Auge um Auge
"Islamischer Staat" tötet Kampfpiloten. Jordanien lässt zwei Terroristen hinrichten
Von Gerrit Hoekman *
Der Mord war brutal, eine neue Stufe der Barbarei, selbst nach den Standards der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS): Ein Video, das die Dschihadistenorganisation am Dienstag ins Internet stellte, zeigt, wie die jordanische Geisel Muath Kasasbeh in einen Käfig gesperrt und bei lebendigem Leibe verbrannt wird. Kasasbeh war als Kampfpilot an den US-geführten Luftangriffen gegen den IS beteiligt. An Heiligabend war er über vom IS beherrschtem Gebiet abgestürzt und in die Hände der Terrormiliz gefallen. Wie die Tageszeitung Jordan Times am Dienstag mit Verweis auf Regierungsangaben berichtete, soll der IS Kasasbeh bereits am 3. Januar ermordet haben.
Jordanien reagierte nach dem Bekanntwerden des Videos umgehend mit Vergeltung und ließ die Terroristin Sadschida Al-Rischawi und einen weiteren ranghohen IS-Dschihadisten am frühen Mittwochmorgen hinrichten. Rischawi hatte zuvor neun Jahre lang in einem Hochsicherheitsgefängnis eingesessen, nachdem sie wegen der Beteiligung an einem Anschlag auf ein Hotel in Amman 2005 zum Tode durch den Strang verurteilt worden war. Ihr Mann hatte sich damals zwischen den Gästen einer Hochzeitsfeier in die Luft gesprengt. Bei Rischawi hatte der Zünder versagt, deshalb überlebte sie das Attentat, bei dem 60 Menschen starben. Die Vollstreckung des Todesurteils war bisher ausgesetzt worden.
Nach eigenen Angaben hatte die jordanische Regierung in den vergangenen Tagen mit dem IS über einen Gefangenenaustausch verhandelt und angeboten, Rischawi freizulassen. Sie forderte allerdings zuvor einen Beweis für die Unversehrtheit des Piloten Kasasbeh. Daraufhin stellte der IS das rund 20 Minuten lange Video von dessen Ermordung ins Netz. »Unsere Rache wird die Reihen des Islamischen Staats verwüsten«, drohte Regierungssprecher Mohammed Momani daraufhin im jordanischen Fernsehen. König Abdullah, der sich gerade zu einem Staatsbesuch in den USA aufgehalten hatte, brach seine Reise ab und kehrte nach Jordanien zurück. In einer Rundfunkansprache forderte er seine Untertanen auf, vereint gegen den Terrorismus zusammenzustehen.
Das kleine Königreich der Haschemiten läuft Gefahr, in den vernichtenden Sog hineinzugeraten, den der Krieg in Syrien im ganzen Nahen Osten ausgelöst hat. Jordanien ist schon länger im Visier des IS, weil es ebenfalls ein Teil des historischen Großsyriens ist, das die Dschihadisten für sich reklamieren und zu dem auch der Libanon und Palästina beziehungsweise heute Israel gehören. Außerdem beteiligt sich Amman an den Luftangriffen der US-geführten Militärallianz gegen den IS. Regelmäßig durchfliegen jordanische Kampfjets den syrischen Luftraum, um Stellungen der Miliz in Syrien zu bombardieren. Der IS weist in dem Video zur Ermordung Kasasbehs ausdrücklich auf die jordanische Beteiligung an den Luftangriffen hin.
Der syrische Präsident Baschar al-Assad lässt die jordanischen Jets aus Eigeninteresse gewähren. Über den Umweg Amman soll es auch Kontakt zwischen der syrischen Armee und den US-Streitkräften geben, behaupten arabische Medien immer wieder – zum Beispiel, um Zeit und Ort der Attacken abzustimmen. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür nicht. Wie die amtliche syrische Nachrichtenagentur SANA meldete, fordert die syrische Regierung Jordanien nun auf, gemeinsam gegen den islamistischen Terror vorzugehen.
In der jordanischen Bevölkerung geht derweil die Sorge um, die Islamisten könnten auch in ihrem Land losschlagen. Es ist kein Geheimnis, dass der IS im Königreich viele Sympathisanten hat. Vor allem in der Provinzhauptstadt Ma'an war es in der Vergangenheit immer wieder zu Demonstrationen gekommen, auf denen auch das Emblem des IS zu sehen war. Auch die Konkurrenz von Al-Qaida ist in Jordanien im Untergrund aktiv.
Die gemäßigten Muslimbrüder in Jordanien haben sich jedoch deutlich von dem Mord an dem Kampfpiloten distanziert. Sie verurteilen den »kriminellen Akt, der die Rechte von Kriegsgefangenen im Islam verletzt«. Unterdessen wächst auch in der islamischen Geistlichkeit der Widerstand. Ahmed Al-Tajib, der höchste Würdenträger der Al-Azhar-Universität in Kairo, stufte die Terrormiliz in einer am Mittwoch verbreiteten Stellungnahme als »satanistisch« ein, weil sie einen Krieg gegen Allah führe. Für die IS-Kämpfer forderte er die härtesten Strafen, die im Islam vorgesehen sind. Die Mörder, so Al-Tajib, müssten »getötet oder gekreuzigt werden oder ihre Gliedmaßen amputiert bekommen«.
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Februar 2015
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