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Tausende Tote durch Krieg in Jemen

Regierung will Houthi Stamm im Nordwesten des Landes "ausmerzen"

Von Karin Leukefeld *

Mit neuer Taktik, Spezialtruppen und Waffen ist der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh entschlossen, den Angehörigen und Unterstützern des Houthi Stammes im Nordwesten des Landes den Garaus zu machen. »Die Streitkräfte werden ihren heldenhaften Kampf fortsetzen«, erklärte Saleh Ende August bei einer Feier in einer Militärakademie. »Wir sind entschlossen, diese Gruppe zu vernichten, und wir meinen, was wir sagen. Das Krebsgeschwür in der Provinz Saada werden wir ausmerzen.« Die Angehörigen des Stammes bezeichnete Saleh als »abartig«.

Die Offensive der jemenitischen Armee hatte am 11. August begonnen und richtet sich mit den bezeichnenden Namen »Eiserne Faust« und »Verbrannte Erde« gegen den Stamm der Houthis, deren Namen auf ihren Herkunftsort Houthi in der Provinz Saada hinweist. Religiös gehören die Houthis zu den Zaiditen. Im Nordwesten Jemens bestand seit Ende des 9. Jahrhunderts bis 1962 ein autonomer Religionsstaat der Zaiditen. Die Gruppe wird dem schiitischen Islam zugerechnet, ist allerdings eine Minderheit, die nur im Jemen lebt. Die Zaiditen folgen Zaid, einem Sohn des 4. schiitischen Imam Ali Zain al-Abidin. Zaid wurde Mitte des 8. Jahrhunderts im Kampf um die Nachfolge Mohammeds getötet. Im Jemen gilt fast die Hälfte der Bevölkerung als Zaiditen, die anderen sind sunnitische Muslime.

Die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung Saleh und den Houthis begann 2004, als der Anführer des Stammes die Wiedereinführung der religiösen Autonomie forderte und bei Kämpfen mit der Armee getötet wurde. Tausende Menschen kamen seitdem ums Leben, die UN haben rund 150000 Inlandsvertriebene registriert. Heute führt Abdulmelik Al-Houthi den Stamm. Das Emirat Katar hatte zuletzt 2007 einen Waffenstillstand vermittelt. Die Regierung in Sanaa wirft inzwischen Iran vor, die Houthis mit Waffen zu versorgen, was politische Beobachter für unwahrscheinlich halten.

Ende August wurden die Angriffe verschärft, die Armee bedient sich dabei auch Jugendlicher anderer Stämme der Region. Die Houthis müßten sich aus staatlichen Gebäuden zurückziehen, Straßenblockaden auflösen und Waffen zurückgeben, die sie von jemenitischen Sicherheitskräften erbeutet haben, so die Regierungsforderung. Dem Stamm wird auch vorgeworfen, Mitte Juni neun Ausländer entführt zu haben, von denen drei tot aufgefunden wurden. Von einer deutschen Familie und einem britischen Techniker fehlt jede Spur. Die Houthis haben die Anschuldigung mehrfach zurückgewiesen und werfen der Regierung vor, die Entführung als Vorwand für die Offensive zu nutzen. Sie fordern, daß die Regierung den im Juni 2007 von Katar vermittelten Waffenstillstand einhalten solle.

Hilfsorganisationen, die in der völlig verarmten und vernachlässigten Provinz Saada Lebensmittel und Wasser verteilen sowie medizinische Hilfe leisten, sprechen von rund 35000 Zivilisten, die versuchen, den Luft- und Bodenangriffen zu entkommen. Das UN-Kommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) warnt vor einer humanitären Katastrophe in der Region und vor allem in der Provinzhauptstadt Saada und fordert einen »humanitären Korridor«, damit Zivilisten die Kampfzone verlassen können. Die Luftwaffe hat das Stadtgebiet mehrfach bombardiert, die wenigen Fotos, die es aus Saada gibt, zeigen schwerbeschädigte Häuser. Die Regierung hat eine Nachrichtensperre über das Gebiet verhängt, Journalisten ist der Zutritt verwehrt.

Eine US-Delegation, geführt von dem republikanischen Senator John McCain, versicherte derweil Mitte August Präsident Saleh, daß Jemen im »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« ein wichtiger Partner bleibe und weiter unterstützt werde. Jemen gilt mit seinen rund 20 Millionen Einwohnern als das Armenhaus der arabischen Welt.

* Aus: junge Welt, 3. September 2009


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