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Jemen zerfällt

Schiitische Rebellen aus dem Norden halten Hauptstadt Sanaa und Ölhafen Hodeida besetzt. Süden will unabhängig werden. Militär zusammengebrochen

Von Knut Mellenthin *

Am 10. September erwähnte Barack Obama den Jemen neben dem ewigen Bürgerkriegsland Somalia als Erfolgsbeispiel für seine »Strategie«. Allgemeines Kopfschütteln über den Geisteszustand des US-Präsidenten war die Folge. Elf Tage nach seiner Ansprache übernahmen schiitische Rebellen aus dem Norden des Landes die Macht in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Seither sind sie weiter auf dem Vormarsch. Gleichzeitig demonstrieren in Aden, der größten Hafenstadt des Landes und Zentrum der früheren Volksrepublik Südjemen, dieser Tage Zehntausende für die Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit. Als dritter Faktor machen sich die vorübergehend mit US-amerikanischer Hilfe zurückgedrängten Islamisten die Schwäche des Regimes und die Verschärfung der Widersprüche zwischen der sunnitischen Mehrheit und den Schiiten zunutze. Der Jemen, das ärmste Land der arabischen Welt, aber geostrategisch wegen seiner Lage am Ausgang des Roten Meeres von großer Bedeutung, zerfällt.

Als der Jemen 2011 vom »arabischen Frühling« erfasst wurde, monatelang Massendemonstrationen stattfanden und sich auch in den Streitkräften der Widerstand ausbreitete, konnten die amerikanischen Krisenmanager die Lage gerade noch stabilisieren. Sie ersetzten den seit 1978 amtierenden Diktator Ali Abdullah Saleh, einen der dienstältesten arabischen Herrscher, im Januar 2012 durch seinen Stellvertreter Abd Rabbo Mansur Hadi, schickten eine nicht genau bekannte Zahl von Militärberatern ins Land und machten von Obamas Lieblingswaffe, der mit Raketen bestückten Drohne, hemmungslosen Gebrauch. Außergewöhnlich viele Opfer waren Angehörige von Stämmen, mit denen das Regime Probleme hatte, und Aktivisten der südjemenitischen Befreiungsbewegung, die ihre Ziele zu jener Zeit noch mit gewaltlosen Mitteln erreichen wollte. Die für regionale Autonomie und stärkere Beteiligung an der Regierung des Landes kämpfende Organisation der Schiiten des Nordens, in den Medien meist als »Huthis« bezeichnet, war schon in den Jahren zuvor mit Waffengewalt und saudischer Unterstützung niedergeschlagen worden.

Die Gründe ihres Wiederauflebens und ihrer militärischen Erfolge in den vergangenen Monaten sind noch nicht geklärt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei anscheinend der Zusammenbruch der staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere des Militärs. Die Zahl der während der Kämpfe um Sanaa getöteten Soldaten und Aufständischen soll immerhin noch bei 200 gelegen haben. Aber als die Rebellen am 21. September die Macht in der Hauptstadt übernahmen und fast alle wichtigen Regierungsgebäude besetzten, geschah das bereits ohne bewaffnete Konfrontationen. Seither haben die »Huthis« – eigentlich eine abwertende Bezeichnung nach dem Namen des Gründers dieser Bewegung – unter anderem auch den zweitgrößten Hafen des Jemen, Hodeida, besetzt. Er spielt eine wesentliche Rolle für den Erdölexport und ist Standort der bedeutendsten Raffinerie des Landes. In der Regel kooperieren die Aufständischen, wie auch in Sanaa, mit den örtlichen, meist sunnitischen Polizeikräften. Dass die Schiiten, zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung, die Macht im Jemen übernehmen könnten, gilt als ausgeschlossen und wird von ihnen ebenso wenig angestrebt wie die staatliche Unabhängigkeit.

Zur Aufteilung des Jemen könnte aber angesichts der Schwäche und Perspektivlosigkeit des Regimes die Befreiungsbewegung des Südens führen. Sie hat im wesentlichen weder ethnische noch religiöse, sondern geschichtliche und politische Wurzeln. Die Vereinigung der beiden jemenitischen Staaten im Jahre 1990 erfolgte überhastet und unvorbereitet. Ein wesentlicher Grund für die Selbstaufgabe der sich als Sozialisten verstehenden Politiker Südjemens – offizieller Name: Volksdemokratische Republik Jemen – lag im Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Wegfallen des materiellen Rückhalts. Schon 1994 gab es einen bewaffneten Aufstand mit dem Ziel, den Anschluss rückgängig zu machen, der damals jedoch blutig niedergeschlagen wurde.

* Aus: junge Welt, Samstag, 18. Oktober 2014


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