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Boom mit Zaungästen

Reiche Eliten, armes Volk: Kambodschas Wirtschaft wächst stark. Billiglöhne in Textilbranche und steigende Lebenshaltungskosten vertiefen soziale Kluft

Von Thomas Berger *

Kambodschas Wirtschaft wächst so beständig wie kaum eine andere in Asien. Nunmehr schon das dritte Jahr in Folge steht für 2013 bisher eine Sieben vor dem Komma. Mit aktuell 7,2 Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP; nach der gleichen Rate im Vorjahr und 7,1 im Jahr 2011) gelten die Möglichkeiten nicht einmal als ausgeschöpft. Die jüngste Voraussage der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) traut dem südostasiatischen Land 2014 sogar 7,5 Prozent BIP-Anstieg zu. Auf den ersten Blick sieht das gut aus. Wer etwas genauer hinschaut, dem offenbaren sich zahlreiche Probleme im Schatten der Wachstumseuphorie. Es ist ein Boom neoliberaler Prägung. Die breite Masse der Bevölkerung hat – wie fast überall – wenig davon. Ein großer Teil der Khmer wartet weiter vergeblich auf einen fairen Anteil am stetigen Aufschwung. Die Lebenshaltungskosten steigen, auch wenn die Inflation derzeit auf einen Wert um die drei Prozentpunkte gedrückt ist. Nicht vergessen ist die Zeit Anfang 2010 oder die Mitte des Jahres 2011, als Waren des täglichen Bedarfs sich beinahe um zweistellige Prozentpunkte verteuerten.

3,6 Millionen Touristen

Mit acht Prozent Wachstum hat der Dienstleistungssektor zuletzt am stärksten zur guten Konjunktur beigetragen. Allein die Zahlen aus dem Tourismus sind glänzend: 3,6 Millionen ausländische Besucher, ein Zuwachs um 24,4 Prozent, wurden im vergangenen Jahr gezählt. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt den direkten Flugverbindungen in die Hauptstadt Phnom Penh sowie das nördliche Siem Reap (unweit der Stadt liegen die berühmten Tempel­anlagen von Angkor Wat) geschuldet. In der Provinzstadt boomt auch wie kaum anderswo im Land das Immobiliengeschäft. Immer mehr Hotels vor allem des oberen Preissegments werden für die Touristen gebaut. Die haben 2012 umgerechnet 2,2 Milliarden US-Dollar im Land gelassen. Damit waren sie zwar nicht ganz so großzügig wie zuvor, in der Gesamtstatistik bedeutet das durch den Gästeanstieg aber immer noch ein sattes Plus von 15,6 Prozent gegenüber 2011.

Noch immer ist die Industrie vor allem durch die Textilbranche geprägt. Deren enorme Exportgewinne tragen maßgeblich zur guten Wirtschaftslage bei. Zwar sanken die Ausfuhren auf den wichtigen US-Markt zuletzt um 1,8 Prozent auf 2,6 Milliarden Dollar. Dafür kauften Importeure aus den EU-Staaten 10,8 Prozent mehr Waren und bauten ihre Stellung als zweitwichtigster Abnehmer mit umgerechnet 1,8 Milliarden Dollar Umsatz aus. Insbesondere bei der Produktion von Schuhen, T-Shirts, Hosen etc. wird erkennbar, wie wenig ein Großteil der Kambodschaner vom Aufschwung profitiert. Zwar nimmt mit den gesteigerten Exporten auch die Zahl der Fabriken und Arbeitsplätze zu – allerdings handelt es sich fast ausschließlich um Billigjobs, in denen die überwiegend weiblichen Beschäftigten skrupellos ausgebeutet werden. Das bestätigten jüngst Recherchen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Nicht einmal der neue gesetzliche Mindestlohn von umgerechnet 80 Dollar im Monat werde in allen Textilbetrieben gezahlt. Entsprechend häufig kommt es zu Streiks. Deren Zahl hat sich nach den Angaben der UN-Organisation in den letzten Jahren vervierfacht, wobei die Forderung nach höherer Entlohnung die zentrale Rolle spielt.

Zulegen kann Kambodscha auch bei der landwirtschaftlichen Produktion, die ein Plus von vier Prozent verzeichnet. Bei Reisexporten ist das Land auf dem Vormarsch. Wegen der Entscheidung der Regierung im benachbarten Thailand, Ausfuhren bis zu einer Erhöhung des Weltmarktpreises zurückzuhalten, haben kambodschanische Bauern zuletzt einen Rekordabsatz von 500000 Tonnen erzielt.

Problem Korruption

In Phnom Penh, aber auch andernorts, wird die gute Konjunktur durch rege Bautätigkeit besonders sichtbar. Allerdings profitiert hiervon nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, Leute, die oft direkt mit dem Staatsapparat verbunden sind. Korruption ist nach wie vor das wohl größte Problem. Nicht zuletzt die ungenierte Bereicherung von Vertretern der herrschenden Elite hat vor kurzem bei den Wahlen dazu beigetragen, daß die dauerregierende Volkspartei (CPP) von Premier Hun Sen das schlechteste Ergebnis seit langem eingefahren hat. Wo bleibt der versprochene Wohlstand für den normalen Bürger, fragen sich viele. Denn auch das verraten die Statistiken: Das Königreich ist ungeachtet des Aufschwungs noch immer eines der Armenhäuser des Kontinents. Nach Angaben der Weltbank lag das Durchschnittseinkommen 2012 gerade einmal bei umgerechnet 946 Dollar. Das ist nur wenig mehr als in Bangladesch (747), aber deutlich weniger las in Indien (1489). Von südostasiatischen Nachbarstaaten wie Thailand (5474 Dollar) oder Indonesien (3557) trennen Kambodscha noch Welten. Trotz gewisser Fortschritte galten 2010 fast 30 Prozent aller Kinder als unterernährt. 57 Prozent aller Haushalte verfügen nicht einmal über eine Toilette.

Von Armut, Landraub oder Umweltzerstörung für Industrieprojekte mit Auslandsinvestitionen – auch diese sind zuletzt auf 2,2 Milliarden Dollar deutlich gestiegen – bekommen die Touristen in den neuen Nobelherbergen Siem Reaps oder in Phnom Penh wenig mit.

* Aus: junge Welt, Montag, 19. August 2013


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