Terror in Arabiens Armenhaus
Jüngster Anschlag auf die US-Botschaft in Jemen ist ein weiteres Glied in der Kette der Gewalt
Von Karin Leukefeld *
Nach dem Anschlag auf die US-Botschaft in Jemen, bei dem diese Woche 16 Menschen getötet
wurden, haben die Behörden bislang 25 Verdächtige festgenommen. Der Anschlag vom Mittwoch
war der zweite auf die US-Botschaft binnen fünf Monaten.
Erstmals geriet Jemen im Jahr 2000 mit dem Anschlag auf das Kriegsschiff »USS Cole« im Hafen
von Aden in die Schlagzeilen, bei dem 17 US-Soldaten starben. Seitdem ist die jemenitische
Regierung wiederholt gegen vermeintliche Anhänger der Al Qaida vorgegangen, konnte allerdings
weitere Angriffe nicht verhindern.
Im März 2003 versuchten Zehntausende Demonstranten, die US-Botschaft zu stürmen – aus Protest
gegen den Krieg in Irak.
Der jüngste Anschlag ist der zweite in diesem Jahr. Im März 2008 verfehlten drei Mörsergranaten
die Botschaft und landeten stattdessen in einer nahe gelegenen Mädchenschule, wo ein Wachmann
getötet und mehr als ein Dutzend Schulmädchen verletzt wurden.
Inzwischen habe man »alle Verdächtigen ausfindig gemacht«, hieß es aus Sicherheitskreisen in
Sanaa. 25 Personen wurden festgenommen. Erst im August hatten die jemenitischen Behörden 30
Verdächtige verhaftet, denen sie vorwerfen, Mitglieder eines Al-Qaida-Netzwerks zu sein. In einem
Interview mit dem »Yemen Observer« erklärte Nasser al-Bahri, der frühere Leibwächter von Osama
bin Laden, die angeblichen Al-Qaida-Gruppen in Jemen hätten mit Bin Laden nichts zu tun. »Es gibt
keine neue Generation und keine effektive Führung in Jemen«, sagt Bahri. Osama bin Laden habe
eine klare Konzeption, die keiner der selbst erklärten Al-Qaida-Führer in Jemen verstanden habe.
Bahri, auch unter dem Namen Abu Jandal bekannt, wird von den Islamisten in Jemen scharf
kritisiert. »Man hält mich für einen Spion der Amerikaner, der Saudis und der jemenitischen
Regierung«, so Bahri, weil er Anschläge in Jemen und in Saudi-Arabien ablehne. »Irak, Somalia und
Sudan« seien indes »akzeptable Operationsfelder für Al Qaida«.
Mit einer Bevölkerung von etwa 18 Millionen ist Jemen das Armenhaus der Arabischen Halbinsel
und einer der ärmsten Staaten der Welt. In dem unübersichtlichen Land aus Wüste und Gebirgen, in
denen das Gesetz der jemenitischen Stämme herrscht, ist es einfacher, an Waffen zu kommen als
an eine gute Schulbildung. Wasser ist notorisch knapp, Tausende afrikanischer Flüchtlinge wurden
in den letzten Jahren an die Küsten gespült, Hunger und Armut treibt die Kinder auf die Straßen, um
irgendwie Geld zu verdienen.
Seit vier Jahren haben interne Kämpfe der jemenitischen Regierung mit oppositionellen schiitischen
Gruppen in Saada im Nordwesten viele Tote gefordert. Tausende Menschen wurden vertrieben,
Straßen, Häuser, Schulen und Krankenhäuser wurden teilweise zerstört oder sind so überbelastet,
dass die Regierung wiederholt um internationale Hilfe bat.
Sabil Shaiban vom jemenitischen Ministerium für Planung und internationale Zusammenarbeit
erklärte am Donnerstag gegenüber dem UN-Informationsnetzwerk IRIN, mehr als 6000 Gebäude im
Nordwesten seien zerstört, 900 Bauernhöfe, 80 Schulen, 90 Moscheen und fünf
Gesundheitszentren. Mehr als 15 000 Familien, etwa 100 000 Personen, seien vor dem Krieg in den
letzten Jahren geflohen und bräuchten dringend Hilfe. Man benötige mindestens 190 Millionen US-Dollar,
um mit dem Wiederaufbau beginnen zu können. Langfristig seien 500 Millionen erforderlich.
Die Regierung habe bereits 55 Millionen Dollar zugesagt, den Rest erhoffe man sich von der
internationalen Gemeinschaft. Nach dem Anschlag auf die US-Botschaft dürfte es nun vermutlich
leichter sein, Geld für neue Militär- und Polizeiausrüstung und private Sicherheitsfirmen zu
bekommen als für die notleidende Bevölkerung Jemens.
* Aus: Neues Deutschland, 20. September 2008
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