Armenhaus Kambodscha
Turbokapitalismus ohne Antworten auf ungelöste Landfrage und angesichts der horrenden Preissteigerung und industrieller Monokultur
Von Waldemar Bolze *
Von den Berichten über das Sondertribunal gegen die noch lebenden Führer
der berüchtigten Roten Khmer einmal abgesehen, ist Kambodscha kaum noch
für Schlagzeilen gut. Dank der inzwischen 23jährigen Herrschaft der
Kambodschanischen Volkspartei (CPP) von Ministerpräsident Hun Sen gilt
das Land als politisch stabil, prowestlich ausgerichtet und hat sich mit
dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Oktober 2004 wie
gewünscht der neoliberalen Globalisierung geöffnet. Erst die am 27. Juli
abgehaltenen Parlamentswahlen rückten das Land wieder kurzzeitig ins
Blickfeld westlicher Medien.
Kambodscha zählt mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von umgerechnet
etwa 8,6 Milliarden US-Dollar zu den bislang wenig entwickelten Staaten
(Rang 119 von ca. 180). Dennoch hat es auf den ersten Blick
beeindruckende wirtschaftliche Kennzahlen vorzuweisen. Seit der kurzen
»Schwächeperiode« zu Beginn des Jahrzehnts boomt die Wirtschaft. Die
Wachstumsrate des BIP stieg von 6,5 Prozent im Jahr 2002 auf 13,5
Prozent 2005. Im vergangenen Jahr betrug sie immer noch stolze 9,6
Prozent, wobei Sektoren wie der Bergbau (plus 24,5 Prozent), die
Bauwirtschaft (20,1), der Finanzbereich (19,3) sowie das Hotel- und
Gaststättengewerbe (17,3) noch stärker zulegten. Die Exporte wiesen in
den vergangenen drei Jahren Steigerungsraten zwischen 12,4 und 26,9
Prozent auf, das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelte sich seit dem Jahr 2000
auf umgerechnet 597 US-Dollar.
Dennoch ist die Lage für die Masse der 14,3 Millionen Kambodschaner
alles andere als rosig. Während für die kleine Schicht der Neureichen an
der Hauptstadtperipherie Satellitenstädte wie »Camko City« und »Grand
Phnom Penh International City« entstehen, deren Bau mehrere Milliarden
Dollar verschlingt, muß der durchschnittliche Kambodschaner mit 45
US-Cent am Tag auskommen. Das entspricht vor Ort dem Preis für einen
Drittelliter Benzin.
Wie kaum ein anderes Land ist Kambodscha von der Textilindustrie
abhängig. Im ersten Quartal des laufenden Jahres brachte sie mit 744
Millionen US-Dollar 95 Prozent der gesamten Exporterlöse ein. Dabei
gehen rund 60 Prozent der kambodschanischen Ausfuhren in die USA und
immerhin ein Zehntel nach Deutschland. Dennoch weist das Land ein
chronisches Außenhandelsdefizit auf, das sich 2007 auf 1,3 Milliarden
Dollar belief. Nicht zuletzt deshalb wird sich das
Leistungsbilanzdefizit 2008 im Vergleich zum Vorjahr weiter dramatisch
erhöhen -- von 7,5 Prozent auf 10,6 Prozent des BIP steigen.
Vorausgesetzt ist dabei noch, daß die Krise in den USA nicht zu
Einbrüchen beim Absatz der Textilprodukte führt, wie von vielen in- und
ausländischen Beobachtern aber befürchtet wird.
Zwar versucht die Regierung Hun Sen inzwischen, der industriellen
Monokultur durch Investitionen im Tourismussektor und in die
Infrastruktur entgegenzuwirken. Mit dem Erschließen der im Golf von
Thailand gelegenen Erdöl- und Gasvorkommen soll zudem die Abhängigkeit
von Energieimporten verringert werden. Doch das sind bislang vor allem
Pläne. Real sank der Zufluß ausländischer Direktinvestitionen von 2,3
Milliarden Dollar 2006 auf 598 Millionen im vergangenen Jahr. Noch immer
bilden die rings um die Zweimillionenstadt Phnom Penh konzentrierten 300
Textilfabriken mit ihren 355000 Beschäftigten das Rückgrat der
Wirtschaft. Die explodierende Inflation zwingt jedoch angesichts der
dort gezahlten Hungerlöhne viele Arbeiterinnen und Arbeiter zur Rückkehr
aufs Land. Mit einem monatlichen Durchschnittslohn von 50 Dollar (32
Euro) können in der Metropole immer weniger Menschen überleben.
Gleichzeitig ist die Zahl der Landlosen bereits jetzt beträchtlich. 46
Prozent der Bauern verfügen über keine eigenen Äcker, sondern überleben
als Pächter oder Tagelöhner gerade mal so.
Vor allem die Inflation hält das Land im Würgegriff. 2007 belief sich
die offizielle Teuerungsrate bereits auf 10,8 Prozent und war damit nach
der in Vietnam (19,1) die zweithöchste in Ostasien. Gegenwärtig liegt
sie bei 18,7 Prozent. Der Vorsitzende der Kambodschanischen
Ökonomenvereinigung (CEA), Chan Sophal, schätzt den tatsächlichen
Anstieg allerdings auf rund 30 Prozent, was vor allem mit der förmlichen
Explosion der Nahrungsmittelpreise zusammenhängt. Die Masse der
Bevölkerung gibt 80 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für
Lebensmittel aus. Wer eine Krankenhausbehandlung benötigt, muß zuvor die
entsprechenden Medikamente kaufen.
Die unter dem Druck einzelner Streiks und der massenhaften Abwanderung
in die Provinz oder ins Ausland von den Gewerkschaften im April
ausgehandelten Lohnsteigerungen von sechs Dollar (3,80 Euro) monatlich
sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Für die Arbeiter herrschen in Kambodscha ohnehin eher kolumbianische
Verhältnisse. Noch immer unaufgeklärt ist der Mord an Chea Vichea. Der
Vorsitzende des größten kambodschanischen Gewerkschaftsbundes FTUWKC
wurde am 22. Januar 2004 in Phnom Penh erschossen. Die beiden später
verhafteten »Verdächtigen« können die Tat erwiesenermaßen nicht begangen
haben. Der inzwischen ins Ausland geflüchtete ehemalige Polizeichef von
Phnom Penh, General Heng Pov, bezeichnete die Verurteilung der beiden
als »Farce« und macht »hochrangige Persönlichkeiten im kambodschanischen
Militär« für den Mord verantwortlich. Mit Ros Sovannarith im Mai 2004
und Hy Vuthy im Februar 2007 wurden danach weitere hochrangige
FTUWKC-Funktionäre erschossen. Parallel dazu versuchen regierungsnahe
sogenannte gelbe Gewerkschaftsverbände wie die CUF, mit Drohungen,
Störaktionen und Überfällen für »sozialen Frieden« zu sorgen. Auch das
Verbot von Demonstrationen am 1. Mai und Übergriffe von Polizei und
Militärpolizei auf Arbeiterversammlungen gehören zum Alltag.
* Aus: junge Welt, 9. August 2008
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