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Saleh und Ahmar sind wie Pest und Cholera

Jemenitischer Exilpolitiker Riad al-Qadi befürchtet Bürgerkrieg *


Erneut starben am Wochenende in Jemen 14 Menschen bei Selbstmordattentaten. Und während Tausende auf der Straße ihre Unterstützung für den Nationalrat der Opposition bekundeten, verließen ihn Vertreter des Südens kurz nach Gründung schon wieder, weil sie sich unterrepräsentiert fühlen. Die Lage im Land bleibt angespannt und unübersichtlich.
Riad al-Qadi, geboren 1954 in Aden, war Mitglied in der »Befreiungsfront für das Okkupierte Südjemen« und nach der Unabhängigkeit 1967 in der Baath-Partei Südjemens. Mehrmals musste er ins Exil fliehen und wurde 1989 in der BRD als politisch Verfolgter anerkannt. Er ist Gründer der »Freien und unabhängigen Opposition Südjemens im deutschen und europäischen Exil«. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Utz Anhalt.


ND: In Sanaa lieferten sich kürzlich die Kämpfer des Ahmar-Clans Gefechte mit der Nationalgarde von Präsident Ali Abdullah Saleh. Was ist der Hintergrund?

Abdallah ibn Hussain al-Ahmar war von 1993 bis zu seinem Tode 2007 Parlamentschef. Derzeit läuft so eine Art Blutrache zwischen den Familien Saleh und Ahmar. Das saudische Königshaus lässt seine Marionette Saleh fallen. Die Familien Ahmar und Saleh werden seit 50 Jahren von Saudi- Arabien finanziert. Beide gehören zum Haschid-Stamm, der Söldner für die Saudis stellt. Der gegenwärtige Chef des Ahmar-Clans, Sadiq al- Ahmar, rechtfertigt seinen Putschversuch gegen Saleh damit, dass der ein Mörder sei. Die Ahmars haben allerdings mit diesem Mörder 30 Jahre zusammengearbeitet.

Saleh wurde am 3. Juni bei einem Anschlag auf seine Residenz in Sanaa schwer verletzt.

Es gibt zu dem Anschlag bis jetzt keine Erklärung der Regierung. Gerüchte besagen, dass Saleh den Anschlag selbst organisiert habe und danach verwundet wurde. Saleh behauptet, zwei Raketen hätten sein Anwesen von außen getroffen. Bilder zeigen aber, dass Fenster offensichtlich von innen zerborsten sind. Es kann also ein Ahmar gewesen sein, aber auch jemand anders. Salehs Pressesprecher wiederum sagte, die USA-Regierung sei für das Attentat verantwortlich. In jedem Fall versucht Saleh, die Wahrheit zu vertuschen und hat einen Konflikt mit seinen amerikanischen Freunden.

Warum finanziert Saudi-Arabien Saleh?

Um demokratische und linke Organisationen in Jemen zu zerschlagen. Aber jetzt liegt der Präsident nach dem Anschlag in einem Krankenhaus der saudi-arabischen Hauptstadt Riad und steht de facto unter militärischem Arrest der Saudis.

Warum? Er hat doch Politik für die Saudis gemacht.

Das hat er, aber Saleh gilt derzeit als untragbar. Die Saudis haben Angst vor einem demokratischen Aufbruch in Jemen wie in Ägypten und sehen, dass der Despot nicht mehr zu halten ist. Jetzt geben sie ihm die Möglichkeit eines Luxusasyls. Er darf seine Milliarden behalten und wird nicht vor Gericht gestellt, bekommt Amnestie, muss aber darauf verzichten, regieren zu wollen. Die saudischen Herrscher erpressen die Menschen in Jemen: Entweder sie lassen Ahmar an die Macht, oder die Saudis geben Saleh frei, und er kommt wieder zurück.

Wer regiert denn derzeit Jemen?

Offiziell ist es Abd al-Rab Mansur al-Hadi, ein Generalmajor, als Vizepräsident. Aber die wirkliche Macht liegt bei Salehs Sohn und Salehs Cousins.

Was will denn Ahmar? Was hat er zum Beispiel mit der demokratischen Bewegung zu tun, die auf dem Campus der Universität von Sanaa demonstriert?

Er ist ein Feind dieser Demokratiebewegung, so wie Saleh. Die Saudis versuchen jetzt, ihn an die Macht putschen, damit das alte System bleibt und die demokratischen Kräfte sich nicht durchsetzen. Und Ahmars Kämpfer übernehmen die Drecksarbeit gerne. Sie liefern sich Feuergefechte mit der Nationalgarde, prügeln aber auch auf demonstrierende Oppositionelle ein und plündern. Ahmars Kämpfer sind Männer aus den Bergen. Das moderne Stadtleben ist für sie ein ungekannter Luxus, und Ahmar lässt sie rauben. Für das saudische Herrschaftshaus geht es vor allem um die Wirkung auf das eigenen Volk. Mit der Niederschlagung der demokratische Bewegung in Jemen wollen sie den Menschen in Saudi-Arabien zeigen: »Versucht es gar nicht erst.«

Wie stehen die Chancen für die demokratische Bewegung?

Für die freiheitliche Bewegung sieht es derzeit düster aus. Auf Kairos Tahrir-Platz hat sich der Umbruch entschieden, als das Militär sich auf die Seite der Demonstranten stellte. Das wird in Jemen nicht passieren. Die Nationalgarde steht auf der Seite Salehs, die Söldner aus den Bergen unterstützen Ahmar.

Salehs Truppen und Ahmars Kämpfer stammen aus dem selben Stamm in Nordjemen. Was wollen die Menschen in Aden, Hauptstadt der bis 1990 unabhängigen Volksdemokratischen Republik (Süd)Je- men? Steht eine Teilung bevor?

Immer mehr Menschen im Süden wollen wieder ein geteiltes Land. Sie sagen sich: Besser Teilung und Rechtsstaat – wenigstens im Süden – als ein geeintes Jemen mit Diktatur und Krieg.

Welche Rolle spielen die USA? 2009 haben US-Piloten noch für Saleh und das saudische Herrscherhaus die Huthi-Rebellen in Nordjemen bombardiert. Stützen sie die demokratische Bewegung?

Die US-Amerikaner spielen fast die gleiche Rolle wie die Saudis. Sie lassen offenbar Saleh fallen und unterstützen Ahmar. Sie geben den Mordbrennern die Waffen, die plündernd durch Sanaa ziehen. Das Organisationskomitee der protestierenden Studentenschaft fordert die USA-Regierung deshalb auf, sich auf die Seite der Demokratie zu stellen. Sie sagen, dass sie eine neue Diktatur, dieses Mal von Ahmar, nicht mitmachen werden.

In Tunesien und Ägypten stürzte eine demokratische Bewegung die Präsidenten, in Libyen entbrannte ein Bürgerkrieg. Geht Jemen in Richtung Ägypten oder Libyen?

Leider sieht es mehr nach Libyen aus. Vieles hängt an der Politik der USA. Wenn Washington und der Golfkooperationsrat versuchen, Ahmar durchzusetzen, gibt es Bürgerkrieg. Die demokratische Volksbewegung kann einen Krieg nicht gewinnen. Die Demonstranten in Sanaa wollen es auch nicht. Sie demonstrieren friedlich, in Massen, aber ohne Gewalt.

* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2011


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