Rückzugsraum für Terroristen - der Jemen, ein zweites Afghanistan?
Ein Beitrag von Dirk Eckert in der Sendereihe des NDR "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderation):
In Afghanistan werden mittlerweile die Weichen für einen schrittweisen Abzug der internationalen Trup¬pen gestellt. Dafür rücken zunehmend andere Regionen ins Blickfeld. Der Jemen gilt schon seit langem als Rückzugsraum für Terroristen. Wird das Land auf der arabischen Halbinsel zu einem zweiten Afghanistan? Dirk Eckert weiß mehr:
Manuskript Dirk Eckert
Die Anschläge auf zwei jüdische Gemeinden in Chicago konnten gerade noch verhindert werden. Eine Paketbombe ging den Fahndern Ende Oktober auf einem Flughafen in Großbritannien ins Netz, die andere in Dubai. Abgeschickt wurde die explosive Fracht offenbar in der Hauptstadt des Jemen, in Sanaa. US-Präsident Barack Obama zeigte sich besorgt und erklärte damals der Öffentlichkeit:
O-Ton Obama (overvoice):
„Wir sind noch dabei, alle Einzelheiten zu ermitteln, aber wir wissen schon jetzt, dass die Pakete aus dem Jemen stammen. Wir wissen auch, dass ‚Al Qaida auf der arabischen Halbinsel’, eine terroristische Gruppe mit Basis im Jemen, weiter Angriffe auf unser Land plant, auf unsere Bürger, unsere Freunde und Alliierten. Wir werden nun unsere Zusammenarbeit mit der jemenitischen Regierung verstärken, um die Aktivitäten von ‚Al Qaida auf der arabischen Halbinsel’ zu stoppen und diese Filiale von Al Qaida zerstören. Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, dass der Jemen stabiler, sicherer und wohlhabender wird, damit Terroristen keine Gelegenheit und keinen Platz bekommen, um vom Jemen aus Anschläge zu planen.“
Es ist nicht das erste Mal, dass die USA mit Terrorismus aus dem Jemen konfrontiert sind. Schon 1992 griff Osama bin Ladens Al Qaida ein Hotel in Aden an, in dem amerikanische Militärangehörige übernachteten. Im Oktober 2000 wurde ein Anschlag auf das Kriegsschiff USS Cole verübt, als es im jemenitischen Hafen Aden lag. Im Februar 2009 schlossen sich jementische und saudi-arabische Islamisten zu der Gruppe „Al Qaida auf der arabischen Halbinsel“ zusammen. Der Nigerianer, der Weihnachten 2009 versuchte, einen Anschlag auf ein amerikanisches Passagierflugzeug zu verüben, soll von dieser Al-Qaida-Gruppierung ausgerüstet worden sein. Und auch der US-Militärpsychologe, der im November 2009 auf dem US-Truppenstützpunkt Fort Hood in Texas ein Blutbad anrichtete, hatte offenbar Kontakt zu einem radikalen Imam im Jemen.
Für das Terrornetzwerk Al Qaida herrschen im Jemen ideale Bedingungen. Das vor zwanzig Jahren wiedervereinigte Land ist politisch zerrissen. Das Land hat zwar Öl, aber die Vorkommen gehen zur Neige. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung: Seit 1980 hat sie sich auf heute rund 24 Millionen verdreifacht. Auf dem Land hat häufig nicht die Regierung das Sagen, sondern lokale Stämme. Im Norden rebellieren seit 2004 die Houthi gegen die Zentralregierung. Auch im ehemals realsozialistischen Süden existiert eine Separatistenbewegung. Denn die Wiedervereinigung nach 1990 entpuppte sich als Machtübernahme durch den islamisch-konservativen Norden. Ein Aufstand gegen die Zentralregierung im Jahr 1994 wurde von der Armee aber schnell niedergeschlagen.
Der Jemen wird seit der Wiedervereinigung 1990 von Ali Abdullah Salih regiert. Er war zuvor Präsident des Nordjemen. Salih wird von der internationalen Staatengemeinschaft im Kampf gegen Al Qaida unterstützt. Im Januar 2010 wurde auf einer internationalen Jemen-Konferenz in London die sogenannte Gruppe der „Freunde des Jemen“ gegründet. Vertreten sind dort sind Staaten der Region, aber auch die EU und die Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Die Gruppe soll die Entwicklung des Landes fördern. Vor allem die US-Regierung rüstet die jemenitische Regierung aber auch militärisch für den Kampf gegen Al Qaida aus. Die US-Strategie skizzierte vor gut einem Jahr bei einer Anhörung im US-Kongress Daniel Benjamin. Er ist im US-Außenministerium Coordinator for Counterterrorism:
O-Ton Daniel Benjamin (overvoice):
„Die US-Strategie gegenüber dem Jemen ist zweigleisig: Erstens muss die Fähigkeit der jemenitischen Regierung gestärkt werden, selbst für Sicherheit zu sorgen und die Bedrohung durch gewaltbereite Extremisten in ihrem Land zu minimieren. Zweitens müssen die wirtschaftlichen Probleme des Jemen angegangen werden und die Defizite der Regierung beseitigt werden mit Blick auf Transparenz und Leistungsfähigkeit.“
Die geheimen US-Depeschen, die kürzlich von der Internetplattform Wikileaks veröffentlicht wurden, zeigen allerdings, dass die militärischen Aktivitäten der USA weit über reine Unterstützungsleistungen hinausgehen. Offenbar hat Präsident Salih den USA weitreichende Rechte eingeräumt. Demnach haben die USA sogar selbst mutmaßliche Al-Qaida-Stützpunkte im Lande bombardiert – etwa am 17. und 24. Dezember 2009. Beim Angriff vom 17. Dezember 2009 sollen 49 Zivilisten getötet worden sein. Laut den von Wikileaks veröffentlichen Dokumenten erklärte Präsident Salih im Januar vergangenen Jahres in einem Gespräch mit dem damaligen Befehlshaber der US-Truppen im Nahen Osten, David Petraeus - Zitat:
Zitat Salih:
„Wir werden weiterhin sagen, dass es unsere Bomben sind, nicht Eure.“
Außerdem geht die US-Administration offenbar davon aus – auch das zeigen die Wikileaks-Dokumente –, dass ihre für den Kampf gegen Al Qaida gedachte Anti-Terror-Hilfe zweckentfremdet wird. So heißt es in einem vertraulichen Papier, die jemenitische Regierung habe die US-Bedenken in dieser Sache zwar zur Kenntnis genommen. Es sei aber nicht zu einer entscheidenden Verschiebung des Regierungsfokus weg von dem Aufstand der Houthi hin zur Bekämpfung von Al Qaida gekommen. Die jemenitische Regierung argumentiert zwar, dass die Houthi aus dem Iran unterstützt werden und deshalb bekämpft werden müssten. Aber die US-Regierung bezweifelt das: Für eine Unterstützung der Aufständischen durch den Iran gebe es keine konkreten Beweise. Die Regierung des Jemen könne daher auch keine vorlegen, heißt es in den Wikileaks-Dokumenten.
Die Enthüllungen von Wikileaks zeigen, dass die USA schon längst militärisch im Jemen eingegriffen haben. Das hat auch strategische Gründe: Das Land im Süden der arabischen Halbinsel liegt am Golf von Aden und damit am Weg zum Suez-Kanal, einer wichtigen Schiffsroute. Auf der anderen Seite des Golfs von Aden liegt Somalia. Dort sind die Islamisten auf dem Vormarsch, so dass die Gefahr besteht, dass islamische Fanatiker den Golf von Aden kontrollieren könnten. Außerdem liegt der Jemen als Nachbar von Saudi-Arabien nicht weit weg von den großen Ölvorkommen des Nahen Ostens.
Die WASHINGTON POST berichtete im August sogar, dass die CIA die Gruppe „Al Qaida auf der arabischen Halbinsel“ als eine größere Bedrohung einstuft als Al Qaida in Pakistan. Dieser Einschätzung widersprach allerdings der Anti-Terror-Experte des US-Außenministeriums Daniel Benjamin auf einer Konferenz des US-Institute of Peace im September.
O-Ton Daniel Benjamin (overvoice):
„Lassen Sie mich das deutlich sagen: Es gibt solche Ranglisten nicht. Derartige Aussagen haben bestenfalls den Zweck, eine Bedrohung hervorzuheben. Der Terrorismus aus dem Jemen ist ein großes Sicherheitsproblem für die Vereinigten Staaten. Aber der Al Qaida-Kern in Pakistan bleibt eine schreckliche und gefährliche Terrororganisation, die weiterhin die Vereinigten Staaten bedroht.“
Der Vergleich mit Pakistan kommt allerdings nicht von ungefähr. Auch dort bombardiert das US-Militär unter Duldung der Regierung mutmaßliche Al-Qaida-Stützpunkte. Kenner der Region sind sich allerdings einig: Im Jemen werden diese Angriffe nichts nützen, solange das Land politisch so zerrissen ist und sich die Lebensbedingungen der Menschen nicht wesentlich bessern.
* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 2. Januar 2011; www.ndrinfo.de
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