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Bundeswehr bei Hilfe ertappt

Regierung unterstützt Jemen trotz Menschenrechtsverletzungen / Parlament übergangen

Von Uwe Kalbe *

Deutschland unterstützt die jemenitischen Streitkräfte mit Beratern und Ausbildern. Trotz bürgerkriegsähnlicher Zustände, dem Einsatz von Kindersoldaten und unsicherer politischer Perspektiven zieht die Bundesregierung nur zögernd die Bremse. Sie setzt die Hilfen aus, wie sie mitteilte.

Jemen ist ein politisch zerrissenes Land. Und seit Ende Januar gehört es zur Gruppe der Länder, deren Herrscher sich einer in Aufruhr geratenen Bevölkerung gegenübersehen. Dass dies ein Grund für die Bundesrepublik sei, womöglich konfliktverschärfendes militärisches Engagement gegen äußerste Zurückhaltung zu tauschen, sollte man meinen, und so konnte man Äußerungen auch von Bundesaußenminister Guido Westerwelle verstehen. Die Stimmenthaltung im UNO-Sicherheitsrat zum militärischen Eingreifen im Libyen-Konflikt schien ebenso einem solchen Herangehen geschuldet. Doch nicht nur ein geplanter Export von Leopard-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien lässt daran zweifeln.

So hat Deutschland die Unterstützung der jemenitischen Regierungstruppen mit Beratern und Ausbildern aufrecht erhalten, noch lange nachdem die Unruhen im Land Ende Januar ausgebrochen waren. Die Auskunft auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag lautet: »Die Zusammenarbeit mit Jemen im Bereich der Ausstattungshilfe für jemenitische Streitkräfte wurde mit Wirkung vom 6. Juni eingestellt, die Soldaten der Beratergruppe der Bundeswehr werden nach Deutschland rückversetzt.« Aufgrund der aktuellen Entwicklungen habe man darüber hinaus alle Neuvorhaben der militärischen Ausbildungshilfe am 9. Juni ausgesetzt. Die in Deutschland laufende Ausbildung jemenitischer Militärs allerdings werde fortgesetzt.

»Eingestellt«, »ausgesetzt«, »rückversetzt« – am 6. Juni reagierte die Bundesregierung vermutlich auf die Ereignisse drei Tage zuvor, als Präsident Ali Abdullah Salih bei einem Angriff von Milizen auf seinen Palast in Sanaa verletzt wurde – es ist höchst unsicher, wer Sieger der Machtkämpfe sein wird. Monatelang aber steckte die Bundesregierung den Kopf in den Sand. Dabei erklärte sie bereits im April – ebenfalls auf eine Frage der LINKEN –, sie habe die Berater wegen der Lage in Jemen abgezogen und die Kooperation mit der jemenitischen Küstenwache eingestellt.

Die Regierung hat damit das Parlament belogen, schlussfolgert Sevim Dagdelen. Die Sprecherin der Linksfraktion für Internationale Beziehungen hält ein militärisches Engagement jeder Art in Jemen für grundfalsch: »Obwohl der Bundesregierung Informationen über den Einsatz von Kindersoldaten durch die Armee des Jemens vorlagen und diese Armee wiederholt das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten eröffnete, wurde die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für die jemenitischen Streitkräfte erst ab dem 6. Juni 2011 – und das nicht einmal vollständig – eingestellt.« Insbesondere die seit Monaten bekannte Rekrutierung von Kindersoldaten alarmiert die Linkspolitikerin. Der UNO-Sicherheitsrat nennt einen Anteil von 15 Prozent der Kämpfer in Regierungsmilizen.

Die Bundesregierung stellt die Militärhilfe in einem versöhnlichen Licht dar. So diene die Unterstützung bei Bau und Ausstattung einer Sanitätsstation zu 80 Prozent der Zivilbevölkerung. Für Sevim Dagdelen sind dies Ausflüchte. Die Bundesregierung versuche »unter Umgehung des Parlaments in Bürgerkriege zu intervenieren und macht sich damit schwerer Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und der Rekrutierung von Kindersoldaten mitschuldig«.

* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2011


Lernfaul

Standpunkt von Uwe Kalbe **

Die Bundesregierung weist den Verdacht weit von sich, ihr Bemühen um Einfluss in Jemen folge wirtschaftlichen Interessen. Vielmehr gehe es darum, internationale Kriminalität bereits weit vor den deutschen Grenzen zu bekämpfen. Weniger eigennützig als die Gier nach Umsätzen oder Öl ist dies allerdings auch nicht. Und in Wirklichkeit trifft wohl von allem etwas zu: Die Reichtümer der Golfstaaten, deren Menschenrechtsverletzungen keine Panzerlieferung aus Deutschland verhindern, und der anmaßende Wunsch, die Entwicklungen in der Region zu beeinflussen, gehören zusammen.

Dauernd allerdings muss die Bundesregierung Rückschläge hinnehmen. Vor Ort kann sie auf keinen Bündnispartner bauen. Und zu Hause folgt der Ärger mit der Opposition. Doch jede Störung ist höchst verdient. Denn es ist Vorsorge der oberflächlichsten Art, wenn nur das Überschwappen der Konfliktfolgen nach Deutschland verhindert werden soll. Und fahrlässig, in Flüchtlingsströmen oder der Piraterie vor der somalischen Küste nur die Verletzung eigener Interessen zu erkennen. Bürgerkrieg und Entstaatlichung in dem Gebiet, in dem Ölreichtum und bitterste Armut Tür an Tür wohnen, rächen sich auch für den Westen regelmäßig. Doch bisher lernt er nichts. Man kann der Bundesregierung kaum vorwerfen, ihr Herangehen an die Dinge in Jemen sei in sich nicht konsistent und folgerichtig. Dass sie dabei zumindest zusieht, wenn über Leichen gegangen wird, gehört dazu.

* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2011 (Kommentar)


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