Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Riad auf Kriegskurs

Von Saudi-Arabien geführte Koalition greift in den jemenitischen Bürgerkrieg ein. Beifall und Hilfe aus Washington

Von Knut Mellenthin *

Seit Donnerstag gibt es einen neuen Kriegsschauplatz. Das saudische Regime begann in den frühen Morgenstunden an der Spitze einer Koalition von zunächst neun Staaten eine Militärintervention im Nachbarland Jemen. Kern der Allianz sind neben Saudi-Arabien vier weitere Mitglieder des Kooperationsrats der Golfstaaten: die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Katar und Bahrain. Der sechste Staat der arabischen Halbinsel, Oman, beteiligt sich zumindest vorerst nicht. Das Sultanat pflegt traditionell freundschaftliche Beziehungen zum Iran, dem eigentlichen Gegner des saudisch geführten Kriegsbündnisses.

Zur Koalition gehören auch Ägypten, Jordanien, der Sudan und das mehr als 7.000 Kilometer vom Jemen entfernte nordafrikanische Königreich Marokko. Als zehnten Staat nannten saudische Diplomaten und Medien am Donnerstag Pakistan. Das erwies sich jedoch als voreilig. Premierminister Nawaz Sharif, ein alter Freund der Saudis, die zudem einer der wichtigster Geldgeber der chronisch maroden pakistanischen Wirtschaft sind, ist einer Beteiligung an der Intervention im Jemen zwar nicht abgeneigt, wäre aber gern vorher gefragt worden. Deshalb führte eine hochrangige Delegation am Freitag Gespräche in Riad. Ihr gehörten neben Vertretern des Militärs auch Verteidigungsminister Khawaja Asif und Sharifs Nationaler Sicherheitsberater Sartaj Aziz an. Beide sind zugleich einflussreiche Bankleute, die für Privatisierungen und Neoliberalismus stehen.

Nach Angaben der im saudischen Besitz befindlichen Zeitung Al-Arabija hat Riad zur Kriegskoalition 100 Kampfflugzeuge beigesteuert. Weitere 30 kommen dieser Quelle zufolge aus den Emiraten, je 15 aus Kuwait und Bahrain, zehn aus Katar, sechs aus Jordanien und drei aus dem Sudan. Das ägyptische Militärregime ist an der Intervention nach eigenen Mitteilungen mit seiner Kriegsflotte und Luftwaffe beteiligt. Präsident Abdel-Fattah Al-Sisi kündigte zudem am Donnerstag an, dass seine Streitkräfte auch zur Entsendung von Bodentruppen in den Jemen bereit seien, »falls das erforderlich ist«. Saudi-Arabien hält nach Angaben aus Riad 150.000 Soldaten an der Grenze für einen Einmarsch in den Jemen bereit.

Die US-Regierung hatte den Saudis offenbar grünes Licht für die Intervention gegeben oder sie sogar direkt ermuntert. Auffallend schnell gab das Weiße Haus am Donnerstag morgen über die Sprecherin seines Nationalen Sicherheitsrats, Bernadette Meehan, seine Zustimmung bekannt. Präsident Barack Obama habe angeordnet, die Militäroperationen im Jemen mit Nachschubmitteln und nachrichtendienstlichen Informationen zu unterstützen. Die US-Streitkräfte seien zwar an den Kriegshandlungen nicht direkt beteiligt, hätten aber mit Saudi-Arabien einen gemeinsamen Planungsstab gebildet, um die Unterstützung der Intervention zu koordinieren.

Auch die britische Regierung teilte in einer ersten Stellungnahme des Außenministeriums ihre Zustimmung zu der Intervention mit. Wie weit sich das auch in materiellen Beiträgen ausdrücken soll, blieb zunächst offen. Etwas überraschender als der Beifall aus Washington und London kam die Zustimmung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Traditionell war das Verhältnis des Fundamentalisten und Unterstützers der Muslimbruderschaft zu den Saudis nicht nur gespannt, sondern geradezu feindselig. In Saudi-Arabien steht die Organisation auf der Terrorliste und wird brutal verfolgt. König Salman, der das Land seit dem 23. Januar regiert, hat zwar das Verbot nicht gelockert, bemüht sich aber um pragmatische Gesten gegenüber Staaten, die die Muslimbrüder unterstützen. Neben der Türkei ist das vor allem Katar. Als trauriges Detail ist zu melden, dass auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der sehr vom Geld der Ölstaaten abhängt, seine Unterstützung für das militärische Eingreifen im Jemen anmeldete.

Nach offizieller Darstellung, die von den westlichen Medien weitgehend übernommen wird, richtet sich die saudisch geführte Intervention gegen schiitische Rebellen aus dem Nordjemen, die im September 2014 die Hauptstadt Sanaa eroberten und seither weiter nach Süden vorrücken. Der Anteil der Schiiten an der jemenitischen Bevölkerung liegt allerdings lediglich bei 25 bis 30 Prozent. Nur aus eigener Kraft wären sie zu derartigen militärischen Erfolgen nicht in der Lage. In Wirklichkeit sind große Teile der regulären Streitkräfte auf ihre Seite übergegangen, darunter die Luftwaffe und schlagkräftige Spezialeinheiten. So richteten sich die Angriffe der Koalition am Donnerstag und Freitag hauptsächlich gegen Stützpunkte der jemenitischen Luftwaffe und gegen Flugabwehranlagen.

Die Saudis und ihre Verbündeten rechtfertigen ihr Eingreifen mit einem Hilfsersuchen des »legitimen«, »demokratisch gewählten« Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi. Tatsächlich hatte der inzwischen nach Riad Geflüchtete mehrmals um die Intervention gebeten. »Gewählt« wurde er am 21. Februar 2012 mit der atemberaubenden Mehrheit von 99,8 Prozent. Außer der Tatsache, dass es keinen Gegenkandidaten gab, muss man über seine »demokratische Legitimation« nicht viel mehr wissen. Die US-Regierung hatte, wahrscheinlich in Absprache mit den Saudis, Hadi als Nachfolger von Präsident Ali Abdullah Saleh ausgewählt. Saleh war seit 1978 Präsident der nordjemenitischen Republik und nach dem Zusammenschluss mit dem südlichen Landesteil 1990 Staatsoberhaupt des Jemen gewesen. Die USA hatten mit ihm jahrzehntelang eng zusammengearbeitet, ließen ihn aber fallen, als er 2011 im Zuge des »arabischen Frühlings« das Ziel kontinuierlicher Massendemonstrationen wurde.

Indessen behielt der Gestürzte viele Anhänger in den Streitkräften und bei einigen der traditionell gut bewaffneten sunnitischen Stämme. Der Aufstand, den die Saudis jetzt mit Hilfe ihrer Koalition niederschlagen wollen, hat daher ein breiteres Fundament als nur die schiitische Minderheit und deren Rebellenorganisation Ansarollah, die in westlichen Medien meist mit dem verächtlich gemeinten Namen »Huthis« bezeichnet wird.

* Aus: junge Welt, Samstag, 28. März 2015


Berlin klatscht

Saudische Diktatur greift Jemen an

Von Sevim Dagdelen **


»Legitim« seien die Angriffe der saudischen Kriegskoalition auf Jemen und die »Huthi«-Rebellen, hat das Auswärtige Amt in Berlin am Freitag erklärt. Zu den bisher über 40 zivilen Toten der Bombardements Riads gab es nicht einmal ein Wort des Bedauerns. Wir erinnern uns: Syrien, Irak, Libyen, Bahrain und jetzt Jemen. Überall wo die saudische Religionsdiktatur ihre Interessen berührt sieht – und dieser Raum umfasst mittlerweile alle Staaten der Arabischen Liga, Nordafrika mit eingeschlossen –, ist sie auch bereit, brutale Kriege zu führen bzw. zu unterstützen. Oder die Führung in Riad setzt auf radikal-islamistische Mörderbanden wie jetzt in Syrien auf die Al-Nusra-Front. Für die Angriffe im Jemen hat Saudi-Arabien rund 100 Kampfflugzeuge mobilisiert. Die Bodentruppe aber stellen Al-Qaida-Kämpfer, denen die USA nach einem Bericht der Washington Post einen Teil der im Jemen verschwundenen US-Waffen im Wert von 500 Millionen Dollar überließen. Der jemenitische Präsident Hadi hat sich mittlerweile nach Saudi-Arabien abgesetzt. Sein Hilferuf dient nur als pseudo-völkerrechtliche Legitimation für die Invasion, bei der auch die anderen Golfdiktaturen Bahrain, Katar und die Emirate mittun. Die USA leisten der Militärallianz logistische und geheimdienstliche Hilfe. Zudem wird dieser Krieg auch mit deutschen Waffen geführt.

Die saudische Intervention muss vor dem Hintergrund der Instabilität des eigenen Systems gesehen werden. Die Repressionen gegen die schiitischen Minderheiten, die seit 2011 an der jemenitischen Grenze und in der saudischen Ölregion, der Ostprovinz Asch-Scharqiyya verstärkt aufbegehren, nehmen zu. Ihre Führer, wie der Geistliche Al-Nimr, sitzen, unbeachtet vom Westen, in den Gefängnissen Riads. Im Jemen zeigt sich, dass eine derartige Unterdrückung nicht ewig währen kann. Auch hier hatten von den Saudis unterstützte Kräfte Schiiten drangsaliert. Die Region Sadaa im Norden des Jemen selbst, aus der die schiitischen Rebellen stammen, war jahrelang vernachlässigt worden.

Die saudische Diktatur führt diese brutale Invasion auch, damit das »Tor der Tränen«, die 27 Kilometer breite Meerenge Bab Al-Mandab, durch die ein Großteil des Öltransports läuft, unter der Kontrolle ihrer Verbündeten verbleibt. Zudem soll offenbar auch das Jahrhundertprojekt des saudischen Oligarchen Tarek bin Laden, eines Halbbruders von Osama bin Laden, für eine Brücke über die Meerenge nicht gefährdet werden. Die Kumpanei Berlins mit Riad muss endlich beendet werden. Ein sofortiger Waffenstopp ist zwingend. Das Gerede vom »Stabilitätsanker in der Region« (Bundesinnenminister Thomas de Maizière), der andere Länder in der Region überfällt, ist verräterisch. Die Bundesregierung muss gestellt werden, auch weil sie den nächsten Völkerrechtsbruch – diesmal im Jemen – einfach nur durchwinkt.

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

** Aus: junge Welt, Samstag, 28. März 2015 (Gastkommentar)


Intervention aus Tradition

Von Knut Mellenthin

Militärische Interventionen Saudi-Arabiens im Nachbarstaat Jemen haben eine lange Geschichte. 1962 stürzte das Militär des nordjemenitischen Königsreichs – der Süden des Landes stand damals noch unter britischer Herrschaft – den Monarchen durch einen Staatsstreich und rief die Republik aus. Daraufhin belieferten die Saudis, das jordanische Herrscherhaus und Pakistan die royalistischen Stämme mit Waffen und Munition, während Großbritannien aus dem Hintergrund assistierte. Riad zahlte auch für Hunderte von ausländischen Söldnern, die für den Einsatz im Jemen angeworben wurden. Angehörige saudischer Sicherheitskräfte kämpften an der Seite der Royalisten. Ägypten, das damals vom panarabischen Nationalisten Gamal Abdel Nasser geführt wurde, schickte zeitweise bis zu 70.000 Soldaten zur Unterstützung der Republikaner in den Jemen. Das Unternehmen endete im September 1967 nach hohen Verlusten und vielen Grausamkeiten auf beiden Seiten mit dem Abzug der Ägypter. Das bedeutete eine schwere politische Niederlage Nassers, der kurz zuvor im Junikrieg von Israel schwer gedemütigt worden war. Aber immerhin blieb der Jemen eine Republik.

1990 vereinigte sich Nordjemen mit der Volksrepublik im Süden zu einem gemeinsamen Staat. Die Volksrepublik, die kaum Rohstoffe und Industrieanlagen besaß, war zu diesem Schritt hauptsächlich dadurch genötigt worden, dass die Sowjetunion unter der Führung von Michail Gorbatschow ihre Hilfe weitgehend eingestellt hatte. Sehr schnell kam es aber zu bewaffneten Versuchen, die Unabhängigkeit zurückzugewinnen. In diesem Bürgerkrieg, der 1994 mit der Niederlage des Südens endete, unterstützte Saudi-Arabien die ihnen politisch-ideologisch sehr fern stehenden »sozialistischen« Separatisten mit Waffen und Geld. Das Motiv der Saudis: Die Vereinigung der beiden Landesteile des Jemens war ihnen von Anfang an unangenehm gewesen, da sie schwache Nachbarn bevorzugen.

Seit Juni 2004 befand sich die jemenitische Zentralregierung in einem fast ununterbrochenen Krieg gegen die schiitische Minderheit, deren Schwerpunkt im Norden des Landes rund um die Stadt Saadah liegt. Zeitweise setzte die Regierung bis zu 30.000 Soldaten für Bodenoffensiven ein. Saudi-Arabien unterstützte die Feldzüge gegen die Schiiten hauptsächlich durch Geld, Waffenlieferungen und Luftangriffe. Im Jahr 2009 setzte Riad auch mehrere tausend Soldaten zu Bodenoperationen auf jemenitischem Territorium ein. Die schiitischen Rebellen reagierten mit wirkungsvollen Vorstößen auf saudisches Gebiet. Die Regierung in Riad gab die eigenen Verluste damals mit 133 Soldaten an. Anderen Berichten zufolge waren sie jedoch erheblich höher.


Eiskalte Dusche

Mindestens acht weitere sunnitisch-muslimische Staaten hat das saudische Regime für seine Militärintervention im Jemen zusammengebracht. Mit Pakistan könnte ein zehnter Staat zur Kriegskoalition stoßen, der 185 Millionen Einwohner und die stärkste Armee der islamischen Welt mitbringt. Für ein Eingreifen im Jemen ist das Aufgebot offensichtlich einige Nummern zu groß. In Wirklichkeit ist das scheinbar hastig zusammengestückelte Bündnis eine Generalprobe für gemeinsame Kriegshandlungen gegen den Iran. Teheran unterstützt politisch und vermutlich auch materiell die schiitische Minderheit im Jemen. Wenn diese von der saudisch geführten Militärmaschinerie niedergeschlagen werden könnte, ohne dass der gleichfalls schiitische Iran ihnen wirksam zu helfen vermag, wäre das ein schwerer Gesichtsverlust. Dass israelische Medien jubeln, wie gut die saudischen Kriegspläne für ihr Land sind, und erfreut feststellen, dass die »sunnitisch-schiitischen Kriege global werden« (Jerusalem Post vom 27. März 2015), ist kein Wunder.

Ein schlimmes Signal ist die offene und schnelle Unterstützung der Kriegskoalition durch die US-Regierung. Diese Reaktion kommt unerwartet, da es bisher nicht so aussah, als wäre Washington mit den Militäroperationen der schiitischen Milizen und der mit ihnen verbündeten regulären Streitkräfte unzufrieden. Immerhin richten sich diese nicht zuletzt gegen Al-Qaida und Anhänger des »Islamischen Staates«, an deren Bekämpfung auf den ersten Blick auch die Obama-Administration ein Interesse haben müsste. Die iranische Führung schien sich sogar der Illusion hinzugeben, dass Washington bei der Bekämpfung des IS im Irak und Syrien auf ihre Hilfe angewiesen und im Gegenzug bereit oder sogar gezwungen sei, dem Iran eine Vormachtstellung in der Region zuzugestehen.

Die US-amerikanische Unterstützung der sunnitischen Kriegskoalition ist eine eiskalte Dusche für den seit Monaten überstrapazierten iranischen »Opportunismus«. Sie kommt genau im entscheidenden Stadium der Verhandlungen über die Begrenzung des iranischen Atomprogramms. (km)




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