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Raketen auf den Vizegouverneur

Jubiläumsfeierlichkeiten in Jemen überschattet von neuen Unruhen

Von Karin Leukefeld *

Die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Vereinigung Jemens konnten nur für Stunden vergessen machen, dass das arabische Land weiterhin innerlich zerrissen ist.

Zur Feier des Tages hatte der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh am Sonnabend eine Amnestie für politische Gefangene verkündet. Doch schon zu Wochenbeginn kam es zu neuen Unruhen. Angehörige des Shabwani-Stammes aus der Provinz Marib, östlich der Hauptstadt Sanaa, sprengten aus Rache für den Tod ihres Scheichs Jaber Ali al-Shabwani eine Ölpipeline in die Luft, zerstörten Tankstellen, Stromleitungen und Regierungsgebäude in der Provinzhauptstadt. Shabwani, stellvertretender Gouverneur der Provinz, starb am Montagabend bei einem Raketenangriff.

Berichten der Provinzregierung zufolge wollte er als Vermittler zu einem Treffen mit Mohammed Said bin Jardan, der von den jemenitischen Behörden verdächtigt wird, zu Al Qaida zu gehören. Der Scheich und vier seiner Begleiter wurden getötet, während Bin Jardan, der wohl das eigentliche Ziel des Angriffs war, lediglich verletzt wurde. Jemenitische Sicherheitsbehörden und das Innenministerium sprachen von einem »Versehen« und erklärten, den »Unfall« untersuchen zu wollen. Daraufhin stimmte der Shabwani-Stamm einer dreitägigen Waffenruhe zu, um die Untersuchungen über den Angriff abzuwarten.

Die Region Marib gilt jemenitischen Sicherheitskräften und ihren US-amerikanischen Militärberatern als Rückzugsort von Al Qaida.. Seit Beginn des Jahres wird die Region regelmäßig von Drohnen mit Raketen beschossen, ferngesteuert von US-Militärs. Ob es sich bei dem Angriff am Montagabend auch um einen solchen Drohnenangriff handelte, ist unklar.

Am 22. Mai hatte das Land den 20. Jahrestag der Vereinigung von (Nord-)Jemenitischer Arabischer Republik und Volksdemokratischer Republik (Süd-)Jemen gefeiert – einer Fusion, die zwar auf Regierungsebene vollzogen wurde, politisch, wirtschaftlich und sozial im Landesinneren allerdings weiter aussteht. Jemen gilt als Armenhaus der arabischen Welt, Korruption ist in Regierung und Verwaltung weit verbreitet. Um weiterhin Wirtschafts- und Militärhilfe aus dem Ausland zu erhalten, wurde die Regierung zuletzt Anfang März von einem neu gegründeten »Freundschaftskreis Jemen« aufgefordert, die innenpolitische Versöhnung im Land voranzutreiben.

Deutschland, das gute Beziehungen zu Jemen unterhält, spielt in diesem Kreis eine führende Rolle. Wohl vor diesem Hintergrund hatte Präsident Saleh am Sonnabend erklärt, er sei bereit, mit der Opposition eine »Regierung der nationalen Einheit« zu bilden. Er lud alle politischen Gruppen im Land und im Exil ein, »im Rahmen der verfassungsgemäßen Institutionen einen verantwortungsvollen nationalen Dialog« zu führen.

Die gleichzeitig verkündete Amnestie betrifft inhaftierte Anhänger der Widerstandsbewegung in Südjemen sowie Anhänger der Houthi-Bewegung, die im Norden des Landes für mehr Autonomie kämpft. Freigelassen werden sollen 800 Anhänger der südjemenitischen Sozialistischen Partei und 2000 Houthi. Der jemenitischen Nachrichtenagentur SABA zufolge wurden die ersten 300 Gefangenen am Dienstag freigelassen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2010


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