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Einsam um Saleh

Jemen: Immer mehr Weggefährten des Präsidenten schließen sich der Opposition an. Parlament stimmt über Notstand ab

Von Karin Leukefeld *

Im Jemen wird es einsam um Präsident Ali Abdullah Saleh. Nach 30 Jahren wenden sich selbst langjährige Weggefährten von ihm ab und stellen sich demonstrativ auf die Seite der Protestbewegung. Saleh verschanzte sich derweil in seinem Präsidentenpalast, der von Soldaten der Republikanischen Präsidentengarde abgeschirmt wird.

Dutzende Mitglieder sind aus der herrschenden Allgemeinen Volkskongreßpartei (GPC) im Jemen ausgetreten, darunter Minister, Botschafter und Militärs. Allein am vergangenen Wochenende waren es 20 Personen, darunter auch die Ministerin für Menschenrechte, Huda Al-Ban. Damit haben bisher sechs Minister Saleh den Rücken gekehrt, darunter die für Bildung, Tourismus und Umwelt.

Auch die jemenitischen Botschafter bei den Vereinten Nationen (New York) und im Libanon sind zurückgetreten, ebenso der Leiter der staatlichen Nachrichtenagentur SABA und der Zuständige für die Außenbeziehungen der Allgemeinen Volkskongreßpartei. Auch Chefredakteure staatlich kontrollierter Tageszeitungen und der Leiter der staatlichen Organisation für Presse und Journalismus, Al-Jumhurriya, reichten ihren Rücktritt ein.

Schwerer Schlag

Alle verurteilten die Gewalt, mit der am vergangenen Freitag Sicherheitskräfte gegen die Protestbewegung in der Nähe der Universität vorgegangen waren. Dabei waren 52 Personen erschossen und mehr als 600 verletzt worden. Saleh hatte daraufhin den Ausnahmezustand verhängt. Am Mittwoch soll das jemenitische Parlament diesen gebilligt haben. An der Abstimmung nahmen laut Parlamentsangaben nur 164 der insgesamt 301 Abgeordneten teil. Oppositionelle und unabhängige Abgeordnete boykottierten die Abstimmung. Ein Abgeordneter der Opposition sagte hingegen, der Beschluß des Parlaments sei nicht gültig. An der Abstimmung hätten sich nur 133 und nicht 164 Abgeordnete beteiligt, sagte Abdel Rasak Al-Hedschri von der islamistischen Partei Al-Islah. Damit sei das nötige Quorum nicht erreicht worden.

»Die Verletzungen der Menschenrechte werden sowohl von der Scharia als auch dem (weltlichen) Gesetz verboten und haben uns in eine schwierige Situation gebracht«, hieß es in dem Rücktrittsschreiben der Ministerin für Menschenrechte, Al-Ban. Es sei nicht möglich, in einem System weiterzuarbeiten, das »die Rechte und die Freiheit seines Volkes nicht respektiert«.

Den schwersten Schlag dürfte Präsident Saleh aber von hochrangigen Militärs erhalten haben, die ihre Solidarität mit den Demonstranten und der »Revolution« bekundeten. General Ali Mohsen Al-Ahmar sagte, die Krise im Jemen werde immer komplizierter, das Land werde »in Gewalt und Bürgerkrieg« gedrängt. Darum hätten er und andere Kommandeure und Soldaten beschlossen, »die Jugendrevolution friedlich zu unterstützen«. Sadik Al-Ahmar, Führer der Föderation der Hashid-Stämme, sagte ebenfalls, er und sein Stamm würden sich »der Revolution anschließen«. Der Präsident solle Blutvergießen vermeiden und »einen ruhigen Abgang« machen.

Zukunft unklar

Nach 32 Jahren Herrschaft Salehs ist die Zukunft des völlig verarmten Landes unklar. Die Konflikte mit vielen bewaffneten Gruppen seien eine große Herausforderung, meinte der Politikwissenschaftler Abdulghani Al-Iryani. Fraglich sei, wie die vielschichtige Opposition das Vakuum ausfüllen könne, das Präsident Saleh hinterlassen werde. Die meisten Probleme des Landes seien »selbst verursacht«, so Al-Iryani. Ausländische Einmischung habe Korruption und Vetternwirtschaft gefördert. Die politische, soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung großer Teile der überwiegend jungen Gesellschaft habe die soziale Struktur des Landes zerstört.

Am Montag (21. März) berichtete die Yemen Times, Saleh habe sich mit einem der Generäle über einen nicht genannten Vermittler in der Nacht auf den Rücktritt geeinigt, um Jemen vor einem Bürgerkrieg zu bewahren. Sobald er wüßte, wer seine Nachfolge antrete, sei Saleh bereit, seinen Stuhl zu räumen. Im Norden des Landes gehen derweil seit Sonntag Truppen, die sich weiterhin loyal zu Präsident Saleh verhalten, gegen die Huthi-Rebellen vor. Auch die Luftwaffe wurde eingesetzt. Die Kämpfe in der Region Al-Jawf, die an Saudi-Arabien grenzt, halten an. Bisher wurden bis zu 40 Menschen getötet, berichtet das UN-Informationsnetzwerk IRIN.

* Aus: junge Welt, 24. März 2011


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