Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Symbolischer Auftakt

Jemen-Konferenz ergebnislos: Internationale Geldgeber halten sich vorerst bedeckt und drängen auf "Reformen". US-Spezialeinheiten wirken bei Militäroperationen mit

Von Knut Mellenthin *

Ohne konkrete Beschlüsse endete am Mittwoch (27. Januar) die auf nur zwei Stunden angesetzte »Jemen-Konferenz« in London. Premierminister Gordon Brown hatte sie Anfang Januar kurzfristig einberufen und auf den Vorabend der seit langem geplanten Afghanistan-Konferenz gelegt, die am Donnerstag (28. Jan.) in der britischen Hauptstadt begann. Neben Politikern und Diplomaten aus 21 Staaten nahmen an der »Jemen-Konferenz« auch Vertreter des Weltwährungsfonds und anderer internationaler Institutionen teil.

Mehr als ein symbolischer Auftakt für einen längeren Prozeß der wirtschaftlichen, finanziellen, politischen und auch militärischen »Betreuung« des Krisenstaates am Golf von Aden sollte das Londoner Treffen von vornherein nicht sein. So gehört zu den wichtigsten Ergebnissen die Vereinbarung einer dann vermutlich etwas gründlich vorbereiteten und intensiveren Nachfolgekonferenz, die am 27. und 28. Februar in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad stattfinden soll. Als offizieller Einlader tritt der Gulf Cooperation Council (GCC) auf, dem außer Saudi-Arabien auch Bahrain, Kuwait, Katar, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate angehören.

Außerdem wurde in London die Gründung einer Interessengemeinschaft »Freunde des Jemen« beschlossen. In diesem Arbeitszusammenhang werden die sechs Staaten des GCC, die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA) sowie die Weltbank, der Weltwährungsfonds (IWF) und die EU vertreten sein.

Keine Kontrolle

Neue finanzielle Hilfszusagen gab es auf dem Treffen am Mittwoch nicht. Im Jahre 2006 waren dem Jemen auf einer internationalen Geberkonferenz, zu der ebenfalls die britische Regierung nach London eingeladen hatte, insgesamt rund fünf Milliarden Dollar versprochen worden. Von dieser Summe wurde aber bisher nur ein geringer Teil wirklich ausgezahlt und eingesetzt. Der Haupteinwand potentieller Geldgeber ist, daß keine ausreichende Kontrolle über Ausgaben und Projekte besteht. Außerdem wird Finanzhilfe von vorherigen wirtschaftlichen und politischen »Reformen«, zu denen auch die Eindämmung der Korruption gehören soll, abhängig gemacht.

Jemen beugte sich jetzt dem Druck und erklärte sich bereit, Verhandlungen mit dem IWF aufzunehmen. Herauskommen soll dabei eine größere Anleihe, die aber vom Weltwährungsfonds üblicherweise mit harten Eingriffen in die Wirtschaft des betroffenen Landes verbunden wird.

US-Außenministerin Hillary Clinton machte in London zudem deutlich, daß Washington vom Jemen neben »Reformen«, »Bekämpfung der Korruption« sowie »Verbesserung des Investitions- und Geschäftsklimas« auch ein noch schärferes militärisches Vorgehen gegen islamische Fundamentalisten verlangt. »Einheit und Stabilität« des Jemen durchzusetzen sei »eine dringende Priorität unserer nationalen Sicherheit«, drohte Clinton.

Geheime Operationen

Ebenfalls am Mittwoch berichtete die Washington Post neue Einzelheiten über die zunehmende militärische und »sicherheitspolitische« Intervention der USA im Jemen. Mitglieder von US-amerikanischen Spezialeinheiten und Geheimdiensten seien »tief verwickelt« in geheime gemeinsame Operationen mit jemenitischen Truppen gegen angebliche Al-Qaida-Stützpunkte, schrieb die Post unter Berufung auf nicht namentlich genannte Regierungsbeamte. Bei mehreren Angriffen seien in den letzten sechs Wochen Dutzende Menschen getötet worden.

Präsident Barack Obama habe diese Zusammenarbeit Mitte Dezember angeordnet. Beteiligt seien mehrere Dutzend US-Militärs, die dem Oberkommando der Spezialeinheiten, dem Joint Special Operations Command (JSOC), unterstehen. Die Berater sind laut Washington Post nicht direkt an den Operationen im Jemen beteiligt, sondern wirken bei der Planung der Angriffe und der »Entwicklung der Taktik« mit. Außer bekämen die jemenitischen Spezialkräfte auf diesem Wege Waffen geliefert.

* Aus: junge Welt, 29. Januar 2010


Das Teile-und-herrsche-Prinzip

Wie die Führung im Jemen die Widersprüche in der Gesellschaft schürt. Kein Programm gegen Armut und Arbeitslosigkeit

Von Karin Leukefeld **


Während westliche Politiker und arabische Verbündete bei der sogenannten »Jemen-Konferenz« in London vor allem vor der Gefahr einer neuen Al-Qaida-Basis im Jemen warnen, betonen nicht-staatliche Akteure die Notwendigkeit eines Politikwechsels. Die jemenitische Regierung müsse sich dem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fortschritt im Lande verpflichten, anstatt durch Vetternwirtschaft Korruption zu fördern und Menschenrechte zu verletzen, heißt es in Stellungnahmen von Hilfsorganisationen. Präsident Ali Abdullah Saleh, der seit 32 Jahren den Jemen regiert, hat es im Laufe seiner langen Amtszeit meisterhaft verstanden, gesellschaftliche Widersprüche zu schüren und zur Stabilisierung seiner eigenen Position auszunutzen, während nichts gegen die strukturelle Armut und Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft unternommen wird. 42 Prozent der 23 Millionen Menschen zählenden jemenitischen Bevölkerung verfügen täglich über weniger als zwei US-Dollar (etwa 1,50 Euro).

In London sei man einen »Schritt in die richtige Richtung« gegangen, meinte der Jemen-Experte Khairallah Khairallah gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Immerhin habe die Staatengemeinschaft die Gefahr erkannt, daß aus dem Jemen »ein neues Afghanistan oder Somalia« werden könnte. Anders analysiert Fawaz Gerges, Professor für Politik des Mittleren Ostens an der London School of Economics, die Situation in dem arabischen Armenhaus: »Al-Qaida ist die geringste der vielen Herausforderungen im Jemen«, so Gerges. Die wachsende sozio-ökonomische Krise, politische Probleme und Konflikte innerhalb der jemenitischen Stammes- und Clanstrukturen »bringen das Land bedrohlich nah an den Rand eines Bürgerkrieges«. Jede Lösung, die die internationale Gemeinschaft dem Jemen verschreibe, müsse die komplexe Situation des ganzen Landes und nicht nur Al-Qaida reflektieren.

Einen Tag vor dem Treffen in London hatten in Sanaa zwei der einflußreichsten Personen des Landes (nach Präsident Ali Abdullah Saleh) vor einer ausländischen Einmischung gewarnt. Als Führer einflußreicher Stämme und religiöse Führer erklärten Scheich Sadik Al-Ahmar und Scheich Al-Zidani, der Jemen könne seine Probleme allein lösen. »Wir weisen eine neue Besatzung, eine ausländische Intervention oder eine Teilung unseres Landes kategorisch zurück«, sagte Al-Ahmar unter großem Beifall auf einer Versammlung. »Wir wollen nicht, daß Jemen ein neuer Irak, ein neues Afghanistan oder gar ein neues Somalia wird.« Die Einheit des Landes müsse gewahrt, der Kampf im Norden beendet und eine Abtrennung des Südens verhindert werden. So gestärkt, erklärte der jemenitische Außenminister Al-Kirbi in London, daß der Jemen sich über finanzielle und wirtschaftliche Hilfe aus dem Ausland zwar freue, man aber keine Soldaten wolle.

Nachdem der Anführer der Houthi-Bewegung in Jemen, Abdulmelik Al-Houthi, am Montag Saudi-Arabien einen Waffenstillstand und den Rückzug aus dem saudischen Grenzgebiet angeboten hatte, verkündete der saudische Verteidigungsminister, Prinz Khaled bin Sultan, am Mittwoch den »klaren Sieg über den Feind« und erklärte die Kampfhandlungen für beendet. Im November vergangenen Jahres hatte die saudische Luftwaffe in die »Operation Verbrannte Erde« eingegriffen, die die jemenitische Armee Anfang August 2009 gegen die Houthi-Bewegung begonnen hatte. Als Reaktion auf die saudischen Luftangriffe hatten die Houthis saudische Grenzposten angegriffen und Soldaten getötet, was wiederum zum Aufmarsch der saudischen Armee im Grenzgebiet geführt hatte. Zehntausende Zivilisten waren aus Grenzdörfern evakuiert und teilweise in Lagern interniert worden. Betroffen waren auch viele Jemeniten aus der Provinz Sa'ada, die traditionell auf Märkten saudischer Kleinstädte arbeiten, weil sie im eigenen Land weder ihre Produkte verkaufen noch anderweitig Arbeit finden können.

** Aus: junge Welt, 29. Januar 2010


Zurück zur "Jemen"-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zurück zur Homepage