf Feldern unschädlich gemacht hat – Minen, Geschosse und selbst eine 225 Kilogramm schwere USA-Fliegerbombe. Informationstafeln und Fotos ergänzen das Arsenal und vermitteln einen Eindruck von den Gefahren, denen die Kambodschaner bis heute ausgesetzt sind. Eintritt verlangt er von Besuchern nicht, doch Spenden sind willkommen. Den Behörden war Ras Engagement lange ein Dorn im Auge. Wiederholt versuchte man, das Museum zu schließen. Mal warf man ihm vor, illegal Munition zu horten. Ein anderes Mal hieß es, sein Projekt werfe ein schlechtes Licht auf Kambodscha. Mehrfach wurden Exponate beschlagnahmt, selbst vor der Inhaftierung des Anti-Minen-Aktivisten schreckte die Staatsmacht nicht zurück. Der eigentliche Grund für die Repressalien kam 2001 ans Licht. Da öffnete in Siem Reap das »Kriegsmuseum« – betrieben von einem ortsansässigen Offizier, der sich der Konkurrenz entledigen wollte. Aki Ra ist geblieben. Inzwischen, sagt er, habe sich die Lage beruhigt.

»Wir haben viel erreicht«

Spricht man Him Vandy auf die Arbeit Aki Ras an, schüttelt der mit dem Kopf. Für den stellvertretenden Direktor der staatlichen Kambodschanischen Minen-Aktions-zentrums (CMAC) ist es nur schwer verständlich, wie jemand nur mit Spürnase und bloßen Händen die explosive Hinterlassenschaft der letzten Jahrzehnte beseitigen kann. Das wäre ja auch zu einfach. Daher erzählt Vandy lieber von der Erfolgen seiner Organisation.

Gegründet 1993, ist CMAC heute neben der Armee und zwei ausländischen Organisationen eine der vier offiziell anerkannten Einrichtungen, die mit der Bekämpfung von Landminen, der Ausbildung von Minenräumern sowie der Aufklärung der Bevölkerung beschäftigt sind. Neben der Zentrale in der Hauptstadt Phnom Penh unterhält CMAC sechs Außenstellen in den Provinzen sowie ein von der deutschen Bundesregierung mitfinanziertes Trainingszentrum in Kampong Chhnong, einer verschlafenen Stadt rund 150 Kilometer südöstlich von Siem Reap. Auf einem alten Flughafengelände stehen den derzeit mehr als 1500 Minenräumern der Organisation alle Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung zur Verfügung – Schulungsräume, präpariertes Gelände für die Arbeit mit Metalldetektoren und Spezialwerkzeugen sowie ein Areal zum Abrichten von Minensuchhunden.

»Wir haben viel erreicht«, berichtet Vandy stolz. So seien in den vergangenen zwölf Jahren rund 200 000 Antipersonenminen von CMAC-Personal entschärft worden. Gleichwohl gebe es noch viel zu tun, denn erst neun Prozent der betroffenen Fläche im Land konnten vollständig geräumt werden. Auch Kambodschas Regierung steht nach anfänglichem Zögern fest hinter dem Kampf gegen die Minen. So hat das Land als eines der ersten von inzwischen 150 weltweit die Ottawa-Konvention über das Verbot von Antipersonenminen unterzeichnet und ratifiziert. »Minenräumung hat nicht nur etwas mit Sicherheit zu tun«, betont der stellvertretende Premierminister Sok An, »sondern ist auch eng mit der sozioökonomischen Entwicklung unseres Landes verbunden.« Schließlich könne nur auf minenfreien Ackerflächen Landwirtschaft betrieben werden. Nach Angaben des Ministers steht auch die Unterstützung der Minenopfer ganz oben auf der Tagesordnung der Regierung, denn noch immer werden pro Monat 25 bis 35 Menschen durch Landminen verletzt oder getötet. Im Vergleich zu den 90er Jahren, als monatlich über 300 Opfer zu beklagen waren, ist das sicher ein Erfolg. Gleichwohl sind bereits heute rund 40 000 Kambodschaner zu versorgen, die durch Minen verstümmelt worden sind. Deren Wiedereingliederung in Gesellschaft und Arbeitsleben kostet nach UNO-Schätzungen 3000 US-Dollar pro Person. Insgesamt müsste der Staat also rund 120 Millionen Dollar aufwenden. Für das arme Kambodscha eine fast unlösbare Aufgabe.

Ein Ort der Zuflucht für Opfer

Aki Ra und seine Frau haben ihren eigenen Weg gefunden, um Landminenopfer zu unterstützen. So ist ihr Museum nicht nur ein Ort der Information, sondern inzwischen auch Zuflucht für 20 Jugendliche aus armen Familien, die durch Minen verletzt wurden. Ra hat dafür eine kleine Hilfsorganisation gegründet, die den Jungen und Mädchen die Ausbildung finanziert und sie bei ihren ersten Schritten in ein unabhängiges Leben begleitet.

Einer seiner Schützlinge ist Museumsführer Hak, dem eine Mine vor zehn Jahren den rechten Unterschenkel weggerissen hat. Dank der Unterstützung blickt Hak heute optimistisch in die Zukunft. Studieren möchte er einmal, sagt er mit funkelnden Augen. Doch bis es so weit ist, wird er Ausländern geduldig die Exponate im Landminenmuseum erklären. Und die Gäste bemerken oft gar nicht, dass Haks rechtes Bein eine Prothese ist.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2006


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