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Hoffnung auf Freilassung

Entwicklungshelfer in Jemen entführt

Von Martin Lejeune, Sanaa *

140 Kilometer nördlich der jemenitischen Hauptstadt Sanaa sind am Dienstag ein Deutscher, eine Irakerin, eine Palästinenserin, ein Kolumbianer und zwei Jemeniten entführt worden, die für das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) arbeiten. Dies meldete die Agentur Saba am Mittwoch unter Verweis auf anonyme Quellen.

Entführungen kommen in Jemens von Stammesclans dominierten Gesellschaft immer wieder vor. In letzter Zeit, da die Regierung des Landes aufgrund von politischen Unruhen zusammengebrochen ist, jedoch wieder vermehrt. Erst dieser Tage wurde ein Norweger freigelassen, der für eine internationale Kommission die Präsidentschaftswahlen am 21. Februar beobachten sollte. Vor einem Monat war er im Zentrum Sanaas von Stammesmitgliedern aus der Region Marib entführt worden.

Im aktuellen Fall geht es um die von den Entführern verlangte Freilassung von Ali Ganem al-Subairi aus dem Gefängnis in Sanaa. Subairi, der einem Stamm aus der Provinz Al Mahwit angehört, ist wegen mehrfachen Mordes verurteilt. Er hat an einem Checkpoint mehrere Männer erschossen. Dennoch gibt es für eine baldige Freilassung von vier der sechs Helfer offenbar gute Chancen. »Die vier Ausländer sollen noch am Mittwoch freigelassen werden«, zitierten jemenitische Radiosender einen Stammesführer, der namentlich nicht genannt werden wollte. Diplomatische Kreise in Sanaa attestierten »neues deutschland«, dass die Freilassung der ausländischen Geiseln womöglich »bevorstehe«.

Unterdessen bestätigte nun auch offiziell Pete Manfield, der stellvertretende Leiter des OCHA-Büros in Jemen, in Sanaa gegenüber »nd« die Entführung seiner Mitarbeiter: »Wir sind sehr betroffen von diesem Vorfall und arbeiten auf Hochdruck daran, dass sie bald wohlbehütet wieder freikommen.«

Der britische Entwicklungshelfer , der seit Jahren für die UNO Entwicklungshilfe in mehreren Ländern koordiniert hat, befürchtet, dass solche Vorfälle dem Land sehr schaden können. »Jemen, das ärmste der arabischen Länder, hat einen großen Bedarf an Entwicklungshilfe. Weltweit steht es auf der Liste der Länder, welche die meiste Entwicklungshilfe bekommen, auf dem sechsten Platz. Entführungen von Helfern schrecken die internationalen Organisationen davon ab, im Land tätig zu bleiben oder zu werden.«

Der aus London stammende Architekt Manfield ist seitens seines Arbeitgeber, der UNO, selber weitgehenden Restriktionen ausgesetzt. Im Land darf er sich nur in der Hauptstadt und dort auch nur mit Begleitschutz bewegen. Seine Familie, Frau und zwei Kinder, dürfen nicht mit ihm in Jemen sein. »Meine Familie lebt in Dubai und ich kann sie wegen der Arbeitsbelastung nur alle zwei Wochen besuchen«, klagt Manfield. »Außerdem sind die Flugtickets sehr teuer geworden, weil es nur noch wenige Flugverbindungen nach Jemen gibt.«

Unterdessen hoffen viele ausländische Beobachter, dass sich die Sicherheitslage nach den Präsidentschaftswahlen am 21. Februar wieder stabilisieren werde. »Im Moment ist Regierungshandeln in Jemen überhaupt nicht wahrnehmbar«, sagt gegenüber »nd« einer der wenigen verbliebenen Ausländer im Land.

Fast alle Staaten der Welt haben eine Reisewarnung für Jemen ausgesprochen, die meisten Botschaften sind geschlossen, unter ihnen auch die deutsche. Täglich kommt es im Land zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Stammesclans und außerdem zu Angriffen der Luftwaffe auf Dörfer und Städte, wie erst in dieser Woche wieder.

* Aus: neues deutschland, 2. Februar 2012


Seltsames Geschichtsverständnis

Ein Stück deutsch-chinesischer Historie **

Die Bundeskanzlerin hat sich auf den Weg nach China begeben. Neben so schwierigen Themen wie Finanzkrise, Eurorettung und Menschrechten ist ein weiteres, durchaus freudiges Ereignis zu besprechen: 2012 begehen die Bundesrepublik und die Volksrepublik China nämlich den 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

In einer an Jahrestagen nicht gerade armen Zeit wäre das sicher kein sonderlich erwähnenswertes Jubiläum, aber bei den vielen schwierigen Themen der Kanzlerin im fernen Peking ist so ein Jahrestag ein sicherlich willkommener Anlass. Wäre da nicht ein vom Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft in Peking herausgegebenes Logo, das Veranstaltungen aller Art verliehen werden soll, die dieses Jubiläum würdigen. Auf dem Logo heißt es: »40 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland - China!«

Verwundert fragt sich da der Betrachter: Was war denn vor dem Jahre 1972, als die Bundesrepublik ihre diplomatische Zurückhaltung gegenüber der Volksrepublik aufgab?

Gab es nicht schon Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts diplomatische Beziehungen zwischen dem wilhelminischen Kaiserreich und dem Kaiserhof in Peking? Und wie war das mit den deutschen Beratern, die die nationalistisch-bürgerliche Regierung unter Tschiang Kai-schek in den 20er und 30er Jahren beraten haben? Auch in dieser Zeit, wie auch selbst während des »Dritten Reiches« gab es bereits eine deutsche Botschaft in China.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg? Die DDR gehörte zu den ersten Staaten, die das neue China 1949 anerkannten und wenig später wieder eine Botschaft in Peking eröffneten. In Bonn hatte man seinerzeit noch die Hoffnung, dass die Volksrepublik unter Mao Zedong nicht lange überleben würde. Deshalb richtete man seine Vertretung in Taibei auf der Insel Taiwan ein, wohin der geschlagene Tschiang Kai-schek mit seinen Getreuen geflohen war. Es dauerte bis 1972, dass man im Auswärtigen Amt seinen Irrtum einsah und die Volksrepublik anerkannte. Und wie sich 40 Jahre später zeigt, haben das Amt und seine Botschaft in Peking immer noch ein seltsames Geschichtsverständnis. Man feiert ungeachtet der historischen Fakten 40 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen »Deutschland« und »China«. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt! LP

** Aus: neues deutschland, 2. Februar 2012


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