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Saudis bomben weiter

Von wegen politische Lösung: Von Riad geführte Kriegskoalition setzt Luftangriffe auf Ziele im Jemen fort. Laut UNO mehr als 1.000 Tote

Von Knut Mellenthin *

Saudi-Arabien hat in den vergangenen Tagen seine Luftangriffe auf Ziele im benachbarten Jemen ausgeweitet und die Hafenstadt Aden von Kriegsschiffen aus beschossen. Dabei hatte die Regierung in Riad am Dienstag voriger Woche die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen angekündigt und von einer neuen Phase gesprochen, in der die Suche nach politischen Lösungen in den Vordergrund treten solle. Offenbar handelte es sich dabei nur um einen Trick, der vermutlich auf Empfehlungen aus Washington zurückging.

Die Saudis hatten vor nunmehr über einem Monat, am 26. März, mit ihren Luftangriffen begonnen, um den im Januar gestürzten jemenitischen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi zurück an die Macht zu bringen. Der alte Amtsinhaber wird nicht nur von der schiitischen Organisation Ansarollah, sondern auch von großen Teilen der regulären Streitkräfte, darunter der Luftwaffe und den Sondereinheiten, abgelehnt. Die Mehrheit des Militärs unterstützt Hadis Vorgänger Ali Abdullah Salleh, der von den USA im Januar 2012 nach monatelangen Massendemonstrationen zum »freiwilligen« Rücktritt genötigt worden war. Hadi wurde für die Nachfolge durch die Monarchien der arabischen Halbinsel, in Abstimmung mit der US-Administration, bestimmt. Seiner Bestätigung durch eine Scheinwahl am 21. Februar 2012 fehlt die demokratische Legitimation. Das offiziell verkündete Ergebnis von 99,8 Prozent für Hadi, der als einziger Kandidat antrat, ist vor dem Hintergrund der zahlreichen scharfen Konflikte zwischen den Parteien, Interessengruppen, Stämmen und Regionen des Jemen als absurd und lächerlich zu beurteilen.

Saudi-Arabien behauptet, an der Spitze einer Koalition von »mindestens« zehn Staaten zu stehen, die an der Militärintervention im Jemen beteiligt seien. Außer fünf von sechs Mitgliedern des Golf-Koordinationsrates – das Sultanat Oman trat dem Kriegsbündnis nicht bei – hatten sich nach ersten Angaben aus Riad auch Pakistan, Ägypten, Jordanien, der Sudan und Marokko dem Bündnis angeschlossen. Dabei handelt es sich um Länder, die zu einem hohen Grad von saudischen Finanzsubventionen abhängig sind. Indessen war Pakistan offenbar vor der Intervention gar nicht gefragt worden und lehnte nachträglich eine Beteiligung ausdrücklich ab. Die anderen vier Staaten tragen bisher zum Krieg im Jemen nichts Nennenswertes bei. Von den Mitgliedern des Golf-Koordinationsrates sind neben den Saudis nur die Vereinigten Emirate in größerem Umfang in die Kampfhandlungen involviert.

Paolo Lembo, der ständige Vertreter der UNO im Jemen, schätzte die Zahl der Luftangriffe seit dem 26. März am vorigen Donnerstag auf über 4.000. Ungefähr 1.100 Menschen seien dadurch getötet, etwa 150.000 zur Flucht gezwungen worden. Eine andere UN-Stelle sprach am vorigen Freitag von mehr als 550 getöteten Zivilisten, unter denen über 115 Kinder gewesen seien. Viele Bombardierungen von zivilen Zielen – darunter eine Fabrik für Milchprodukte und ein Flüchtlingslager – mit Dutzenden von Toten sind dokumentiert.

Militärisch hat sich durch die saudisch geführte Intervention an der Situation im Jemen nicht viel verändert. Ansarollah und die mit ihr verbündeten regulären Streitkräfte haben ihre Positionen gehalten oder sind mancherorts sogar weiter auf dem Vormarsch. Eindeutig geholfen haben die Luftangriffe der Saudis und der Emirate aber den radikalen Islamisten, die dem Al-Qaida-Netzwerk zugeordnet werden. Sie konnten ihren Machtbereich im Süden und Südosten des Landes spektakulär ausweiten.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. April 2015


Parteiliche UNO

Von Knut Mellenthin **

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) verabschiedete am 14. April seine zweite total einseitige Resolution zum Bürgerkrieg im Jemen. Besonderes Gewicht erhielt diese Aktion durch die Tatsache, dass sie drei Wochen nach dem Beginn der saudi-arabischen Militärintervention erfolgte, ohne diese zu kritisieren, und ihr damit unausgesprochen ihren Segen erteilte.

Der Beschluss wurde von 14 der 15 Mitglieder des UNSC gebilligt. Nur Russland enthielt sich der Stimme. Liest man offizielle russische Erklärungen zu dem Vorgang, insbesondere die Äußerungen von Außenminister Sergej Lawrow, so wird deutlich, dass Moskaus Position zu dieser Resolution im Grunde ein Nein erfordert hätte. Das aber hätte wegen des russischen Vetorechts als eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats ein Scheitern des von Jordanien und mehreren westlichen Großmächten eingebrachten Antrags bedeutet. So weit wollte Russland, aus nicht klaren Gründen, jedoch offenbar nicht gehen.

Die vorbehaltlose Zustimmung Chinas zu der Resolution demonstrierte erneut, wie wenig sich Moskau und Peking in Wirklichkeit in vielen strategischen Fragen einig sind. Für China haben, wie sein UN-Vertreter es zum Ausdruck brachte, »Einheit, Souveränität und territoriale Integrität« eines Landes sogar dann höchste Priorität, wenn dessen Regierung nicht im geringsten demokratisch legitimiert ist. Das scheint nach chinesischer Ansicht sogar ausländische Militärinterventionen zu legitimieren. Diese Position ist leider bekannt, während Venezuelas Zustimmung zu der Entschließung enttäuschend war.

Die neue Resolution des UN-Sicherheitsrats verurteilt einseitig nur die schiitische Ansarollah und die zum früheren jemenitischen Präsidenten Saleh loyale Mehrheit der regulären Streitkräfte. Russische Vorschläge für »humanitäre Kampfpausen« blieben unberücksichtigt. Das UN-Gremium verhängte außerdem Strafmaßnahmen – Vermögensbeschlagnahme und internationales Reiseverbot – gegen den Ansarollah-Chef und einen Sohn Salehs. Die gleichen Sanktionen gegen Saleh selbst und zwei militärische Führer von Ansarollah hatte der UNSC schon am 7. November 2014 beschlossen.

Erstaunlich ist, dass trotzdem sämtliche Ratsmitglieder in übereinstimmenden Erklärungen bekundeten, sie seien für Gespräche zwischen allen Beteiligten. Eine militärische Lösung könne es nicht geben. Dieses Standardkonzept des UN-Sicherheitsrats – Aufrufe zu Verhandlungen mit einseitiger Parteinahme zu verbinden – hat bisher noch in keinem einzigen Fall funktioniert.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. April 2015


Stiller Teilhaber

Die Unterstützung der USA ist eine entscheidende Voraussetzung für die saudische Kriegführung im Jemen

Von Knut Mellenthin ***


Die saudi-arabische Kriegskoalition zur Intervention im jemenitischen Bürgerkrieg zählt neben angeblich »mindestens« zehn Staaten, von denen in Wirklichkeit mehrere gar nicht beteiligt sind, auch ein wichtiges inoffizielles Mitglied: Die USA sind seit Beginn der Luftangriffe am 26. März nicht nur politisch, sondern auch militärisch dabei. Die erste Reaktion der US-Administration zur Ankündigung des saudischen Eingreifens war schnell und uneingeschränkt positiv. Mit der Aussage, man »koordiniere« sich »eng« mit Saudi-Arabien, brachte das US-Außenministerium zum Ausdruck, dass die Intervention im voraus beraten und vereinbart worden war. Zugleich – nur wenige Stunden nach Angriffsbeginn – wurde mitgeteilt, dass Präsident Barack Obama Anweisung erteilt habe, den Operationen »logistische und nachrichtendienstliche Unterstützung« zu leisten.

Was ist damit gemeint? Unter Logistik ist das gesamte Nachschubwesen zu verstehen – bei einer Kriegführung von diesem zeitlichen Umfang und angesichts großer Defizite der saudischen Streitkräfte ein wichtiger Faktor. Obamas Hilfszusage schließt, wie US-Medien mehrfach berichteten, die Bereitstellung von US-Flugzeugen ein, die Kampfflieger der Saudis und der Vereinigten Emirate in der Luft auftanken.

Die »nachrichtendienstliche Unterstützung« bedeutet die Übermittlung von Erkenntnissen der militärischen Aufklärung, die von den USA insbesondere durch Überwachungsflüge und Satellitenaufnahmen gewonnen werden. Die neokonservative Tageszeitung Wall Street Journal berichtete am 12. April über Einzelheiten dieser Zusammenarbeit. Schon ungefähr eine Woche vor Beginn der Intervention habe der saudische Botschafter in Washington dem CIA-Chef John Brennan eine vorläufige Liste von mehr als 100 Angriffszielen zur Prüfung vorgelegt, die nach Ansicht Riads höchste Priorität haben sollten. Auf dieser Basis habe das Pentagon entschieden, dass einige der Ziele von geringem militärischen Wert seien und dass bei anderen ein hohes Risiko ziviler Opfer bestehe. Die saudische Seite habe diese Einwände daraufhin berücksichtigt. Man muss diese Darstellung jedoch nicht komplett glauben, da es mehrfach saudische Angriffe auf eindeutig zivile Einrichtungen gab, ohne dass die US-Regierung daran auch nur in einem Fall öffentlich Kritik übte.

»In letzter Zeit«, schrieb das Wall Street Journal am 12. April, hätten die US-Stellen ihren »Nachrichtenaustausch« mit den Saudis erheblich intensiviert. Insbesondere seien sie dazu übergegangen, ihren Partnern sehr genaue »Empfehlungen« zu geben, welche Ziele angegriffen werden sollten und wie das am jeweils wirkungsvollsten geschehen könne. Dass dafür gleich bei Interventionsbeginn ein »gemeinsames Operationszentrum« eingerichtet wurde, war von Anfang an bekannt, doch blieb zunächst undeutlich, was dort konkret geschieht.

Nach Informationen vom 20. April hat die US-Marine in den Gewässern südlich des Jemen eine außergewöhnlich große Ansammlung von zwölf Kriegsschiffen zusammengezogen. Inzwischen sind es möglicherweise sogar noch mehr. Damals handelte es sich um einen Flugzeugträger, einen Kreuzer mit Lenkraketen, zwei Zerstörer, zwei Minensucher, drei Landungsschiffe mit insgesamt mindestens 2.000 Marines an Bord, und drei Versorgungsschiffe.

Laut offizieller Begründung soll dieses Aufgebot die Schifffahrt durch die nur 27 Kilometer breite Wasserstraße zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden sichern, die allerdings durch niemand bedroht ist. Daneben ist von der Absicht die Rede, iranische Waffentransporte für jemenitische Bürgerkriegsparteien zu verhindern. Dass es solche überhaupt gibt, wird allerdings von Teheran bestritten. Theoretisch könnten sich die USA sogar auf zwei Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats berufen, um iranische Frachter zu »inspizieren«: Die Resolution 1747 vom 24. März 2007 verbietet iranische Waffenexporte. Und die Resolution 1803 vom 3. März 2008 erlaubt jedem Staat der Welt, der dazu in der Lage ist, die »Durchsuchung« von iranischen Schiffen, sofern er diese als »verdächtig« deklariert.

Praktisch besteht die Hauptfunktion der US-amerikanischen Flottenansammlung darin, die totale Blockade abzusichern, die Saudi-Arabien zu Land, zu Wasser und in der Luft gegen den Jemen verhängt hat. Diese Maßnahme hat nach Erkenntnissen der UNO insbesondere durch das Fehlen von Lebensmitteln und Medikamenten schon jetzt eine »humanitäre Katastrophe« ausgelöst.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. April 2015


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